Startschwierigkeiten

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Einer der besten Abende meines Lebens flog davon. Dieser wunderschöne Abend mit Detlef, einfach vorbei. Ich kam erst morgens um 8 Uhr an einem Sonntag nach Hause. Meine Mutter ist ziemlich ausgerastet, doch als ich ihr gesagt habe, dass ich jemanden besonderen genauer kennen gelernt habe, wurde sie direkt hellhörig. Ich erzählte ihr von Detlef und unserem schönen Abend. Natürlich habe ich den Diebstahl und die Zigaretten weggelassen. Sie war begeistert und freute sich für mich. Sie wollte ihn so schnell wie möglich kennenlernen. Ich wollte erstmal nur schlafen.
Am nächsten Tag konnte ich mich in der Schule überhaupt nicht konzentrieren. Ich dachte nur über Detlef nach. Als ich wie üblich mit der U-Bahn nach Hause fuhr, sah ich auf dem Weg zur Station ein riesiges Plakat. Es war für ein David Bowie Konzert. Mein Held, David Bowie, hier in Berlin. Ich konnte es gar nicht fassen und hätte mir am liebsten direkt Karten gekauft. Zwei Karten um genau zu sein. Eine für Detlef und eine für mich. Er mochte David Bowie genau so gern wie ich. Eigentlich mochten alle Jugendlichen David Bowie. Er war der Held unserer Zeit. Doch ich wusste, dass ich keinerlei Geld habe. Die Partys gingen weder spurlos an mir, noch an meinem Geldbeutel vorbei. Abends ging ich ausnahmsweise nicht ins Sound, obwohl ich es Detlef versprochen habe. Ich wollte meine Mutter nicht noch mehr verärgern, denn ich brauchte sie. Ich half also im Haushalt ordentlich mit und beteiligte mich sogar ein wenig im Unterricht. Eines Abends kuschelte ich mich zu ihr und fragte sie. "Du, Mama, demnächst ist doch dieses David Bowie Konzert und da würde ich total gerne hin..." Sie guckte etwas skeptisch doch begriff sofort, was mein Ziel war. "Lass mich raten, ich soll versuchen dir diese Karte zu besorgen? Als Begründung führst du deine schulischen Leistungen auf und dass du im Haushalt mitgeholfen hast. Willst du da etwa alleine hin?" Ich schluckte. "Ähm, nein, ich würde gerne einen Freund mitnehmen..." "Und wen genau? Warte, warte, sag nichts. Detlef, oder?" Ich grinste wie bescheuert. "Schon gut, ich werde gucken was sich machen lässt." Bei dieser Antwort umarmte ich sie ganz feste und wäre vor Vorfreude fast gestorben.

Meine Mutter schaffte es tatsächlich einen Tag vor dem Konzert die Karten zu besorgen. Ich ging also am letzten Abend ins Sound und suchte Detlef. Ich musste mich durchfragen und nach gefühlten drei Stunden fand ich ihn endlich. "Hey, Detlef,", laberte ich ihn von der Seite an, "Haste morgen abend schon was vor?" Er überlegte kurz. "Ja, ich muss für ne wichtige Prüfung lernen." "Was denn für ne Prüfung?" "Mündliche Prüfung in Englisch." Leicht geknickt wollte ich mich von ihm verabschieden, doch er bat mich noch ein wenig zu bleiben um mit ihm zu tanzen. Ich konnte zu seinen schönen Augen einfach nicht nein sagen.

Am nächsten Abend machte ich mich fertig für das Konzert. Ich zog meine Bowie Jacke an und schminkte mich. Da meine Mutter nicht wollte, dass ich alleine dort hingehe, nahm ich Hühnchen mit. Er war ein ziemlicher korrekter Typ, doch er war dünn und blass wie ne Leiche. Das lag daran, dass er ständig Blutspenden war um Geld zu kriegen. Er war nämlich auch auf H. Die Stimmung in der Halle war bombastisch. Wir waren zwar etwas weiter hinten, doch konnten Bowie trotzdem noch klar und deutlich hören. Neben uns waren zwei Typen, die einen Joint weiterreichten. Hühnchen wollte den Joint schon fast verschlingen, so mies war der auf Turkey. Das habe ich auch schon öfters bei Piet beobachtet. Anscheinend brauchen Leute, die von H abhängig sind nach ner gewissen Zeit neuen Stoff, ansonsten fangen sie ganz fürchterlich an zu zittern, kriegen Pupillen wie ein Stecknadelknopf und sind nicht mehr klar bei Bewusstsein. Man kann mit ihnen in diesem Zustand alles machen. Solange sie dafür Geld kriegen lassen sie alles über sich ergehen. Ich lehnte den Joint freundlich ab, da ich nur der Musik von David Bowie lauschen wollte. Noch schöner wäre es zusammen mit Detlef gewesen, doch man kann ja nicht alles haben.

Als das Konzert zuende war, hat sich Hühnchen einfach verpisst. Ich wusste nicht wohin, da keine U-Bahn zu der Zeit gefahren ist und außerdem war es mir zu dunkel und ich hatte meine Bedenken. Also suchte ich Hühnchen. Ich fand ihn letztendlich in einem Auto hocken zusammen mit Axel, einem Kumpel von Detlef. Beide versuchten vergebens Geld für H aufkzukratzen. Ich bot ihnen meine Hilfe an, doch sie lehnten ab, da sie nicht wollten, dass ich auch mit H in Berührung komme. Am Ende waren sie so verzweifelt, dass sie mich losschickten um zu schnorren, meine Spezialität. Ich erzählte den Leuten irgendwas von wegen ich hätte mein Ticket für die U-Bahn verloren und bräuchte ganz dringend Geld und so nen Scheiß. Nach knapp 10 Minuten hatte ich 30 D-Mark zusammen. Axel und Hühnchen hatten deutlich weniger, jedoch reichte es für uns drei. Nachdem sie sich H gekauft hatten, stiegen sie wieder ins Auto und bereiteten alles vor. Mein Klopfen gegen den Wagen wurde so unerträglich, dass sie mich doch reinließen. Ich verlangte meinen Anteil. "Ne, Mädchen, mach's nicht. Du sollst nicht so tief sinken wie ich.", wiederholte Hühnchen jedes Mal. "Ich will nicht drücken, nur sniefen. Davon werde ich schon nicht süchtig!" "Das sagen se alle und dann werden se es doch. Glaub ma, am Anfang dachte ich das auch, aber guck mich nun an." Nach schier endlosen Diskussionen kriegte ich letztendlich meinen kleinen Anteil als letzte zum sniefen. Ich saß auf der Rückbank des Autos als ich mir das Zeug reinzog. Es kribbelte komisch in meiner Nase und ich musste mich übergeben. Kurze Zeit später war ich so geflasht, dass ich einfach zusammenklappte. Ich kriegte nix mehr mit und schlief einfach ein.

Wir Kinder vom Bahnhof ZooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt