Das, in dem ihr Talent ihr zum Verhängnis wird

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Jimin und ich warteten im Wohnzimmer auf ihr Kommen, die Fremdsprachenbücher aufgeklappt und die Hausaufgaben ausgebreitet. Eigentlich hatte ich mich aus dem Staub machen wollen, denn ich hatte nicht vor Chanyeol nach dem letzten Treffen zu begegnen. Ich hatte mich die letzten Schultage auch nicht zu ihm und den anderen gesetzt, war so gut es ging dem Jungen aus dem Weg gegangen. Dies war die erste Phase meiner Entliebung: Park Chanyeol meiden. Wenn ich es nicht tun würde, würde ich verrückt werden, denn ich mochte diesen lauten Jungen viel zu sehr als dass ich über seine Freundin hinwegsehen könnte. Es tat weh.
"Miseon-ah, wieso wolltest du heute nicht helfen? Ich dachte, du hättest dich mit ihnen über die Monate angefreundet. Ist irgendetwas passiert?", fragte Jimin, da sie meine schlechte Laune wohl bemerkt hatte.
Ich zuckte nur mit den Schultern und biss mir auf der Lippe herum. Ich wollte ihr nicht den wahren Grund erzählen, doch sie würde als meine Schwester meine Lüge durchschauen. Sie sollte auf keinen Fall von meiner Zuneigung gegenüber Chanyeol erfahren, das würde alles nur komplizierter machen.
"Du warst doch neulich mit allen weg, nicht wahr? Im Kino?"
Ich warf ihr einen kurzen Blick zu um sicherzugehen, wie viel sie wusste. Wusste sie von meinem kleinen Ausraster und wie daneben ich mich benommen hatte? Wusste sie von meiner Überraschung, als ich Sunny kennen gelernt hatte?
"Ja, wieso fragst du", gab ich bissig zurück.
"Chanyeol... Chanyeol hat eine Freundin, nicht wahr?", fragte sie unsicher und bei ihrem Tonfall schnürte es mir die Kehle zu. "Ich hatte es vor einiger Zeit von einer Freundin gehört..."
"Jimin, magst du Sunbae?"
Mit all meiner Kraft hatte ich möglichst neutral die Frage herausgepresst und meine Schwester riss überrascht den Kopf rum. Verdammt. Ihre Reaktion hatte sie verraten, ihre ganze unsichere Stimmung. Das war der Albtraum jedes Mädchens: Den selben Jungen wie die Schwester zu mögen. Ich schluckte, versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch Jimin war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie die kleinen Sachen gemerkt hätte, die mich verrieten. Sie waren in einer Klassenstufe. Sie waren ein Alter. Sie kannten sich länger. Jimin war so hübsch. Sie war wie er. Sie hatte bessere Chancen als ich. Das war das einzige, dass mir durch den Kopf ging. Sie hatte bessere Chancen als ich.
"Ja, Chanyeol hat eine Freundin. Sie heißt Choi Sunny, ist unfassbar hübsch und klug und freundlich und sie passen sehr gut zusammen. Ich glaube sie sind schon länger ein Paar, auch wenn sie nicht auf unsere Schule geht", schoss es aus meinem Mund und am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt.
Ich war gemein, ich musste meiner Schwester nicht noch vor die Nase halten, was für eine tolle Freundin der Junge hatte, den wir beide mochten. Sie senkte den Kopf und nickte langsam und ich schämte mich dafür, dass es mir plötzlich besser ging.
"Ich finde ihn auch nur nett... Nichts ernstes", spielte sie es herunter und ich hatte das plötzliche Bedürfnis nach einem Themenwechsel.
Dieser kam dann auch, als es laut an der Tür klopfte und wir uns vom Boden erhoben um den Nachhilfeschülern die Tür aufzumachen. In meinem Bauch zog sich alles zusammen: Gleichzeitig Aufregung ihn wiederzusehen und andererseits die Vorbereitung darauf bei seinem Anblick wieder verletzt zu werden.
Wie eine Bescheuerte raste meine Mutter an uns vorbei und riss die Tür auf um ihre neuen Adoptivkinder in den Arm zu nehmen. Meine Mutter liebte Chanyeol, Baekhyun und Jongdae und wollte sie am liebsten schnellstmöglich in die Familie aufnehmen. Wenn sie hier waren, bemutterte sie sie wie ihre eigenen Kinder und vergaß dann eben diese. Andererseits war es auch ganz nett, dass nicht ich die war, die sie nun immer nervte. Doch die Jungen schienen sie auch zu mögen und hießen all die Fürsorge willkommen.
"Da sind ja meine Jungs!", sagte sie strahlend. "Kommt schnell rein, es wird draußen langsam kühler, nicht wahr? Ihr müsst immer Schal und Handschuhe dabei haben, damit ihr euch nicht erkältet! Ich koche euch einen Tee, damit euch wieder warm wird! Kommt rein, kommt rein!"
"Es ist doch erst Okotober, Mrs Oh..."
Sie stürzte sich auf sie wie ein Löwe auf eine Schafsherde. Baekhyun und Jongdae traten mit einem etwas irritierten Blick ein, begrüßten meine Mutter und verbeugten sich.
"Himmel, ihr seid immer so höflich", sagte sie entzückt und tätschelte Baekhyun die Schulter. "Aber wo ist Chanyeol denn?"
Ich lehnte mich zur Seite um zu sehen, wo der Große blieb, doch die Jungen schlossen hinter sich die Tür. Nur zu zweit. Wo war er?
"Chanyeol kommt etwas später, er hat noch etwas zu tun."
"Jimin, Miseon! Helft unseren Gästen gefälligst mit den Jacken", grummelte meine Mutter in unsere Richtung und schnell gingen wir auf sie zu. "Ich koche Tee."
Und damit stürmte meine Mutter davon und ich atmete erleichtert aus bei ihrem Gehen. Baekhyun lächelte zu mir herunter, als ich ihm die Jacke abnahm und sie weg hängte. Jimin sprach leise mit Jongdae, der sie anstrahlte, während Baekhyun mir aufmerksam zuschaute.
"Tut mir Leid", brachte ich knapp heraus und er hob verwundert die Augenbrauen.
"Was tut dir leid?"
"Dass ich neulich so unhöflich zu dir war. Ich-"
"Das ist doch schon vergessen, Alice-ya", sagte er mit einem Lächeln und legte seine Hand kurz auf meinem Kopf ab, was mich verstummen ließ.
"Du bist mir nicht böse?", fragte ich vorsichtshalber noch mal nach, während wir den anderen ins Wohnzimmer folgten.
"Nein, natürlich nicht. Aber ich befürchte du wirst mit deinem Sunbae als Entschädigung Sushi essen gehen müssen", murmelte und setzte ein gespielt ernstes Gesicht auf.
"Ich muss mal sehen, ob es mir das wert ist", gab ich zurück und er lachte über meinen Korb. Ich grinste zurück und mein schlechtes Gefühl war einen Moment vergessen.
Ich war sogar so gut drauf, dass als ich mich hinsetzte mit einem Finger auf Jongdae zeigte und auf seine Bitte zurück kam.
"Übrigens Jimin, die Jungs singen. Ich sollte dir das möglichst unauffällig sagen, weil Jongdae ein Duett mit dir starten will oder so, aber ich habe nicht daran gedacht."
Jongdaes Lächeln fiel und er sah aus, als ob er mich am liebsten umgebracht hätte. Ich schenkte ihm ein keckes Grinsen und auch Baekhyun lachte über mein freches Verhalten.
"Du hast keine Manieren, Maknae", sagte er und ich streckte ihm die Zunge heraus. "Deshalb hast du dich jetzt gerade als Pianistin verpflichtet!"
"Ich spiel ganz bestimmt nicht für euch Klavier", antwortete ich todernst.
"Ihr singt? Ich nehme auch Gesangsunterricht", sagte Jimin und sie war rot, weil ich das mit Jongdae erwähnt hatte. Dieser schien, als wolle er mir immer noch an die Gurgel springen.
"Deswegen ja."
Baekhyun sprang auf, drehte sich um und erblickte das Klavier, das an der Wand gegenüber stand. Dann kam er zu mir und ich winkte ab, doch er schob seine Hände unter meine Achseln und hob mich hoch.
"Lass mich runter!", fauchte ich ihn an und meine Mutter betrat den Raum mit einem Tablett mit Tassen und einem verwirrten Gesichtsausdruck.
Doch der Junge ließ sich nicht stören und trug mich zum Klavier, setzte mich ab und zwang mich auf dem Hocker zu bleiben, während die anderen belustigt zuschauten. Sein Blick fesselte mich auf den Klavierhocker fest und wir lieferten uns ein Starrduell, doch ich verlor. Ich konnte einfach nicht lange in ein derartig attraktives Gesicht schauen. Baekhyun wusste, wie gutaussehend er war.
"Oh ja, Schatz! Spiel uns was vor!", fiel mir auch noch die letzte Person im Raum in den Rücken und ich seufzte tief, legte die Tasten frei und brachte mich in Position.
"Kannst du 'Eyes, Nose, Lips' von Taeyang spielen?", fragte Baekhyun plötzlich in meine Vorbereitungsphase hinein und ich erdolchte ihn mit Blicken.
"Ach, jetzt kommt der Herr auch noch mit Extrawünschen?! Soll ich auch noch ein weißes Kleid anziehen, mein Klavier in den Wald stellen und ein Schwarm von Tauben steigt in den Himmel auf?", zickte ich zurück.
"Also gegen ein weißes Kleid hätte ich nichts", entgegnet er schmunzelnd.
Ich drehte mich genervt weg, setzte meine Finger auf die Tasten und drückte den Rücken durch. Dann begann ich die ersten Töne des Liedes zu spielen. Ich hatte das Lied oft gespielt, weshalb ich mir sicher war keine Fehler zu machen. Es herrschte Ruhe im Zimmer ein und ich spielte die erste Strophe, als Baekhyun im Refrain mit einsetzte. Ich verspielte mich sofort, denn seine Stimme war so klar und hatte einen großartigen Klang. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er tatsächlich singen konnte. Peinlich berührt senkte ich den Kopf und konzentrierte mich wieder auf meine Finger, während ich seiner Stimme lauschte.
Your eyes, nose, lips
Your touch that used to touch me,
to the ends of your fingertips.
I can still feel you

I just call you Alice [Park Chanyeol]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt