72 minuten, 03 sekunden

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11:43 Uhr

Auf der Wache ist es ruhig.

„Ron, magst du auch einen Kurzen?"

Er sieht von den Unterlagen auf, klappt sie lässig zu.

„Gern."

Sein Kollege nickt. Die Uhr im Raum tickt, Ron hat das Gefühl als würde sie immer lauter werden. Als würde sie nur ticken, um die Sekunden herunterzuzählen. Tick. Tack. Tick. Tack. Reifenquietschen. Kollision. Platzwunde. Geschrei.

Ihn schüttelt es kurz, er kneift die Augen zusammen, um die Gedanken zu vertreiben. Am liebsten würde er die Uhr abstellen. Die Zeit anhalten.

„Hier", murmelt sein Kollege als er ihm die kleine Kaffeekasse vor die Nase stellt. Es dampft und der Geruch des Aromas steigt sanft in seine Nase. Er hat 17 Minuten ihn zu genießen. Noch 77 Minuten bis seine Nachtschicht vorbei ist. Er sehnt sich nach seinem Schlaf.

„Ben hat sich kurz auf's Ohr gehauen", teilt ihm sein Kollege mit, er sitzt an der Ecke des Tisches, hebt die mintgrüne Kaffeetasse mit dem Aufdruck einer grinsenden Kaffeebohne und dem Schriftzug „Lebensretter in (Kaffee-)Not" an seine bärtigen Lippen. Er sieht noch frisch aus, seine Schicht hat gerade erst begonnen.

„Und Manne hat schon Feierabend gemacht", kündigt er außerdem an.

Ron schlürft von seinem Kaffee, er schmeckt wie Zuhause und er denkt an seine Frau. „Haben sie sich verdient", meint er gelassen.

Sein Kollege wirft einen Blick auf die Uhr. Sie schreit. TICK. TACK. Als würde sie die unscheinbaren Helden warnen wollen. Sie vorbereiten auf den nächsten Einsatz.

Er seufzt.

„Man gewöhnt sich nie daran, hab ich Recht?"
Ron lächelt versucht.

„Nein", schnaubt sein Partner ein wenig amüsiert. „Auch nach dreizehn Jahren nicht."

„Auch nach dreizehn Jahren nicht", wiederholt Ron lächelnd. Sie nehmen einen Schluck Koffein. Sie wussten, was es bedeuten würde, sich diesem Beruf zu verschreiben. Es zerrt an ihren Kräften, es raubt ihre Nerven, doch sie bereuen es nicht.

Sie können es nicht ahnen, doch in 72 Minuten stoppt das Roulette erneut. In 72 Minuten müssen sie erneut erfahren, was es heißt, Rettungskräfte zu sein. Sie gewöhnen sich niemals an die heulende Sirene, die scheinbar nach dem Leben fleht, das verloren geht. Sie gewöhnen sich nie an das schwarze Feld des Roulettes, dass das Aus bedeutet. Sie gewöhnen sich nicht daran.

Auch nach dreizehn Jahren nicht.

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