Die Bibliothek war der einzige Ort, der im Moment sicher war. Es war, als hätte sie einen eingebauten Spürsinn, mit dem sie mich einfach überall finden konnte um dann irgendetwas peinliches zu tun.
Ich war im ersten Jahr, gerade einmal zwei Wochen auf der Schule und meine große Schwester Jimin konnte sich gar nicht einkriegen vor Freude, dass wir endlich wieder die selbe Schule besuchten. Sie war nervig, verfolgte mich und fragte dämliche Sachen. Was für Freunde ich hatte, welche Lehrer und ob ich Anschluss fand. Sie musste nur den Mund aufmachen und ich war angepisst. Sie wusste, wie ich so etwas hasste.
Und weil sie aus mir nichts heraus bekam, stalkte sie meine Klasse und klopfte zum Beispiel mitten im Unterricht an der Tür, nur weil sie sich "im Raum geirrt hatte". Jimin war wahrscheinlich die peinlichste Schwester auf dem ganzen Planeten.
Nur in die Bibliothek kam sie nicht. Sie hasste sie, fand sie langweilig und unnütz, was mir endlich einen Ort brachte, an dem ich alleine sein konnte.
Für mich waren Bücher das Beste, was es gab. Sie halfen mir, diese nervige Welt voller nerviger Menschen abzuschotten.
Ich lehnte mit dem Rücken gegen das eine Regal und laß in 'Alice im Wunderland'. Ich kannte bereits die koreanische Version, aber die englische war fast noch besser und auch wenn es mir nicht gerade leicht fiel es zu lesen, so brachte es mir doch Spaß mich durch die Fremdsprache zu arbeiten.
Ich stieß mich ab, blickte weiterhin auf das Buch nieder und setzte einen langsamen Schritt vor den anderen. Hier um die Ecke gab es bestimmt Sitzgelegenheiten. Ich würde die ganze Mittagspause hier bleiben, damit ich Jimin nicht über den Weg laufen musste. Das machte ich nun seit einer Woche so und es klappte hervorragend, ich hatte sowieso niemanden, mit dem ich hätte essen gehen können.
Ich bog um die Ecke, blätterte eine Seite des Buches um und begann den neuen Satz zu lesen, meine Stirn gekraust vor Konzentration. Ich bog in den nächsten Gang ein und plötzlich stolperte ich.
Ich riss den Kopf hoch, versuchte irgendwo Halt zu finden, doch ich fiel ohne das etwas mich aufhielt. Meine Hände kamen zuerst an, ich versuchte mich abzustützen, doch landete schließendlich völlig ausgestreckt auf dem harten Boden, das Buch machte ein lautes Geräusch, als es auf den Boden aufschlug. Ich verzog das Gesicht, als ein Schmerz durch mein Knie jagte.
"Was zum Teufel sollte das?!", schrie ich und drehte mich wie wild geworden um.
Hatte man mir jemand ein Bein gestellt?! Welcher Vollidiot hatte den Fehler gemacht und wollte sich mit mir anlegen, das wird er noch bereuen!
Ich drehte mich, bis ich auf meinem Hintern saß und sah, wieso ich gefallen war. Oder wegen wem. Ein Junge lag ausgestreckt im Gang, sein Oberkörper gegen das Bücherregal gelehnt, die Augen geschlossen. Er hatte lange Beine, die den ganzen Gang versperrten und über eben diese war ich gefallen.
"Hey! Vollidiot!", zischte ich und trat ihm gegen das Bein.
Er reagierte nicht und einen Moment fragte ich mich ob er im Schlaf erstickt war, aber plötzlich stöhnte er und rieb sich mit der Hand über das Gesicht.
"Lass mich in Ruhe", hörte ich ihn murmeln und hob fassungslos die Augenbrauen.
"Ich sagte aufwachen, Idiot!"
Ich trat fester zu und er nahm genervt die Hand vom Gesicht und blinzelte mir müde entgegen. Wieso saß er überhaupt auf dem Boden in der Bibliothek und machte einen Mittagsschlaf?
"Was ist?", fragte er genervt.
"Wegen deiner dummen Aktion habe ich mich abgepackt, also verleg dein Nickerchen gefälligst woanders hin!", meckerte ich und erst jetzt schien er zu realisieren, dass ich über ihn gefallen wer. Aber wer hatte auch bitte so lange Beine?
"Hm?"
Wow, was für ein Spätzünder. Sein Gesicht verlor den genervten Ausdruck und stattdessen trug er nun einen verwirrten.
"Ach vergiss es, Blödmann. Leg dich einfach woanders hin, wir wollen ja nicht, dass sich jemand wegen dir sein Bein bricht!"
Ich wollte mich vom Boden abdrücken, doch mein Knie schmerzte noch. Kurz verzog ich mein Gesicht, versuchte mir allerdings nichts anmerken zu lassen und erhob mich auf die schmerzenden Beine. Was für ein Idiot.
Ich drehte mich um und humpelte zum Ende der Regalreihe, hörte aber hinter mir Geräusche, als würde er sich vom Boden erheben. Hoffentlich legte er sich wirklich woanders hin.
"Hey, du hast dein Buch vergessen!", hörte ich ihn mit einer tiefen Stimme sagen.
Ich blieb nicht stehen und humpelte weiter, hörte Schritte hinter mir und dann schloss sich eine Hand um mein Handgelenk, die mich vom Weitergehen abhielt.
Ich wirbelte wütend herum und blickte gegen seine Brust. Langsam hob ich den Kopf, nur um festzustellen, dass er mich um fast zwei Köpfe überragte. Verdammt, war der groß. Das schüchterte mich nun doch ein und ich hielt den Mund.
"Hier, dein Buch."
Er hielt mir 'Alice im Wunderland' hin und ich nahm es vorsichtig an und hielt es mir vor den Brustkorb, als wollte ich es beschützen. Er hatte dunkle Haare, die ihm ins Gesicht fielen und abstehende Ohren. Und er war riesig. Er war jemand, der mir aufgefallen wäre, wenn er in einer meiner Kurse wäre, doch ich hatte ihn noch nie gesehen.
"Tut mir Leid, ich hatte nicht viel Schlaf heute Nacht und hier ist es schön ruhig."
Ich nickte und drehte mich um um weiterzugehen, doch er ließ nicht los. Das sollte er aber lieber, wenn er sich nicht eine fangen wollte! Ich konnte es gar nicht ab, wenn Männer mich anfassten.
"Hast du dir wehgetan?"
Machte er jetzt einen auf fürsorglich? Er hätte nicht im Weg herum liegen sollen, dann wäre auch nichts passiert.
"Halb so wild", murmelte ich und wollte mich wieder wegdrehen.
"Du hast dir dein Knie aufgeschlagen", bemerkte er und beugte sich runter um einen Blick drauf zu werfen.
Ich versuchte meine Hand aus seinem Griff zu befreien, doch auch seine Hände waren riesengroß im Gegensatz zu mir und er musste nicht einmal Kraft anwenden um mich an Ort und Stelle zu behalten. Wie ich große Leute hasste. Gut, eigentlich hasste ich jede Art von Leuten.
"Wie heißt du?"
Ich antwortete nicht.
"Lass mich los", sagte ich.
Er ließ sofort meinen Arm los und blickte mich mit einem überraschten Blick an, als hätte er das nicht erwartet.
"Du bist im ersten Jahr, oder?", fragte er.
Ich nickte. Konnte ich jetzt gehen? Ich mochte es nicht, wie er mich musterte.
"Ich bin Park Chanyeol."
"Ah ja."
Er grinste über meine Gleichgültigkeit und kratzte sich am Hinterkopf. Dass er eben noch genervt gewesen war, weil ich ihn geweckt hatte, sah man ihm nun nicht mehr an. Er schien ein sehr fröhlicher Mensch zu sein, so breit wie er grinsen konnte. Jimin war genau wie er. Wahrscheinlich hatte er genauso viele Freunde wie sie, Menschen fühlten sich meistens zu Leuten wie ihnen hingezogen. Ich konnte nicht gut mit anderen.
"Kann ich jetzt gehen?"
"Du sprichst ganz schön unhöflich, findest du nicht?", fragte er und plötzlich begriff ich, was er meinte. War er so viel älter als ich? Er könnte auch mein Alter sein, sein Gesicht war jung, besonders wenn er lächelte. Ich hatte nicht in Erwägung gezogen, dass er in höheren Klassen sein könnte. Kannte er vielleicht Jimin?
"Kann ich jetzt gehen, Sunbae?", fragte ich genervt und er grinste wieder.
Hatte er vor damit nicht mehr aufzuhören? Ich hatte schon mehr von seinen Zähnen gesehen als von jedem anderen Menschen, den ich kannte. Jimin hatte ihrem Mund beim Lachen wenigstens zu.
"Du bist ziemlich grimmig, oder? Ein kleines Lächeln würde nicht schaden. Die Schule hat doch gerade erst für dich angefangen, sei nicht so pessimistisch."
Wollte er mir jetzt einen Vortrag halten? Ich würde schnellstmöglich einen Abgang machen, bevor er auf irgendwelche dummen Ideen kam.
"Ich gehe jetzt, Sunbae. Schlaf ruhig weiter oder geh irgendjemand anderen auf die Nerven."
Er lachte auf über meine Wortwahl, nie hatte ich so frech mit einem Älteren geredet, aber ihn schien es nicht groß zu stören.
"Du solltest ins Krankenzimmer gehen und das Verbinden lassen."
"Das ist keine Fleischwunde. Ich werde es überleben."
Ich drehte mich um und kehrte ihm den Rücken zu, meine Schritte waren energisch. Auch wenn ich immer noch leicht humpelte. Super, Jimin würde bestimmt denken, ich hätte mich mal wieder mit irgendjemanden geprügelt oder etwas derartiges. Aber nein, ich war nur über einen ihrer dummen Mitschüler gefallen.
