9. September 2015
Als ich morgens aufwachte, dachte ich darüber nach, ob es wirklich eine gute Idee wäre, heute in die Schule zu gehen.
Doch ich konnte jetzt keinen Rückzieher machen. Ich hatte es Luca versprochen, mich mit ihm vor der Schule zu treffen. Und ich wollte auch Junia und Chris wiedersehen, in der Hoffnung, dass es mir irgendwie half. Außerdem wäre Schule bestimmt auch so eine gute Ablenkung - ich hatte die letzten Tage daheim viel zu viel nachgedacht.
Nachdem ich mich selbst mit meinen Argumenten geschlagen hatte, seufzte ich und quälte mich dann aus dem Bett, um mich anzuziehen.
Ich ging runter in die Küche und machte mir mein obligatorisches Müsli. Mein Vater war nirgends zu sehen - komisch, er wollte mich eigentlich fahren.
Ich nahm meine Schüssel und setzte mich damit an den Esstisch. Da bemerkte ich auf ihm einen Zettel:
Kim,
ich musste früher auf die Arbeit. Es tut mir leid, aber du müsstest mit dem Bus fahren.
Papa
Etwas enttäuscht starrte ich den Zettel an. Nach einer Weile in der ich mein Müsli anfing zu essen, fiel mein Blick auf die Uhr an der Wand gegenüber. 7:10 Uhr. Ich verschluckte mich an meinem Essen - der Bus würde in 10 Minuten kommen!
Ich schaufelte mein Essen in mich rein und rannte dann schnell noch ins Bad, um mich dort fertig zu machen.
-
Völlig gehetzt verließ ich um 7:18 Uhr unser Haus. Jetzt hieß es nur noch schnell zur Bushaltestelle rennen. Die war nur leider ein paar Straßen entfernt.
Ich kam gleichzeitig mit dem Bus an der Haltestelle an. Ich seufzte erleichtert auf. Die Türen des Busses öffneten sich und ich stieg ein. Ich gab dem Busfahrer mein Geld. Während er nach Wechselgeld suchte, sah ich mich etwas im Bus um.
Da sah ich sie - Junia und Chris. Ich wollte gerade ihre Namen rufen, als sich Chris runter zu Junia beugte und sie sich küssten.
Ich erstarrte. Nein. Nicht das. Das konnte nicht sein. Nicht meine beste Freundin und mein Freund.
"Entschuldigung? Ihre Fahrkarte und ihr Wechselgeld."
Ich erwachte aus meiner Trance. Die Augenpaare von nahezu allen im Bus waren auf mich gerichtet. Auch Junia und Chris lösten sich endlich voneinander, da sie bemerkten dass irgendwas ist. Sie sahen auf. Junias und meine Blicke trafen sich. Sie sah mich entschuldigend an.
Das war zu viel. Ich rannte aus dem Bus.
"Hey, sie haben doch schon bezahlt!" Rief mir der Busfahrer hinterher.
Doch ich rannte weiter. Das zweite Mal in 4 Tagen, dass ich einfach nur weg von allem wollte.-
Das Nächste, an was ich mich erinnere, ist, dass ich wieder in meinem Bett zuhause liege. Es ist wohl mein Zufluchtsort, der mich von der Welt draußen abschottet. Nur leider nicht von den Gedanken an diese Welt.
Wie konnte das passieren? Erst meine Mutter.. dann der Streit mit meinem Bruder.. und jetzt habe ich auch noch diese geliebten Menschen verloren?
Wie konnten sie mir sowas an tun?!
Wut und Trauer zugleich kochten in mir.
Ich nahm mir mein Kissen und schrie hinein. Immer weiter, bis die Schreie sich in Schluchzer und Tränen verwandelt hatten.
Es klingelte an der Tür. Ich verstummte und sah aus meinem ziemlich nassen Kissen auf, um auf die Uhr zu sehen.
9 Uhr 25. Wer klingelt um die Uhrzeit?
Wahrscheinlich ein Paketbote. Aber der kann das Paket ruhig vor der Tür stehen lassen.
Ich vergrub mein Gesicht wieder im Kissen.
Erneutes Klingeln. Pause. Dann nochmal. Und nochmal. Jetzt Sturmklingeln.
Wer zur Hölle ist das?
Wütend stehe ich auf und mache mich stampfend auf den Weg zur Haustür.
Es ist mir egal wie verheult und wie scheiße ich aussehe. Ich mache mich bereit die Tür auf zu reißen und die Person davor anzubrüllen. Wer immer jetzt hinter dieser Haustür steht, tut mir leid.
Ich reiße die Tür auf, Mund auf, bereit zum Schrei, aber als ich sehe, wer dort steht, klappe ich ihn überrascht wieder zu.
Luca sieht mich entgeistert an, vermutlich habe ich die Tür etwas zu sehr aufgerissen. Und dann ist da ja auch noch mein Aussehen im Moment.
"Müsstest du nicht in der Schule sein?" Frage ich ihn.
Dass es Luca ist, beruhigt mich auf irgendeine Weise. Zugleich macht es mich aber auch etwas nervös. Ich wische mir über die Augen und versuche meine Haare einigermaßen glatt zu streichen, nachdem sie aussehen müssen wie ein Vogelnest.
*Du warst nicht am verabredeten Platz.*
Für Luca war das wohl genug Antwort und ein ausreichender Grund, um die Schule zu schwänzen.
Irgendwie ist es auch süß von ihm, dass er sich so Sorgen um mich gemacht haben zu scheint.
*Kann ich reinkommen oder muss ich für immer hier draußen in der Kälte bleiben?*
Ich antworte nicht. Ich drehe mich um und mache mich auf den Weg hoch in mein Zimmer.
Ich höre, wie die Haustür hinter mir zu geht. Dann Schritte, die mir folgen.
Im Zimmer angekommen setze ich mich an die Wand auf meinem Bett und ziehe die Knie an.
Luca kommt kurz darauf auch in den Raum, sieht sich zuerst suchend um und nimmt sich dann meinen Schreibtischstuhl und zieht ihn vor mein Bett.
Da sitzt er jetzt und sieht mich an. Ich starre zurück. Dann bricht Luca die Stille.
*Ich habe deine Freunde zusammen gesehen.*
'Zusammen' also...
"Ich auch."
*Chris bekommt ein blaues Auge.*
Verdutzt sehe ich ihn an. "..wie?"
*Sagen wir so, ich schwänze die Schule heute gar nicht, sowie du es wahrscheinlich denkst.*
Ich reiße erstaunt die Augen auf.
*Aber das ist nicht weiter schlimm, ich erkläre Wolfgang das einfach alles morgen. Er wird das verstehen. Er ist ganz cool drauf.*
Ich starre ihn immer noch an, meine Augen müssen Tennisbällen gleichen. Hat er Chris ernsthaft für mich geschlagen?
*Starr mich nicht so an, das Schwein hat es verdient.*
Ich gucke schnell weg. Aber meine Gedanken sind immer noch darauf gerichtet.
Luca ist ganz anders, als ich mir ihn vorgestellt hatte. Dass er sowas für mich tut.. ich muss ihm wohl echt etwas bedeuten. Ich glaube, dass wir echt sehr gute Freunde werden könnten.
Den restlichen Vormittag kamen wir nicht wieder auf das Thema zurück. Trotzdem haben wir viel viel.. viel geredet. Über alles mögliche.
Gegen eins ist er gegangen. Wir haben uns wieder auf einen Treffpunkt auf dem Schulhof geeinigt, diesmal für Mittwoch. Zweiter Versuch!
Aber wieso erst Mittwoch? Weil ich morgen nicht in die Schule gehen werde.
Morgen ist ein.. besonderer Tag. Ich bin nervös. Sehr sogar..
All die Verwandten und Bekannten sehen..Alle werden da sein, an dem Tag, an dem meine Mutter beerdigt wird.
DU LIEST GERADE
Ausweglos? [completed]
General FictionDie 16-Jährige Kim liebt ihren Freund, ihre beste Freundin und ihre Familie. Sie liebt den Tagesablauf, der ihr tagtäglich in der Schulwoche begegnet. Doch ihre rosarote Brille wird ihr durch ein Ereignis schlagartig abgenommen. Ihr Leben verändert...