Kapitel 76

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Wütend knurrend stellte Luke sich über mich. Lena ließ sich entsetzt vor mich fallen.
Wir beide starrten voller entsetzen auf meine Hand.
Luke duckte sich leicht und knurrte wieder.
Christoph zog mich mit Lenas Hilfe unter Luke hervor und setzten mich hinten in seinen Audi.
Damian hatte mir die beiden Finger fast abgebissen.

Christoph raste die Straße entlang. Luke atmete flach. Lena hielt mich fest.

"Sag was, meine Süße. Warum sagt sie nichts?" hörte ich Lukes murmelnde Stimme, aber es klang weit weg.

"Das kannst du gerade nicht erwarten, Luke. Sie steht unter Schock. Würde ich auch." sagte Lena. "Chrissie, fahr schneller! Sie blutet immer noch!"

"Zu Luke sagst du immer, dass...."

"Es geht um das Soulmate meines Bruders! Sie ist verletzt! Fahr zum nächsten Krankenhaus!" fauchte Lena Christoph an.
Christoph gab tatsächlich mehr Gas, als Luke, wenn er so über eine Straße raste.

"Kein...Krankenhaus..." stotterte ich. Luke seufzte erleichtert.

"Aber es geht nicht anders, Jennica. Du musst ärztlich versorgt werden. Vielleicht noch Medikamente bekommen." sagte Lena.

"Kein....Krankenhaus....Bitte..." sagte ich schwach. Christoph hielt auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Ich kannte es.

"Nein. Bitte nicht." winselte ich, als Luke, Christoph und Lena versuchten, mich aus dem Auto zu zerren.
Luke nahm mein Gesicht in seine Hände.

"Bitte, meine Süße. Das muss sein, nur zur Sicherheit. Dir soll....."

Langsam aber sicher blendete ich alles aus.
   Ich sah, wie meine Mom mit ihrem alten Skoda auf den Parkplatz fuhr und hielt. Sie stieg aus, ging um das Auto herum und machte sich dann hinten an etwas zu schaffen. Kurz darauf hatte sie mich auf dem Arm, als ich drei war. Kurz nach Dads Tod.
Sie war langsam ins Krankenhaus gegangen.
Drinnen schlug mir damals ein grauenhafter Gestank entgegen. Aber entweder konnte nur ich es riechen oder ich bildete es mir damals ein.
Meine Mom gab der Sekretärin oder was auch immer sie war einen Zettel. Diese sagte irgendwas. Mom folgte ihr. Sie führte uns lange Gänge entlang.
Die Menschen, die uns begegneten sahen sehr gruselig aus. Entweder waren sie Skelette oder ihre Haut war so durchscheinend, das man die Knochen sehen konnte. Sie starrten mich mit gruseligen, leeren, kalten Augen an, bis wir vorüber waren (Eine Psychiaterin, bei der ich danach mal war meinte, ich würde wegen Dads Tod alles im Krankenhaus mit dem Tod in Verbindung bringen. Oder sowas.)

Eine Ohrfeige holte mich wieder in die Gegenwart zurück.
Verwirrt und verängstigt sah ich in das blasse Gesicht von Lena, und das wissende einer Ärztin.
Dr. Desseps, die verkündet hatte, mein Vater wäre tot. Keine Wiederbelebungs-Chancen. Mausetot. Und dann hatte sie mir damals einen Lolli angeboten.
Ich wurde von Luke und Christoph einen Gang entlanggeschleift.
Damals hatte ich geglaubt, eine mysteriöse Gestalt gesehen zu haben. In einem schwarzen Umhang mit Sense. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ich hatte damals diesen Ort mit dem Tod verbunden.
Ich wurde in ein behandlungszimmer gebracht und auf einen Stuhl gesetzt.
Fast erwartete ich, das in dem Raum wieder die Trage mit Dads totem Körper zu sehen war.
Dr. Desseps' Lolli-Box war auf jeden Fall noch da.
Meine Mom hatte mich auf den Boden gesetzt, sich auf einen Stuhl fallen lassen, und hemmungslos angefangen, zu weinen. Ich wollte nicht akzeptieren, das Dad tot war. Ich kletterte auf die  Trage und setzte mich auf seinen Brustkorb. Ich rief nach ihm, boxte, trat, schlug, streichelte Dad, aber er wachte nicht auf.
Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und engeengt zu werden.

Nachdem damals, als dreijährige nichts geholfen hatte, um Daddy zu wecken, hatte ich Mom gesagt, dass ich auf Toilette musste.
Dr. Desseps hatte mir einen Lolli gegeben und gesagt, ich solle zur netten Dame am Empfang gehen.
Dabei kam ich am Wartezimmer vorbei. Auf einem Kinderstuhl an einem Kindertisch vor dem Wartezimmer saß der kleine Junge, den ich schon im gebüsch gesehen hatte. Neben ihm saß ein kleines Mädchen. Beide hielten sich fest. Sie weinte in seinen Pulli.
Ich hatte ihm den Lolli hingehalten.

"Willst du den Lolli haben?"

Er starrte mich nur an, aber das Mädchen guckte vorsichtig. Ich gab ihr den Lolli.

"Willst du den haben?"

Vorsichtig, als würde ich die Hand jederzeit wieder wegziehen und lachend davon rennen, streckte die damals ebenfalls dreijährige Lena die Hand nach dem Lolli aus und nahm ihn.
Keiner sagte mehr was. Ich sah zu den beiden hinunter, sie zu mir auf.

Gold (Part 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt