Kapitel 2 - Freitag 11. März 2016

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Nicole parkte ihren blauen VW Scirocco 3, den sie vor rund einem halben Jahr von einem Gebrauchtwagenhändler gekauft hatten, in der Garage des Mehrfamilienhauses und stieg aus. Ein leichter Nieselregen empfing sie und die kleinen Tropfen prasselten fröhlich auf ihr Gesicht, als sie ihren Blick nach oben, Richtung Himmel, richtete. Dunkle, schwere Wolken versperrten die Sicht auf die Sonne und schienen sie beinahe erdrücken zu wollen. Vermutlich würde es noch eine ganze Weile Regnen, denn die Wolken machten keinerlei Anstallten, sich von der Stelle zu bewegen. Leicht nass machte sie sich auf den Weg zur Haustür mit der Nummer 255c und wühlte in ihrer schwarzen Handtasche herum, bis sie zwischen ihrem Labello, einigen Taschentüchern und den Papierresten einer Packung Hustenbonbons fündig geworden war. Sie drehte den kleinen, silbernen Schlüssel im Schloss und trat in den Flur ein, die dezent orangen Tapeten und bräunlich beigen Fliesen hießen sie zu Hause Willkommen. Nachdem sie ihre schwarze Regenjacke an der Gaderobe aufgehangen hatte, öffnete sie eine der zwei Türen auf der linken Seite des Ganges und betrat die Küche. "Guten Morgen." Nicole gab ihrem Freund Leon einen Kuss, er wehrte nur mit einer Geste ab und murmelte verschlafen etwas vor sich hin, dass wie ein "Morgen" klang. Seine dunkelblauen Augen sahen verschlafen aus, vermutlich war er gerade erst aufgestanden und hatte auch nicht sonderlich lange geschlafen. Die etwas längeren schwarzen, sonst glatt gekämmten, Haare standen zu allen Seiten ab, was ihre Vermutung bestätigte. Anscheinend war die Nachtschicht sehr anstrengend gewesen, er wirkte noch erschöpfter als sonst. Leon arbeitete in der nahe gelegenen Tankstelle, der einzige Grund warum er ausgerechnet die Nachtschicht übernahm war, dass sie besser bezahlt wurde, viel besser. Bei diesem Anblick wurde ihr ihre eigene Müdigkeit wieder bewusst und sie konnte ein Gähnen kaum unterdrücken. "Du hast die Nacht wieder im Büro verbracht?" Leon sah sie vorwurfsvoll an, während er sich auf einen der zwei Küchenstühle setzte, und der leicht gereizte Unterton war nicht zu überhören. Nicole setzte sich ihm gegenüber an den kleinen, hellbraunen Holztisch. "Hendriks hat noch kurzfristig ein paar Artikel eingereicht und da wurde es ein bisschen spät. Es hat sich dann nicht mehr gelohnt noch nach...." Er fiel Nicole ins Wort und warf ihr dabei einen gefährlich wirkenden Blick zu. "Lass es einfach gut sein, ja? Ich hab schon verstanden, deine Arbeit ist dir wichtiger, als alles andere. Wie viele Überstunden hast du jetzt schon gemacht, 100? Und du hast dir nicht einen Einzigen Tag frei genommen, weil dir deine Kollegen ja ach so wichtig sind und sie ohne dich nicht mehr klar kommen würden. Die Haben es auch geschafft, bevor du da warst." Der letzte Satz klang verzweifelt und genau dieser verzweifelte Ton setzte ihr übel zu, Gewissensbisse fraßen sich durch ihr Gehirn wie ein kleiner, schleimiger Wurm durch einen aufgeweichten Apfel. Nur war ihr Wurm nicht klein, er war riesig. Leon hatte recht, sie hatte ihn vernachlässigt, ihre Arbeit bei der Redaktion ihm vorgezogen, sie hatte fast alles falsch gemacht, was man in einer Beziehung falsch machen konnte. Dabei hatte er so etwas gar nicht verdient, er hatte so viel für sie aufgegeben. Nur für sie hatte er seinen recht gut bezahlten Job als KFZ-Mechaniker gekündigt, damit sie in ihre alte Heimat ziehen konnten. Er hatte all seine Freunde und Verwandten zurück gelassen, um mit ihr zusammen zu sein und wie dankte Nicole es ihm? Sie stürzte sich in ihre Arbeit und vergas dabei alles, was ihr etwas bedeutete. "Das ist mal wieder typisch Nicole, du verziehst dich in deine Gedanken und lässt mich hier dumm herumsitzen und auf eine Antwort warten. Hast du mir zugehört, oder muss ich es für dich noch einmal wiederholen?" Autsch, das ging mitten ins Herz. Nicole zuckte vor Schreck zusammen, einen derartigen Wutausbruch hatte sie nicht erwartet, obwohl sie seine Reaktion gut verstehen konnte. "Ich... habe mir Montag und Dienstag frei genommen." Sie sagte es nur ganz leise, aus Scham für ihre Dummheit, weil sie es nicht schon viel früher getan hatte. Ihr Blick wanderte von den grellweißen Küchenfliesen wieder zu der Person, für die sie alles aufgeben würde: Leon. Er erhielt den Augenkontakt aufrecht, sein Blick wurde weich und ein kleines Lächeln war in seinem Gesicht zu erkennen, aber Nicole konzentrierte sich ganz allein auf seine wunderbaren, strahlenden, meeresblauen Augen. Auf einmal strahlten sie so eine Wärme und Anziehung aus, ihr war gar nicht mehr bewusst gewesen, wie schnell sie sich in diesen Augen verlieren konnte. "Es tut mir Leid, hätte ich das gewusst dann..." "Nein Leon mir tut es Leid. Ich weiß, dass ich eine Menge falsch gemacht habe und glaube mir bitte wenn ich dir sage, dass ich dich nie damit verletzen wollte." Sie machte eine kurze Pause, was sollte sie jetzt sagen? Es gab so viele Gedanken, die sie ihm mitteilen wollte, aber sie wusste einfach nicht, wie. Leon nahm ihr diese Last von den Schultern, noch etwas wofür sie ihm unendlich dankbar war. Er schob seinen Stuhl langsam zurück, lief mit wenigen Schritten um den Tisch herum und blieb neben ihr stehen. Ohne zu zögern griff er mit seinen starken Armen an ihre Hüfte und stellte sie so auf ihre Beine. Leon war etwa fünf Zentimeter größer als sie, und das obwohl er nur flache Hausschuhe und sie ein paar Stiefel mit einem Absatz von mindestens dreieinhalb Zentimetern trug. Er zog sie noch etwas näher zu sich heran, sie schloss lächelnd ihre Augen und genoss seine Nähe, seinen unbeschreiblichen Duft und die Wärme, die er ausstrahlte, bis sie seine Lippen auf den ihren spürte. Sie erwiderte den Kuss, legte dabei ihre Arme um seinen Hals und hoffte, dass dieser Moment niemals enden würde. Als sich Leon, viel zu früh, von ihr löste, flüsterte er ihr leise etwas ins Ohr, die drei Worte, die man nie oft genug sagen konnte: "Ich liebe dich." Nicole flüsterte eine Antwort in sein Ohr und beobachtete, wie seine Mundwinkel sich nach oben bewegten, wodurch dieses perfekte Lächeln zustande kam, das sie über alles liebte.

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Das war das zweite Kapitel, etwas mehr auf Nicoles Privatleben fokussiert. Ich hoffe es hat euch gefallen und ich würde mich wirklich sehr über ein paar Kommentare freuen und mich würde auch interessieren, wie ihr Nicole/Leon bisher einschätzt! :D
Vielen lieben Dank fürs Lesen und Voten, natürlich auch fürs Kommentieren, eure Naira

JournalistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt