Sherlock Holmes legt Einspruch ein

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Spieltipp: Phoenix Wright: Ace Attorney 1-3 (Nintendo DS/iOS)

Worum geht es? Anwaltsanfänger Phoenix Wright muss schon bei seinem ersten Fall seinen besten Kumpel verteidigen, der des Mordes verdächtigt wird. Die Indizienlage ist erdrückend. Kann er das Blatt wenden und das Rätsel lösen? Weitere Fälle warten bereits auf ihn.

Das Gameplay besteht aus zwei Teilen: Im ersten Abschnitt sammelt man durch Gespräche und Untersuchung des Tatorts wertvolle Hinweise und Gegenstände. Im zweiten Abschnitt gilt es, die Beweise in einer spannend inszenierten Gerichtsverhandlung bei der richtigen Aussage vorzulegen. Das ganze ist gewürzt mit der typischen Prise Wahnsinn eines japanischen Anime.

Was lernt die Feder? Eine gute Kriminalgeschichte entwerfen. Jeder Fall ist ein verwinkeltes Rätsel, das gelöst werden will. Stück für Stück kommt man der Wahrheit näher, nur um dann wieder einer neuen Unmöglichkeit zu begegnen. Beweist man zum Beispiel, dass der Mord nicht an Ort A, sondern Ort B stattfand, ergibt sich ein Problem: Wieso findet sich kein Blut am echten Tatort? Die Lösung liegt oft darin, unkonventionell zu denken - in diesem Fall hat etwas das Blut aufgefangen, und das kann nur bedeuten...!

Grundelemente und Fallstricke/Nachgeschlagen. Die Kriminalgeschichte basiert auf einem von 20 sogenannten "Meisterplots", die Ronald B. Tobias im gleichnamigen Buch definiert hat, genauer handelt es sich dabei um Plot 7, das "Rätsel". Das wichtigste Element ist dabei das scheinbare Paradoxon: Eine offensichtliche Unmöglichkeit. Etwa:

• Ein fliegender Mensch
• Ein Mord in einem von innen verschlossenen Raum (Klassiker!)
• Eine Tat trotz Alibi

Das schwierigste ist es natürlich, diese Unmöglichkeiten sinnvoll zu erklären. Deshalb solltest du vor dem Schreiben bereits das Geheimnis bis ins kleinste Detail kennen. Anschließend verbirgst du Teile davon vor den Lesern, so als ob du ein Tuch über eine komplizierte Maschinerie legen würdest. Sicher kennst du die genialen Schlussfolgerungen eines Sherlock Holmes, der etwa aus einem Fettfleck an der Manschette schließt, dass das Gegenüber Kutscher ist. Doyles Trick war es, diese Deduktionen einfach von hinten aufzubauen, d.h. die Lösung zuerst festzulegen und dann die Argumentationskette rückwärts zu bilden. [Randnotiz: Die Methode kann ich allgemein für Plots empfehlen!]

In der Aufklärungsphase verfolgen wir den oder die Protagonisten dabei, wie sie Hinweise sammeln und Schlüsse ziehen. Tobias betont dabei, dass der Leser jederzeit die Möglichkeit haben sollte, genauso schlau zu sein wie der Detektiv - gemäß dem englischen Idiom "hidden in plain sight" muss das Rätsel durch reines Nachdenken lösbar sein, sobald alle Teile verfügbar sind. Das wird dem Leser zum Beispiel genommen, wenn der Detektiv Telepath ist oder der Täter übernatürliche Kräfte hat.

Somit ist eine Kriminalgeschichte quasi ein umgekehrter Zaubertrick. Beim Zaubertrick sehen wir die Schritte, die uns helfen könnten auf das Geheimnis des Tricks zu kommen, und die schließlich in einen atemberaubenden Effekt münden. Beim Krimi dagegen sehen wir erst den Effekt und decken nach und nach die Schritte auf.

In aller Regel erfahren wir nach einem Zaubertrick nicht, wie er funktioniert. Das ist bei Krimis ebenfalls möglich (Tobias nennt das "open-ended riddles"), aber sehr enttäuschend zu lesen, denn dann ist das einzig Beeindruckende der Effekt, und den kennt man schon seit den ersten Seiten! Also lieber den detaillierten Plan erklären und damit die Leser in Erstaunen versetzen. Dass ein aufgedeckter Zaubertrick übrigens trotzdem erstaunlich bleibt, zeigt das unten verlinkte Video (es gehört eben auch viel Übung dazu).

Die letzte Phase des Rätsels nach Tobias ist die Erläuterung des Motivs. Erst dadurch verlässt die Geschichte das rein technische und wird lebendig. Was ist die Beziehung der Figuren untereinander? Warum sah der Täter keinen anderen Ausweg? Manchmal kann das Motiv ebenso ein Rätsel sein wie der Tathergang - das beweist Doyle in den Sherlock-Holmes-Romanen, die oft zweigeteilt sind: Im ersten Teil löst Sherlock Holmes den Fall, im zweiten erfahren wir ausführlich die Hintergrundgeschichte des Täters/Opfers. Ähnlich ist es bei den finalen Phoenix-Wright-Fällen: Hier wird meist auf eine Hintergrundgeschichte ("vor sieben Jahren") bezug genommen, die zur Lösung des Falls erforscht werden muss.

Auch hier lohnt es sich, das Pferd von hinten aufzusäumen: Entwickle erst die Hintergrundgeschichte - sei es Rache wegen Betrugs, Eifersucht, Aberglaube - und entwickle daraus den Fall. Aus ihren Motiven ergeben sich dann die Handlungen deiner Charaktere auf ganz natürliche Weise - fast wie von Zauberhand.

Querverweise.

Kriminalliteratur, die das Rätselschema verfolgt, gibt es haufenweise. Hier ein paar Empfehlungen, die mir bekannt sind:

- Für besagtes Sherlock-Holmes-Schema mit Motiv im zweiten Teil empfehle ich Eine Studie in Scharlachrot oder (noch spannender) Das Tal der Angst.

- Die Mitratebücher von Wolfgang Ecke (z.B. Club der Detektive) und Alfred Hitchcock schulen das Denken und das Gespür für das Einstreuen von wichtigen Hinweisen.

- In der TV-Serie Columbo sieht der Zuschauer genau, wie der Mord passiert und wer ihn begangen hat. Die eigentliche Frage lautet: Wie wird der Täter überführt?

- Die Animeserie Detektiv Conan mit ihren hunderten von Folgen bietet reichlich Rätselspaß - allerdings sind die komplizierten Pläne teilweise sehr an den Haaren herbeigezogen.

Weiterführende Literatur:

- Ronald B. Tobias: 20 Master Plots: And How to Build Them. Writer's Digest: 2012. Eine Checkliste wurde vom Verlag frei verfügbar gemacht: http://www.writersdigest.com/wp-content/uploads/Master-Plots-Exclusive.pdf

- Penn & Teller: Cups and Balls. [Zaubertrick mit Auflösung]

Die Feder liest mitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt