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Die Luft war stickig, der Bass dröhnte, von überall her schien die Hitze zukommen und ich beobachtete die Menschen um mich herum, die Menschen die hier versuchten ihren Frust abzubauen, die versuchten hier frei zu sein, die versuchten andere Dimensionen zu kosten und sich einfach einmal im Trubel fallen ließen wie ein Falke auf der Jagd nach Futter. Durch die Menge tanzender Jugendlichen und Erwachsenen, die versuchten ihre junge wilde Seite wieder aufleben zu lassen, bahnte sich ein dunkelhaariges Mädchen ihren Weg. In ihrer einen Hand hielt sie ein Glas gefüllt mit prickelndem Champagner und die andere hatte sie der Decke entgegengestreckt und wich nun den verrückt herumhampelnden Jungen und den aufreizend angezogenen jungen Mädchen, die durch ihre Schminke versuchten älter zu wirken als sie wirklich waren, aus. Meine Vermutung war, dass sie sich nur so aufmotzen um vielleicht das ein oder andere Schlückchen Alkohol abzubekommen und sich so aufzulockern um dann irgendwann den Mut zu finden einen der hübschen jungen Männern anzusprechen, die vermehrt am Rand der Tanzfläche saßen oder standen und ihren Blick über die tanzende Menge schweifen ließen. Die dunkelhaarige Schönheit lächelte mir breit entgegen.
„I want you to know!" brüllte Jazzy den Text des gerade abgespielten Liedes mit und lachte in meine Richtung. Dann warf sie einen missbilligenden Blick neben mich und auch ich ließ die brodelnde aufgedrehte Menge hinter mir und blickte nach rechts nur um meinen kleinen Bruder zu sehen, der sich neben mir auf der Bar abstützte. „Nicolas!" kreischte Jazzy wenig begeistert über die laute Musik hinweg und nickte meinem kleinen Bruder dann stoisch zu. Nicolas Blick glitt an mir herunter und blieb dann an meinen Schuhen hängen. Automatisch wanderte mein Blick ebenfalls zu den 10-cm Hacken, die Jazzys ganzer Stolz waren und nachdem er wieder aufsah, blickte ich ihn fragend an. „Was ist denn? Das sind nur 10 cm und außerdem habe ich die nicht freiwillig an! Die Beschwerden kannst du bitte direkt bei Jazzy einreichen!" Nicolas Blick schoss zu Jazzy die kichernd einen Schluck von ihrem Champagner nahm und dann einem blonden jungen Mann am anderen Ende der Tanzfläche kokett zulächelte. „Jazzy, wieso drehst du meiner Schwester solche Hacken auf?" in Nicolas Stimme schwang unterdrückter Zorn mit und Jazzy wendete sich genervt ihm zu. „Ich habe ihr meine Lieblingsschuhe angedreht, weil sie zu dem kurzen roten Kleid einfach nur Bombe aussehen, siehst du diese roten Sohlen? Die sind ein Traum und noch dazu furchtbar bequem!" Jazzy klatschte entzückt in die Hände und wandte sich dann mir zu. „Ich gehe dann mal, Mama macht sich jetzt diesen Hottie klar!" flötete sie über den Bass hinweg und verschwand dann wieder inmitten der riesigen Menschenansammlung. Langsam stand ich auf und kam dann mit den Hacken auf dem vermüllten Boden auf. Jazzy hatte unrecht. Diese Schuhe waren furchtbar und alles andere als bequem und allein wie sich mich nun mit meinem kleinen Spießer Bruder der der nächsten Frau in einem kurzen Kleid hinterher schaute alleine ließ, ließ mich leise seufzen. „Wieso lässt du dich von Jazzy immer rumreden? Du verabscheust solche Schuhe und das schon seit eigentlich immer!" ach der werte Herr wendete sich mir auch einmal wieder zu und glotzte dieser was-auch-immer-sie-war nicht mehr hinterher! Ja das tat ich und trotzdem ließ ich von Jazzy immer wieder dazu überreden irgendeine Art ihrer Monsterhacken, auf denen ich rumgurkte wie ein besoffener Pinguin, anzuziehen. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie meine beste Freundin war, vielleicht aber auch, weil ich es mir mit der Zeit angewöhnt hatte alles stoisch hinzunehmen und immer genau das Gegenteil zu tun was eigentlich gut für mich war, so genau wusste ich das gar nicht, sicher war jedoch, dass diese Schuhe wirklich mörderisch hoch waren. Was jedoch eine andere Frage war, war die, was Nic hier machte. Normalerweise machte mein Bruder einen riesigen Bogen um mich, einerseits weil er Mamas Liebling war und andererseits, weil ich das schwarze Schaf der Familie war, das von allen Familienmitgliedern einfach nur schräg angeschaut wurde. Das lag daran, dass ich meist einfach nur meinen Mund hielt und nicht auf all die Provokationen meiner Verwandtschaft einging oder sie einfach immer nur so gut abwürgte, dass sie am Ende sauer und eingeschnappt waren und mich monatelang böse ansahen. „Was willst du hier Nicolas?" fragte ich ihn kühl und richtete meine Augen dann auf die Olive, die ich nun mit dem Holzstäbchen in meinem Martini herumschob. „Ich möchte meine große Schwester besuchen und mich nett mit ihr unterhalten!" ein schmieriges unechtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und in seinen Augen loderte der Hass gegen mich auf. Ich seufzte tief auf und ließ dann die arme Olive in meinem Martini in Ruhe. „Nic mach einen Abflug, ich habe keine Lust auf dein Gesülze, das gute heile Familiending zieht bei mir nicht und ich werde auch nicht zurückziehen nur damit ihr wieder jemanden habt, den ihr bei allen Familienfesten bloßstellen könnt! Nics Züge engleisten ihm kurz, dann verschränkte der 17 Jahre alte beleidigt seine Arme vor seiner Brust, zischte dann ab und dackelte de Mädchen, dem er vorhin hinterher geblickt hatte, hinterher. Einige Minuten noch blieb ich sitzen und als ich sah, wie Nicolas die kleine Blonde hinter sich herzog, stieß ich mich von der Bar ab und torkelte trotz 0,00 Promille dank den hohen Schuhen wie eine Betrunkene aus dem Club. Sobald ich die Wärme des stickigen Clubs verlassen hatte, schlug mir die Kälte der sternenklaren Nacht entgegen und ich schlang augenblicklich meine Arme um meine Schultern, da das schulterfreie rote Kleid nicht gerade viel Wärme bei gefühlten 10°C spendete. Seufzend bahnte ich mir einen Weg durch den vollen Außenbereich des Clubs und lief dann an den zwei Schränken von Türstehern vorbei, bis ich schließlich an der wenig befahrenen Straße ankam und mir die Hacken von den Füßen streifte. Hier draußen waren meine Gedanken nicht mehr so durcheinandergewirbelt und ich konnte endlich einmal einen klaren Gedanken fassen. Es fühlt sich so an wie wenn die Kälte all meine Gedanken aus meinem Kopf verbannte und mich nur mit der traurigen Realität zurückließ. Wieder seufzte ich. Gestern hatte ich die Diagnose bekommen an Lungenkrebs zu leiden. Ja ich hatte verschiedene Symptome aufgewiesen ernsthaft krank zu sein, aber dass es mich gleich so hart traf und ich an einem fortgeschrittenen Tumor litt, dass hatte mich doch ein wenig aus der Bahn geworfen. Gestern hatte ich den ganzen Tag über gegrübelt und war doch nur zu dem Entschloss gekommen, dass ich es würde akzeptieren müsste. Das zweite war mich gestern jedoch vollkommen aus dem Konzept gebracht hatte war das, dass der Doktor meinte, dass ich nur noch 5 Wochen zu Leben hatte. Den ganzen Tag. Fünf Wochen und dann wäre ich tot. Geschmeidig ging ich in die Hocke und griff dann Jazzys Heiligtum an den Fersenriemen, bevor ich mich wiederaufrichtete und dann den kurzen Rock des Kleides glattstrich. Die Umgebung um mich herum war schmutzig und aus weiter Ferne hörte man betrunkene Obdachlose herumlallen. Ebenso lag um mich herum Müll. Vieles sammelte sich vor den Eingängen eines Clubs an. Chips Tüten, Glasflaschen, Taschentücher, leere Deo Dosen und viele weitere Stolpergefahren. Darauf bedacht nirgendwo hinein zu treten, machte ich mich langsam auf den Weg nach Hause. Die Lichter vorbeifahrender Autos zogen nur so an mir vorbei, als ich die Seitengasse verließ und an der befahrenen Straße auf deren anderen Seite sich ein Tattoo Studio befand und ich hielt an einer Ampel an, die ich bei dem dichten Nachtverkehr benötigte um über die Straße zu kommen. Die Ampel sprang auf grün, während neben mir das Kreischen von Bremsen erklang. Ich setzte meinen Weg fort und dann, mitten auf der Straße auf einer kleinen Verkehrsinsel kam mir die Erkenntnis, die mich abrupt stocksteif stehenbleiben ließ. Ich brauchte einen Plan, eine To-Do Liste, die ich abzuarbeiten hatte. „Isabelle!" aus meinen Gedanken schreckte ich heraus, als ich Jazzy aus der Gasse heraustreten sah. „Isabelle, hast du vollkommen den Verstand verloren? Wieso gehst du denn schon und was machst du mit meinen Schuhen?" Die Blicke meiner brünetten Freundin hafteten auf ihrem Heiligtum, das ich gepackte hatte und das nun an meinen Fingern herunterbaumelte. Als die Ampel wieder auf Grün sprang hechtete sie in ihren High-Heels zu mir und riss mir dann ihre Schuhe aus der Hand. „Meine Güte, wolltest du sie kaputt machen?" fragte sie und ein gefährlicher Unterton schwang in ihren Worten mit, der mich aufschauen ließ. Ich schüttelte langsam meinen Kopf. „Nein Jazzy, wollte ich nicht, ich habe sie ausgezogen um nicht zu stürzen!" erklärte ich ihr und blickte ihr dann in die rehbraunen Augen. Jazzys Mundwinkel umzogen einen spöttischen Zug. „Das sind nur 10 cm, wenn du in den Miniabsätzen nicht laufen kannst, dann kommst du nie gut bei den Männern an merk dir das!" sie drehte sich um und steuerte wieder auf die Seitenstraße zu. „Bis morgen Isabelle!" Sie hob ihre Hand und verschwand dann wieder im Dunkel der Nacht. Meine blonden Haare wehten, als ich in weiter durch die Eisige Februarkälte tapste und dann den Weg nach Hause einschlug.
Ich lief die verwaiste nächtliche Straße hinunter und bog dann nach links ab und schon stand ich vor dem Mehrfamilienhaus, in dem sich meine 2 Zimmer Wohnung befand. Seufzend zog ich meinen Schlüssel aus meinem BH und schloss dann die schwere Eingangstür auf. Dann lief ich die 3 Stockwerke nach oben, da unser Fahrstuhl leider dauerdefekt war. Oben angekommen schälte ich mich erst einmal aus diesem Presswurstkleid und machte mich dann auf den Weg in die kleine gemütliche Küche. Mit einem Schreibtisch in der Hand pflanzte ich mich auf die Arbeitsplatte und zückte dann einen Kulli. Was wollte ich eigentlich schon immer machen oder haben? Einen heißen Freund. Punkt 1 auf der Liste. Nein streicht das, ich wollte Adrian Hamilton als meinen festen Freund. Dem kleinen Player musste schließlich irgendjemand mal den Kopf verdrehen.
Ich wollte heiraten, Punkt 2.
Und ich wollte nach Afrika auf eine Safaritour. Punkt 3. Wunschlos glücklich pinnte ich mir den Zettel mit der Überschrift

Und in 5 Wochen bin ich tot.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt