Außenseiter - Teil 2

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„Kann ich ein bisschen später kommen? Heute Nachmittag habe ich bis 15:30 noch Schach. Aber danach kann ich gleich bei dir sein", antwortete er und ich konnte ihm sein schlechtes Gewissen durch die Gläser seiner Hornbrille ansehen. Ich beruhigte ihn mit einem Lächeln auf den Lippen, „Kein Problem". Ich schrieb ihm meine Adresse auf einen Zettel und gab ihm das Stück Papier. Ich hatte ein seltsames Kribbeln im Bauch und eine ungewohnte Vorfreude breitete sich aus. Wieso freute ich mich so auf mein anstehendes Treffen mit Harry?

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Der restliche Tag verlief ziemlich unspektakulär, ich lernte weitere Lehrer und den Chemiesaal kennen. Außerdem lernte ich ein paar meiner Mitschüler kennen, besonders Niall und Liam schienen sehr in Ordnung zu sein. Obwohl es der Tag nicht anstrengend war, fiel ich sofort ins Bett als ich zuhause ankam.

Ein Klingeln riss mich aus dem Schlaf. Oh nein, das musste Harry sein! Den hatte ich total vergessen - bzw. verschlafen. Schnell sprang ich auf und stürzte die Treppen zur Tür hinunter, welche ich öffnete. „Hallo, Louis. Ich habe alle Sachen dabei und schon einen Plan ausgearbeitet, als Entschuldigung, weil ich heute meinen Schachclub hatte", platzte es aus Harry heraus. „Hi. Tut mir leid, ich habe gerade geschlafen und bin noch nicht ganz wach. Komm rein. Und vielen Dank!", erwiderte ich etwas verschlafen. „Ich würde vorschlagen, dass wir uns an den Küchentisch setzen. Ich hole schnell meinen Laptop und einen Collegeblock, setz dich schon einmal", fügte ich hinzu und lief nochmal in mein Zimmer, um die Sachen zu holen.

„Möchtest du etwas trinken?", fragte ich ihn. „Ein Glas Wasser, bitte", antwortete er schüchtern. Ich holte zwei Gläser, füllte einen Krug mit Wasser und stellte alles auf den Tisch. Da Harry schon einen Plan hatte, konnten wir gleich mit der Recherche beginnen und wir arbeiteten auch konzentriert. Soweit so ein Projekt Spaß machen konnte, machte es mir Spaß. Außerdem war es schön zu sehen, wie Harry in der Arbeit aufblühte und wie intelligent dieser Typ eigentlich war. Und, was meinen Erwartungen völlig widersprach, er konnte witzig sein! Ich hätte nie gedacht, dass hinter diesem, so gemein es auch klingt, langweiligem Äußeren, ein so interessanter Typ stecken konnte. Wir arbeiteten zwei Stunden, dann musste er gehen, wobei wir gleich ausmachten, dass in drei Tagen zu wiederholen, auch wieder nach seinem Schachtraining.

Als meine Mutter nach Hause kam und wir gemeinsam beim Abendessen saßen, berichtete ich ihr von Harry und unserem gemeinsamen Projekt. „Na den werde ich mir genau anschauen. So wie du über ihn redest, scheint Harry ein toller Junge zu sein", sagte sie und warf mir einen bedeutsamen Blick zu. Ich errötete, widersprach ihr aber nicht. „Ich geh dann mal ins Bett", sagte ich schnell, vermutlich etwas zu schnell. Ich räumte mein Geschirr in die Spülmaschine und verschwand im Bad, um mir die Zähne zu putzen und mich zu duschen. Als ich schon im Bett war, betrat meine Mutter nochmal mein Zimmer und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut, Boo. Egal was du tust, mach es nur, wenn du dich wohl fühlst. Und bedenke, dass ich immer hinter dir stehe", flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich hab dich lieb, Mum. Schlaf gut!", antwortete ich und kaum hatte sie den Raum verlassen, versank ich im Land der Träume.

Auch als wir uns drei Tage später trafen, unterhielten wir uns bestens. Immer wieder wurde das stille Arbeiten von Kommentaren und kurzen Gesprächen unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, dass Harry sich mir gegenüber mehr öffnete, als anderen gegenüber. Es war aber auch andersherum so, zu Harry hatte ich schnell Vertrauen gefasst, obwohl wir in der Schule kaum ein Wort wechselten. Aber die gemeinsamen Nachmittage schweißten uns zusammen und ich entdeckte Seiten an Harry, von denen ich nie gedacht hätte, dass er sie besaß. Er war lustig und süß...aber am schönsten sah er aus, wenn er begann über etwas zu sprechen, dass er liebte. Mit großem Enthusiasmus hatte er mir schon von seinen Lieblingsbüchern erzählt, von Herr der Ringe, dem Hobbit und auch von seiner Vorliebe für Sherlock Holmes. Er war eigentlich unwiderstehlich wenn seine Augen zu leuchten begannen, seine weiche Stimme Bilder beschrieb und seine Hände zu tanzen begannen. Wir hatten aber auch über seine Familie gesprochen, er wohnte alleine mit seiner Mutter und seiner Schwester, der Vater hatte die Familie kurz nach Harrys Geburt verlassen. Um seiner Mutter das Leben zu erleichtern, versuchte er gute Noten zu schreiben und sich unauffällig zu verhalten, denn seine Schwester Gemma schien eine ziemliche Rebellin zu sein. Er war schon immer ein Außenseiter gewesen, weil die Leute ihn für einen Langweiler hielten, erzählte er mir, und auch für einen Streber. Diese Vorurteile hatten seiner Beliebtheit natürlich nicht geholfen, ebenso wenig wie seine Schüchternheit. Also hatte er sich damit abgefunden ein Einzelgänger zu sein und seine Kraft mehr auf die Schule gerichtet, erfolgreich. Ich erzählte ihm davon, dass ich ebenfalls ohne Vater großgeworden war und mit meiner Mutter ein sehr enges Verhältnis hatte. Außerdem sprach ich mit ihm darüber, zum ersten Mal überhaupt, wie ich mich nach dem Umzug gefühlt hatte. Ich konnte die Tränen leider nicht zurückhalten, weil ich mein altes Zuhause und meine Freunde doch sehr vermisste und so kamen wir uns das erste Mal näher, denn Harry nahm mich, wenn auch etwas unbeholfen, in den Arm und ich kuschelte mich an seine Brust bis die Tränen verebbten. Dieser große Junge mit den funkelnden Augen gab mir das Gefühl angekommen zu sein, auch wenn ich nicht sagen konnte wie.

Zwei Wochen waren seit unserem ersten Treffen vergangen und wir hatten uns mindestens sechsmal gesehen. Auch heute war wieder eines geplant, er hatte zuerst seinen Schachclub und würde danach kommen. Ich warf einen Blick auf die Uhr und erschrak. „Dann" würde in einer Viertelstunde sein. Schnell sprang ich die Treppen hinunter in die Küche. Ich hatte nach dem Mittagessen hatte ich völlig vergessen abzuwaschen und aufzuräumen. Schnell warf ich Besteck und Teller in den Geschirrspüler und wusch den Kochtopf ab. Nachdem Abtrocknen und Wegräumen, wischte ich den Tisch ab. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter, ich war schnell gewesen und hatte noch...keine Zeit mehr. Es war genau vier Uhr und Harry sollte eigentlich gleich da sein. Ich stellte Teewasser auf, wir hatten die Gewohnheit entwickelt, gemeinsam Tee zu trinken während wir arbeiteten. Als ich die Tassen aus dem Schrank holte, hörte ich ein Donnergrollen und gleich anschließend begann es, dicke Tropfen zu regnen. Es war richtig düster draußen, denn dunkle Gewitterwolken verdeckten das Blau des Himmels. Um meine Sachen zu holen, lief ich schnell in mein Zimmer. Da ich das Dachzimmer bekommen hatte, hörte ich das Prasseln des Regens ganz deutlich und offenbar brach jetzt auch noch ein Sturm los, denn starke Windböen und das laute Rascheln der Blätter der Bäume, die die Straße säumten, in der unser Haus stand, war ebenfalls klar zu hören. Wo war Harry denn bloß? Er war schon fünf Minuten zu spät – das sah ihm gar nicht ähnlich, er verachtete Zuspätkommer.

Ein Klingeln schreckte mich hoch und ich rannte wieder hinunter um die Tür zu öffnen. Draußen stand Harry, aber er war völlig durchnässt und zitterte am ganzen Leib. „Harry, um Himmels Willen, komm sofort rein, du zitterst ja!", fuhr es mir heraus und ich zog ihn ins Haus und warf die Türe ins Schloss. Gleich darauf schlug ich mir gedanklich die Hand auf die Stirn – was war denn das für eine blöde Begrüßung gewesen? Als ob er selber nicht gemerkt hätte, dass er zitterte.

„Hi Lou", begrüßte mich Harry mit zitternder Stimme. „Warum bist du so durchnässt? Du fährst doch immer mit dem Bus und die Station ist keine zwei Minuten entfernt. „Ich habe den Bus verpasst und der nächste wäre erst in zwanzig Minuten gekommen...so lange wollte ich dich nicht warten lassen. Also bin ich zu Fuß gegangen und total in den Regen gekommen. Den Sturm musste ich zumindest nicht mehr richtig erleben, aber ansonsten hatte ich relativ wenig Schutz", erklärte er mir mit klappernden Zähnen. „Harry, das ist süß, aber tu das nie wieder. Komm lieber eine Stunde zu spät, als dass du pünktlich bist und dafür vielleicht erkältet oder durch den Sturm halb erschlagen von einem Baum bist", erwiderte ich, leider auch keine coole Antwort, sondern eher besorgt. Mittlerweile war mir das aber ziemlich egal, meine „Tarnung" war sowieso schon weg. Ich nahm ihn in den Arm, ich konnte mich einfach nicht zurückhalten. Sofort drang die Nässe auch durch mein T-Shirt. „Okay, du musst dich aufwärmen. Komm mit nach oben, im Bad habe ich Handtücher, mit denen kannst du dich abtrocknen und ich gebe dir trockene Klamotten", sagte ich und zog ihn an der Hand nach oben. „Hier ist das Bad und da die Handtücher. Ich suche dir schnell ein paar neue Sachen heraus", fügte ich hinzu und ging zum Kasten. Dort zog ich ein T-Shirt und eine Jogginghose heraus und auch ein Paar Socken und Boxershorts.

Harry war ein gutes Stück größer als ich und daher hatte ich die größten Sachen, die ich hatte genommen. „Danke, Louis", murmelte Harry und sah mir dankbar in die Augen. Er wirkte trotz seiner Größe so unbeholfen, so süß. „Kein Problem, Hazza", antwortete ich und wurde sofort rot. „Hast du mich gerade Hazza genannt?", fragend und leicht belustigt sah er mich an. „Ja...tut mir leid", druckste ich verlegen herum. Wie peinlich! „Das ist doch nicht schlimm. Ich mag das!", erwiderte Harry, der jetzt ebenfalls errötet war, aber auch lächelte. „Ich gehe nach unten in die Küche, schmeiß die nassen Sachen einfach in die Badewanne und komm dann runter", sagte ich und fügte dann noch „okay, Hazza?" hinzu. Er nickte und ich drehte mich um. Während ich nochmal Teewasser aufstellte, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Harry war, dessen war ich mir in den letzten Tagen eindeutig bewusst geworden, nicht nur ein Freund für mich. Ich hatte mich in ihn verliebt. Die Gewissheit dieser Feststellung verursachte wieder dieses Kribbeln in der Magengegend, dass sich in meinen ganzen Körper ausbreitete. Wie schön es wäre, wenn er diese Gefühle erwiderte? Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. „Vielen Dank für die Sachen Louis, meine habe ich wirklich in die Badewanne gelegt. Hazzas Stimme holte mich wieder in die Realität zurück und ich drehte mich um. Er sah umwerfend aus!

Larry Stylinson OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt