Mein Wecker klingelte. So wie jeden Morgen. Ich stand auf und ging ins Bad. So wie jeden Morgen. Ich zog mich an und frühstückte zusammen mit meinem Bruder. So wie jeden Morgen. Mein Leben war langweilig. Wahrscheinlich war es das, weil ich bis jetzt schon mehr in meinem Leben erlebt hatte, als irgendein anderes Mädchen in meinem Alter und mir das auch bis zu meinem Lebensende reichen würde. Mein Name ist Emily Grace Coleman, ich bin sechzehn Jahre alt und gehe auf die State National Highschool. So wie jeder andere auch. Eigentlich wäre das hier ein ganz normaler Tag, stink langweilig und so wie die anderen 2555 langweiligen normalen Tage, doch heute war der Tag an dem ich meinen Chip bekam. Der Chip den heute jeder in meinem Jahrgang bekommen würde und der mich durchsichtig werden ließ. Ich würde ab heute nicht mehr ein einziges Geheimnis haben, denn sobald sie mir diesen Chip implantieren würden, könnten Sie auf Knopfdruck alles sehen, was ich denke und je gedacht habe. Sie würden meine Gefühle sehen, meine Erinnerungen. Einfach Alles. Sie würden auch sehen, ob ich eine Verletzung habe, ob ich Kopfschmerzen habe oder ob ich etwas verdorbenes gegessen habe, worauf mein Körper jetzt reagiert.
Wir lernten jeden Tag in der Schule, dass es gut war, dass dieser Chip gut war und dass das alles nur zu unserer Sicherheit da war. Wir würden überwacht, damit weiter Frieden herrschte und es nicht wieder zu einem so vernichtenden Bürgerkrieg wie vor fünfzig Jahren kommen würde. Zumindest sollten wir genau das glauben. Aber ich glaubte das nicht, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es gut war den Menschen ihre Privatsphäre bis aufs Letzte zu stehlen.
"Worüber denkst du nach?" Tobi, mein großer Bruder setzte sich mir gegenüber an den Esstisch. Ich antwortete nicht. Ich hatte schon oft mit ihm darüber geredet, wie ich darüber dachte, aber er hatte mir jedes Mal das gleiche gesagt 'Hör auf, so über den Staat zu denken. Sie wollen uns helfen und ohne sie würden wir mit Glück nur hungrig auf der Straße leben, mit Pech wären wir Tot!'. Nach dem Tod unsere Eltern hatte der Staat uns eine Wohnung gegeben, dafür, dass Tobi anfing bei Ihnen zu arbeiten. Er hatte in gewisser Weise recht, denn uns ging es gut. Wir hatten eine schöne Wohnung, Tobi verdiente zusätzlich sehr gut, wodurch wir uns sogar ein Auto leisten konnten. Und ich gehörte an unsere Schule zu der 'A-Class' , die höchst mögliche Klassenstufe, die es auf unsere Schule gab. Je mehr deine Eltern bezahlten, desto höher deine Klasse. Du bekamst besseres Essen, bessere Lehrer, warst in kleineren Klassen mit weniger Schülern in schöneren Klassenräumen und warst beliebter, denn deine Klasse erkennt man auf den ersten Blick an deiner Schuluniform. Grau - 'D-Class'. Gelb - 'C-Class'. Rot - 'B-Class'. Blau mit Silber - 'A-Class'. Wenn du in der Schule in der 'A-Class' warst, kamst du auch später in deinem Beruf in die 'A-Class' , und konntest deine Kinder auch wieder in die 'A-Class' in der Schule schicken.
"Hey, wenn du wegen dem Chip aufgeregt bist, dass tut nicht weh. Das geht ganz schnell vorbei. Zwei, Drei Minuten und dann kommt schon der nächste."
"Ich habe keine Angst vor den Schmerzen. Ich habe Angst vor den Konsequenzen."
"Emily!" Tobi sah mich streng an.
"Ich muss in die Schule. Bis heute Abend." Ich stand auf, nahm meine Tasche und ging.
Ich lief die Straße runter und stieg in die U-Bahn. Ich wollte nicht in die Schule. Nicht heute. Ich wollte wegrennen, aber wie flieht man vor dem Staat in dem man lebt?"Mr. Andrew Carter?" Der Junge vor mir in der Schlange wurde aufgerufen und verschwand in dem Raum. Tobi hatte Recht gehabt Zwei Minuten, ich hatte auf die Uhr geschaut.
"Mrs. Emily Grace Coleman?"
Ich ging dem Mann entgegen, der mir die Tür aufhielt. Er war ca. eins achtzig groß, Mitte dreißig und seine blonden Haare färbten sich am Ansatz leicht gräulich. Er lächelte mich freundlich an und stellte sich als Dr. Hanson vor.
"Deine Papiere?"
"Oh, ja." Ich wühlte meinen Ausweis aus der Tasche, zusammen mit der Krankenakte, die mir die Ärztin vorhin nach meiner Untersuchung in die Hand gedrückt hatte.
"Thomas Coleman. Dein Vater nicht wahr?"
"Ja, woher...?"
"Er war mein bester Freund in der Schule. Ich war noch auf der Hochzeit deiner Eltern, danach haben wir uns aus den Augen verloren" er klang aufeinmal traurig, "Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich." Er sah mich freundlich durch seine warmen, braunen Augen an.
"Danke."
Er holte die Pistole, mit der man den Chip in den Nacken geschossen bekam. Er zog am Lauf und es klackte einmal, woraufhin die Pistole einrastete. Als er auf mich zu kam wich ich zurück.
"Du brauchst keine Angst haben, man spürt es kaum. Es sieht schlimmer aus, als es wirklich ist."
"Ich weiß!" sagte ich "aber ich habe doch das Recht zu Fragen, wofür der Chip sorgt, oder?"
"Ja, na klar. Er überwacht dich, damit der Staat und seine Bürger in Frieden leben können."
"Aber was bringt das? Ich meine, selbst wenn sie sehen, dass ich jetzt Amok laufen will, ich aber schon an dem Ort bin wo ich es machen will, dann ist es doch zu spät? Dann können sie sowieso nicht mehr einschreiten und mich daran hindern."
Der Arzt sah mich auf einmal hoch interessiert an und musterte mich neugierig.
"Du hast Recht, das System hat vielleicht noch kleine Lücken, aber sie werden verschwinden, es wird Updates geben, die für mehr Sicherheit und Ruhe sorgen werden." Ich hatte auf der einen Seite das Gefühl, dass er mich abwimmeln wollte, aber auf der anderen, dass er was von mir erwartet, denn sah mich weiterhin gespannt an.
"Aber wenn es doch nichts bringt, dann hat der Staat doch nicht das Recht mich zu überwachen." Warf ich ein.
"Du bist sehr skeptisch. Versteh mich nicht falsch, dass ist gut. Mehr Menschen müssten so sein wie du, müssten so denken wie du."
Er drehte sich um und ging zu seinem Koffer, wo er die Pistole wieder ablegte. Er holte eine Ampulle, mit einer grellen, hellblauen Flüssigkeit, schraubte sie auf und zog eine Spritze damit auf.
"Was machen sie da?"
"Du möchtest nicht den Chip implantiert bekommen, hab ich Recht?" er antwortete nicht auf meine Frage, sondern stellte mir seine.
"Nein, möchte ich nicht. Wieso?"
"Du vertraust dem Staat nicht?" er antwortete mir wieder nicht. Ich zögerte. Ich wusste nicht, was in dieser Spritze war. Ich wusste nicht, ob es gut oder schlecht war,jetzt die Wahrheit zu sagen, aber ich machte es, denn es war mir egal, welche Konsequenzen es mit sich ziehen würde. Ich war es Leid, nicht sagen zu dürfen, was ich dachte. Wenn ich diesen Chip bekäme würden sie es sowieso wissen.
"Nein, ich vertrau dem Staat und seiner Ideologie nicht im Geringsten."
"Vertraust du mir?"
Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich hatte alles erwartet, wirklich alles, nur das nicht. Ich hatte erwartet, dass er mich auslacht, dass er die Polizei ruft, dass er mich mit dieser Spritze umbringt, aber nicht das. Er hatte mir erzählt, dass er meine Eltern gekannt hatte, er hatte mich freundlich angelächelt, aber er hätte lügen können. Er hätte sich das einfach ausdenken können, denn woher sollte ich wissen, ob er wirklich mit meinem Vater zusammen zur Schule gegangen war und ob sie wirklich Freunde gewesen waren? Und selbst wenn, warum sollte ich ihm nur deshalb vertrauen, für mich war er nach wie vor ein Fremder, ganz gleich ob er auf der Hochzeit meiner Eltern gewesen war.
Ich sah ihm lange in die braunen Augen, musterte sein Gesicht, und dachte nach.
"Ja, ich vertraue ihnen"
"Gut, denn ich vertraue auch dir, Emily"
Und mit diesen Worten kam er auf mich zu, setzte die Spritze an, an der Stelle wo er mir den Chip unter die Haut hätte schießen müssen und drückte. Ich spürte ein Brennen, was sich in meinem Nacken ausbreitete und dann sofort bis runter in meine Zehen schoss. So schnell wie der Schmerz gekommen war, verschwand er wieder. Ich sagte nichts, obwohl ich eine Million Fragen hatte, mindestens, ich sah ihn einfach nur an und ich hätte schwören können, dass seine Augen für eine Sekunde lang die Farbe der Flüssigkeit, die er mir gespritzt hatte, annahmen.
DU LIEST GERADE
Virus - #Wattys2016
Science Fiction"Sie alle schwimmen mit dem Strom, wie blinde, wehrlose Fische. Dumme Fische. Aber Dummheit wird sie nicht schützen. Im Gegenteil, sie wird sie noch hilfloser machen, als sie es sowieso schon sind. Aber du, Emily, du bist keine von ihnen. Du bist st...