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Ich hörte Stimmen. Sie waren kaum wahrnehmbar und es fühlte sich so an als würde ich unter Wasser auf dem Grund eines Sees liegen, während sich über der Oberfläche zwei Personen unterhielten.
Wie bei einem Radio, welches man langsam lauter drehte, drangen die Stimmen immer weiter zu mir durch. Es war eindeutig Dr. Hansons warme, melodisch klingende Stimme und noch jemand, dessen Stimme mir bekannt vorkam, aber ich wusste nicht wo ich sie schon einmal gehört hatte. Ich öffnete vorsichtig meine Augen und wurde von dem kalten Licht der Neonröhre über mir geblendet.Als sich meine Augen daran gewöhnt hatten richtete ich mich auf und stand von der Metallliege, auf der ich gelegen hatte, auf und sah mich um. Es war ein gefliester Raum und er wirkte kalt und bedrohlich und stand dadurch im komplett gegensätzlichen Vergleich zu Dr. Hansons Gesichtsausdruck. Jetzt wusste ich auch wem die andere Stimme gehört hatte. Die junge Sprechstundenhilfe aus Dr. Hansons Praxis hatte ihre langen, blonden Haare zu einem Knotem auf dem Kopf gedreht und hielt ein Klemmenbrett in der Hand, auf dem sie sich jetzt sorgfältig Notizen aufschrieb.
Wie von selbst drehte ich mich wieder herum und beachtete sie nicht mehr. Mein Beine bewegten sich, ohne das ich es bewusst steuerte, durch den Raum und ich legte eine Hand auf die gekachelte Wand und umrandete den Raum. Ich spürte jeden Riss und jede Fuge. Ich fühlte die Kälte, die sie ausstrahlten, wie sie sich um meine Fingespitzen schloss, wie jede einzelne Zelle abkühlte, bis die Kälte nicht mehr ausreichte. Ich war nicht fasziniert. Ich hatte keine Angst. Ich spürte in diesem Moment keinerlei Emotionen. In meinem Kopf schien ein Dichter Nebel zu sein, der mir die Kontrolle über meinen Körper und über meine Gedanken nahm, aber zugleich war alles um mich herum klarer als je zu vor in meinem Leben.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich sofort den gesamten Raum durchquerte und an der gegenüberliegenden Wand keuchend stehen blieb. Ganz genau beobachtete ich Dr. Hanson, wie er mich beobachtete. Wie hätte ich mich so schnell bewegen können. Ich hatte no h Nichteinhaltung geblinzelt, schon hatte ich an der gegenüberliegenden Wand gestanden.
"Emily?" Er kam einem Schritt auf mich zu und ich wich einen Schritt zur Seite um den Abstand zu verringern. Seine Stimme hatte, aus welchen unerfindlichen Gründen, keine beruhigende Wirkung mehr auf mich.
"Emily, kannst du mich hören?" Er machte einen weiteren Schritt. Ich wich einen weiteren zu Seite.
"Ja" mein normales Ich hätte einen Herzinfarkt erlitten, wenn es meine Stimme gehört hätte. Sie war kalt und gefühllos. Es klang... unmenschlich.
"Gut. Es ist wichtig, dass du jetzt zuhörst" er wartet, bis er die volle Aufmerksamkeit des   Etwas, welches ich zu sein schien, hatte und sprach dann weiter, "Du bist jetzt, soweit ich das beurteilen kann vollständig entwickelt. Wir werden noch einige Tests mit dir durchführen, um sicher zu gehen, aber erst einmal musst du zu dir Selbst zurück kehren. Kate wird dir jetzt etwas geben, was dir helfen wird, dich daran zu erinnern, wer du bist."
Die Sprechstundenhilfe kam langsam und mit bedachten Schritten auf mich zu. Ich blieb jetzt ruhig an der Wand stehen, kam ihr allerdings auch nicht entgegen.
Kate reichte mir einen Umschlag. Während ich ihn öffnete sich sie schnell vor mir zurück und stellte sich neben Dr. Hanson.
Es war ein Foto auf dem eine Familie zu sehen war. Ein Mann der einen Arm um einen Jungen gelegt hatte und den anderen um eine Frau. Die Frau hielt ein Baby im Arm, vermutlich ein Mädchen, da sie einen Jeansrock und eine rosa Strickjacke trug. Ich sah mir das kleine Mädchen genauer an. Braune, seichte Wellen, die über ihre Schulter fielen und ihr Gesicht umrahmten und kleine braune Augen, die glücklich in die Kamera strahlten.
"Sieh es dir genau an. Erinnere dich an das, was du bist" die Stimme schien von weit herzukommen. Es waren meine Braunen Haare und meine braunen Augen. Die Frau die mich hielt war meine Mom. Hinter ihr stand mein Dad, der meinem Bruder Toby im Arm hatte. Die Emotionen, die eben nicht zu existieren schienen, kamen alle wieder. Tränen stiegen mir in die Augen. Ein Gefühl tiefer Traurigkeit und Sehnsucht ergriff mich und ich musste mich zusammenreißen nicht laut aufzuschluchzen. Ich umklammerte das Bild so fest es ging und zwang mich die heißen Tränen in meinen Augen wegzublinzeln.
"Darf... Darf ich es behalten?" fragte ich mit belegter Stimme.
"Das musst du sogar. Es wird dir helfen, dich zurückzuverwandeln und dir das Training etwas erleichtern"
"Training?"
"Du solltest jetzt erst mit dem anderen zu Abend essen und dann in mein Büro kommen, dort werde ich dir alles wie versprochen erklären"
"Abend essen... Wie spät ist es? Aber es war doch Abend, als ich bei mir war? Wo bin ich überhaupt?" Jetzt erst bemerkte ich, dass ich nicht die leiseste Erinnerung an die letzten Stunden?... Tage?... Jahre? hatte.
"Ich werde dir alle deine Fragen beantworten, aber dein Körper hat viel Energie verbraucht, die du wieder zu dir nehmen solltest. Kate wird dich zum Speisesaal begleiten"
Mit einem Freundlichen Lächeln ging sie voraus und gab etwas in ein Tastenfeld ein, woraufhin sich die Tür öffnete. Wir liefen durch einen hellen, weißen Gang ohne Fenster. Er hatte die Form eines Tunnels, mit gebogene Wänden und ich fühlte mich, als würde ich durch ein Rohr gehen. Am Ende blieb Kate vor einem Aufzug stehen und tippte wieder etwas auf einem TouchPad ein. Die Aufzugtüren öffneten sich und wir stiegen ein. Die gesamte Zeit schwiegen wir, weshalb ich anfing mir die Knöpfe für die Etagen anzusehen. U3, U2, U1, EG, 1, 2, 3, 4. Ich fragte mich in welchem Gebäude wir wohl waren und war auf einmal seltsam nervös. Gleich würde ich sehen wo ich war, gleich gäbe es Fenster. Der Aufzug hielt mit einem Pling und Kate stieg aus. Anscheinend waren wir im Erdgeschoss irgendeines alten Gebäudes. Der Tunnel aus dem wir kamen war hell und modern gewesen, doch jetzt stand ich in einem alten Gebäude, was von innen aussah wie ein Schloss. Wir waren in einer Art Empfangshalle angekommen und über dem Mamorboden hing ein riesiger Kronleuchter. Es sah wunderschön aus.
"Hier entlang" Kate hatte eine sehr hohe Stimme und erinnerte mich damit irgendwie an eine kleine, verletzliche Maus. Ich nickte und folgte ihr in einen Flur, den wir wieder schweigend entlang liefen. Als ich aus den Fenstern sah erkannte ich nichts. Dort war ein riesiger Schlosspark, mehr aber auch nicht. Nirgendwo in unserer Stadt stand ein Schloss.
"Wo sind wir?" fragte ich vorsichtig.
Kate lächelte und sagte dann "Wirst du noch erfahren"
Also langsam fand ich es echt nervig, dass mir nie jemand meine Fragen beantworten wollte.
Es wurde immer lauter und ich hörte Stimmengewirr von irgendwoher. Ich versuchte mich auf einzelne Stimmen zu konzentrieren, aber es funktionierte so gut wie gar nicht.
Kate öffnete schwungvoll eine riesige, hölzerne Flügeltür und sie gab ein lautes knarren von sich. Die Stimmen waren aus einem riesigen Speisesaal gekommen und jetzt verstummten sie augenblicklich. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Da ich keine Ahnung hatte was ich jetzt tun sollte, sah ich zu Kate, die Gott sie dank anfing zu sprechen.
"Das ist Emily! Sie ist ab so fort eine von uns. Die letzte" und damit schob sie mich in den Raum und schloss die Tür hinter mir. Wie vom Blitz getroffen blieb ich stocksteif stehen. Langsam breitet sich nervöses Getuschel aus und ich wünschte mir die Stille zurück. Ich ließ meinen Blick über die Tischreihen wandern und entdeckte Daemon. Total überfordert, was ich tun sollte ging ich auf ihn zu. Er war der einzige den ich kannte auch wenn ich ihn nicht mochte. Als ich vor dem Tisch stand sahen sie mich alle an und Daemon blickte auf "Du kannst hier nicht sitzen, hier sitzen die Älteren" seine Stimme war kalt wie Eis. Die Leute an seinem Tisch lachten. Mir stieg die Röte ins Gesicht, vor Scham und vor Ärger.
"Ich kenne aber niemanden außer dich" sagte ich vorsichtig.
"Dann lern jemanden kennen" seine Augen funkelten mich bedrohlich über den Tisch hinweg an. Ich platze fast vor Wut, als jemand nach meiner Hand griff und mich wegzog. Die kleine, warme Hand gehörte einem Mädchen mit dunkelblonden Haaren und dunkelblauen Augen.
"Komm, bei uns ist noch ein Platz frei" sagte sie und zog mich rüber zu ihrem Tisch. Dann drehte sie sich um und rief "Ihr könnt ruhig alle weiter essen" durch die Halle, und alle widmeten sich wieder ihren Gesprächen zu. Sie war so alt wie ich und an dem Tisch an dem ich jetzt saß, lächelte mich ein Junge mit einem locken Kopf an. Ich setzte mich ihm gegenüber, neben das Mädchen was mich gerettet hatte und lächelte zurück.
"Ich bin Hazel und das ist Robbie" Sie zeigte auf den Jungen mit der Brille und den schwarz gelockten Haaren.
"Ich heiße Emily-"
Hazel schnitt mir das Wort ab "- Grace Coleman! Wissen wir natürlich! Du bist die Letzte!"
"Was? Das hat Kate auch schon eben gesagt...?" Ich starrte die beiden verwirrt an.
"Na, die Letzte! Seit Tagen reden alle nur noch von dir"
"Du bist Gesprächsthema Nummer eins!" Schaltet sich jetzt Robbie ein.
"Aha..." anscheinend war ich nicht annähernd so beeindruckt n, wie ich hätte sein sollen, denn beide sahen mich missbilligend an.
"Dann hattest du wohl noch nicht dein Gespräch mit Dr. Hanson?" Robbie schob sich die Brille mit dem Zeigefinger höher auf der langen, spitzen Nase.
"Äh nein... Ich glaub das habe ich nach dem Abendessen"
"Sie weiß noch nicht einmal was wir sind und was sie ist, warum lassen sie sie dann schon zu uns?!" Ein Mädchen mit kurzen, schwarzen glatten Haaren und fast schwarzen Augen sah wütend zu mir rüber.
"Ava, halt die Klappe!" genervt drehte sich Hazel zu mir und flüsterte so, dass nur ich es hören konnte "Ava Williams. Halt dich am besten fern von ihr, sie kann schonmal launisch sein, was zusammen mit der Tatsache, dass sie die beste Kämpferin ist, sie schonmal ziemlich gefährlich werden lassen kann. Naja , am besten du gehst ihr aus dem Weg und provozierst sie nicht"
Ich schnaubte. Ich war niemand der sich von anderen gerne rumkommandieren ließ und auch wenn mein Bruder es als Zickig beschrieb sah ich das eher als kämpferisch. Nur weil ich neu hier war, hieß das nicht, dass ich mich von Ava und vor allem von Daemon nicht so behandeln lassen musste. Daemon hatte mich vor allen gedemütigt und dafür hasste ich ihn. Ava war mir eigentlich noch relativ egal und ich hielt mich an Hazels Rat, nicht zurück zu Giften, weil ich an meinem ersten Tag wo auch immer nicht gleich Streit anfangen wollte. Während wir aßen erzählten mir Hazel und Robbie von sich und ich erfuhr, das Hazel auf irgendeiner Krankenstation aushalf und Robbie ein echtes Computer Genie war. Die beiden waren wirklich nett und begleiteten mich schließlich nach dem Essen zu Dr. Hansons Büro. Auf dem Weg dahin fiel mir etwas ein, was ich vorhin schon beim Essen hatte fragen wollen "Könnt ihr mir das mit der Letzten erklären? Ich Blick da irgendwie nicht so ganz durch..."
"Naja du bist die Letzte von uns. Letztes Jahr, also in unserem Jahrgang, hat Dr. Hanson nur vier Leute anstatt fünf verwandelt, weil er meinte er würde die letzte Spritze gerne erst nächstes Jahr einsetzten" erklärte mir Robbie.
"Und dann wussten natürlich alle, dass er auf jemanden besonderen wartet, den er unbedingt noch mit ins Boot holen wollte. Also auf dich!" fügte Hazel hinzu.
"Also werden nach mir keine.... Was auch immer... Mehr kommen?"
"Vermutlich nicht. Die Spritzen sind aufgebraucht und niemand außer Dr. Hanson weiß wo sie her kommen oder ob und wie man sie nach machen könnte" Robbie gähnte.
"Hm" Mein Kopf tat weh. Eine Antwort warf  nur wieder fünf neue Fragen auf und ich hatte keine Ahnung ob es besser oder schlimmer werden würde, wenn ich endlich mein Gespräch mit Dr. Hanson hatte. Vor einer weiteren großen Holzflügeltür im vierten Stock blieben Robbie und Hazel stehen. Unsicher drehte ich mich zu Ihnen um "Und ihr könnt wirklich nicht mitkommen?"
"Sorry, aber da musst du leider alleine durch, aber die Untersuchungen morgen werden noch hundertmal schlimmer" und mit diesen Worten ließen sie mich stehen und waren innerhalb der nächsten zwei Sekunden verschwunden.

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