Kapitel 3

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2. September 2015

Ich stand wie jeden Morgen zuletzt vor dem Badezimmerspiegel, um mein Haar in einem Zopf zusammenzufassen. An diesem Morgen rief jedoch kein Noah, dass ich mich beeilen soll.

Ich seufzte und zog das Haargummi wieder heraus. Heute würde ich die Haare offen tragen.

Nachdem ich aus dem Haus und dann zum Auto gegangen war, setzte ich mich auf meinen gewohnten Platz, hinter meine Mutter. Nach vorne auf Noahs Platz wollte ich mich nicht setzen.

Als kleinere Kinder hatten wir uns immer um den Platz vorne gestritten. Wir machten kleine Wettbewerbe, die aus Spielchen bestanden, wie Schere-Stein-Papier. Der Gewinner durfte sich dann nach vorne setzen. Die Wettbewerbe endeten aber immer im Unentschieden (Ja, bei unserer Variante von Schere-Stein-Papier war das möglich).

Irgendwann hatte Noah dann bei einem unserer Wettbewerbe gewonnen, aber nur knapp wie ich hier kurz anmerken will, und ab da haben wir es nie geändert. Mit diesem einen Sieg hatte er den Platz irgendwie für immer gewonnen.

Selbst jetzt, wo er nicht mehr da ist, gehört er immer noch ihm. Schließlich hat er ihn gewonnen, nicht ich.

Meine Mutter sagte nichts zu meiner Platzwahl - sie wusste wahrscheinlich wie ich dachte. Auf dem Weg schwiegen wir, wir dachten wohl beide an die Zeit vor den Ferien zurück.

An der Schule angekommen legte ich meine Hand an den Griff der Autotür und wartete bis meine Mutter mit unserem Ritual anfing. Doch sie fing nicht an.

"Mom?"

Plötzlich schaute sie auf, als hätte ich sie aus ihren Gedanken gerissen. *Ja Kim?*

"Das Ritual?"

*Ach, tut mir leid mein Schatz.. Pass auf dich auf.*

Irgendwas war anders, irgendwas stimmte nicht mit ihr. Ich starrte in den Rückspiegel bis es mir auffiel.

Ihre Augen. Ihre Augen leuchteten nicht mehr so wie noch vor den Ferien. Lag es an Noah?

"Mom.. ist alles ok?"

*Ja klar Schatz. Steig jetzt aus, Junia und Chris warten schon auf dich.*

Tatsächlich, die beiden standen zusammen vor der Eingangstür der Schule und starrten zu unserem Auto hinüber. Also öffnete ich die Autotür und stieg aus.

Bevor ich sie zuschlug drehte ich mich jedoch nochmal um:"Mom, pass auf dich auf."

Ich schlug die Tür zu, konnte aber noch das kurze traurige Lächeln meiner Mutter sehen. Ich fragte mich erneut, was mit ihr los war.

Im nächsten Moment spürte ich auch schon Arme um meinen Hals.

"KIM!"

Wenigstens blieb eine Sache wie sie vor den Ferien war.

"JUNIA! Ich freu mich so dich endlich wieder zu sehen."

"Hallo Kim." Auch Chris kam nun zu uns gestoßen. Er gab mir wie üblich einen Kuss auf den Kopf.

Als ich zu Junia sah, sah ich für eine Sekunde einen Schatten über ihr Gesicht huschen. Dieser war aber direkt wieder verschwunden. Sie lächelte mich an - vielleicht hatte ich mir das auch einfach nur eingebildet.

"Erzählt, wie war es so zusammen im Urlaub?" Fragte ich sie.

"Super. Es hat Spaß gemacht. Wir waren viel am Strand, auch mal in der Stadt und..ja." Sie lief leicht rot an.

Vielleicht war selbst das hier nicht normal geblieben. Was war denn los mit allen heute?

Plötzlich gongte es. Das ich das mal erlebe.. ich bin noch nicht im Schulgebäude während es gongt!

"Wir sollten rein gehen, wir haben als erstes Frau Riemer. Die ist immer so überpünktlich" Meinte Chris.

Ich musste leicht lächeln. Ich kannte noch so jemanden. Noah. Ich wusste, dass ich ihn vermissen werde, aber so sehr..?

"An deiner Träumerei hat sich ja nichts geändert. Kommst du?" Hörte ich Junia rufen.

Sie und Chris waren schon ein Stück vorgegangen ohne das ich es gemerkt hatte.

Ich lief schnell hinterher und dann beeilten wir uns um ins Gebäude und zu unserer natürlich heißgeliebten Biologielehrerin zukommen.

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