Ich war schon fast an der Tür angelangt, als diese sich plötzlich öffnete und meine Schwester eintrat. Verdammt. Was tat sie hier? Normalerweise mied sie die Bibliothek, als wäre es eine ansteckende Krankheit, also was hatte sie hier zu suchen? Sie suchte mich.
Wir blickten uns an und ich stürmte sofort in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich hatte nun wirklich keine Lust auf sie.
"Miseon! Warte, bleib stehen!"
Ich blieb nicht stehen. Schnell verschwand ich wieder zwischen den Bücherreihen, doch sie war dicht hinter mir und folgte mir in die Reihe.
"Wieso läufst du vor mir weg?", rief mir meine Schwester belustigt hinterher.
Ich humpelte so schnell ich konnte um die Ecke und sah den Idioten von eben neben einem seiner Klassenkameraden stehen. Ich musste hier weg und er war mir etwas schuldig. Wenn er wirklich so besorgt um mich war, sollte er mir jetzt gefälligst helfen!
Ich ging hastig auf ihn zu und zupfte an seinem Ärmel. Er drehte sich um und blickte überrascht zu mir herunter.
"Los, lass uns ins Krankenzimmer gehen", sagte ich schnell und er nickte einfach nur und verabschiedete sich von seinem Freund.
"Hey, bleib stehen!"
Ich drehte mich um und hoffte einfach daran, dass er ein einigermaßen guter Schauspieler war.
"Jimin, lass mich in Ruhe, okay? Ich habe gerade eine Verabredung mit Sunbae", sagte ich und drehte mich wieder um.
Ich schob ihn vor mir her. Jimin sprach nicht viel mit Jungen. Sie war zwar sehr beliebt unter den Mädchen, doch bei Jungen wurde sie schüchtern und kleinlaut. Und er war wirklich riesig, das schüchterte sie wahrscheinlich noch mehr ein. Und deswegen sagte sie auch nichts, als ich ihn aus ihrem Blickwinkel schob. Wir gingen zu einem der Ausgänge der Bibliothek und erst als wir den sonst sicheren Raum verlassen hatten, atmete ich durch.
Ich sah ihn grinsen. Gut, das würde jetzt noch mal peinlich werden, aber dann würde ich ihn hoffentlich nie wieder sehen.
"Dann hättest du mich auch gleich Oppa nennen können", meinte er und ich starrte ihn böse an.
Aber nein, eigentlich sollte ich dankbar sein, dass er kurz mitgespielt hatte. Sie würde mich für den Rest des Tages in Ruhe lassen, da war ich mir sicher. Das würde himmlisch werden!
"Vergiss es. Trotzdem danke. Ich bin dann mal weg", sagte ich und wählte den Weg, der zu meinem Klassenzimmer führte.
"Jetzt bringe ich dich aber auch wirklich ins Krankenzimmer. Das da sollte sich jemand angucken, nicht dass du an einer Blutvergiftung oder so etwas stirbst."
"Du kennst dich nicht sonderlich gut mit Verletzungen aus, nicht wahr?", fragte ich sarkastisch und mit gekreuzten Armen.
Er schüttelte den Kopf und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
"Ich hatte schon weit aus schlimmere Sachen als das da", antwortete ich und humpelte dann davon.
Er holte mich ein, legte seine Hände auf meine Schultern und dirigierte mich in den Flügel der Schule, wo das Krankenzimmer lag. Ich seufzte und meckerte, doch er ließ alles an sich abprallen und grinste die ganze Zeit nur. Fand er mich etwa amüsant? Daraufhin hielt ich die Klappe und ging einfach mit.
Endlich kamen wir an und er blieb stehen, ließ mich los.
"Verrätst du mir jetzt deinen Namen?", fragte er.
"Nein. Und da kann ich alleine reingehen, du kannst gehen."
"Ich glaube, ich nenne dich Alice", murmelte er plötzlich und zeigte auf das Buch, dass ich noch immer mit mir herum trug. "Sie ist schließlich auch gefallen, als ihr Abenteuer begann."
"Und wer bist du? Der verrückte Hutmachter, die kiffende Katze oder der Drachen, den ich umbringen muss?"
"Der Märchenprinz."
Ich lachte auf und schüttelte den Kopf, öffnete die Tür zum Krankenzimmer.
"Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber den gibt es leider nicht."
"Ach weißt du, ich bin erfinderisch! Dann schreiben wir die Geschichte halt neu."
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I just call you Alice [Park Chanyeol]
Fanfiction~"Verrätst du mir jetzt deinen Namen?", fragte er. "Nein. Du kannst gehen." "Ich glaube, ich nenne dich Alice", murmelte er plötzlich und zeigte auf das Buch, das ich noch immer mit mir herum trug. "Sie ist schließlich auch gefallen, als ihr Abenteu...