Das, in dem Alice sich etwas eingesteht

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Es war lächerlich. Peinlich. Etwas, dass man niemanden erzählen konnte, einfach weil man vor Scham im Boden versinken würde. Und besonders für mich war es peinlich. Ich hatte auch nie den Ansatz von Interesse an der Menschheit gehabt, die sowieso nur aus nervigen Indiviuden zu bestehen schien.
Und trotzdem hatte sich etwas verändert, er hatte es verändert. Ich musste es mir endlich eingestehen, ehrlich mit mir selbst sein: Ich mochte ihn. War das nicht schräg und völlig dämlich?
Jede Wochen waren sie zu uns nach Hause gekommen, jede Woche wieder hatte meine Mutter mich verdonnert Jimin zu helfen. Jede Woche wieder war er strahlend in unsere Wohnung gekommen, hatte sich mit meiner Mutter unterhalten und über ihre schlechten Scherze gelacht. Jede Woche wieder hatte er mich mit Fragen durchlöchert und ich tat, als wäre ich genervt von ihm. Dabei war ich es schon lange nicht mehr. Es war schwer für mich es einzugestehen, doch in der letzten Zeit freute ich mich beinahe auf die wöchentlichen Besuche.
Vielleicht empfand ich so, weil er das Gegenteil von mir war: Laut, aufgeschlossen, extrovertiert, kontaktfreudig und eine Labertasche. Er war riesig, ich war klein. Er war freundlich und ich unhöflich. Vielleicht war das der Reiz.
Jedenfalls konnte ich es nicht länger mehr vor mir selbst verheimlichen. Ich mochte Park Chanyeol.
Wie lange genau kannte ich ihn nun? Zweieinhalb Monate? Ging das nicht viel zu schnell, dauerte das nicht seine Zeit? Ich hatte noch nie jemanden richtig gemocht, aber ich war mir sicher, dass es das war. Wenn er mit mir sprach, kam das Lachen ganz von alleine, wenn er mich ärgerte, brachte es mir Spaß ihn auszuschimpfen.
Und wenn ich ihn dort drüben auf der Wiese liegen sah, wollte ich am liebsten zu ihm hinlaufen und mich mit ihm unterhalten. Doch ich tat es nicht, hielt mich zurück. Er saß zusammen mit Baekhyun und Jongdae, seinen zwei engsten Freunden, doch bei ihnen waren noch jede Menge andere Jungen aus ihrer Stufe, keinen kannte ich. Es wäre seltsam gewesen, wenn ich zu ihm hingegangen wäre.
"Miseon-ah?", fragte Joohyeon hinter mir und tippte mir vorsichtig auf die Schulter, schnell wandte ich mich von der Jungsgruppe ab.
"Hmm?"
"Hast du die Lösung zu Aufgabe drei?", fragte sie leise.
Sie war wohl diejenige aus meiner Klasse, mit der ich am besten zurecht kam, einfach weil sie wenig redete. Ich hatte keine richtigen Freunde in meiner Klasse gefunden, doch sie kam wohl noch am nächsten dran. Joohyeon war schüchtern und wortkarg, aber sehr schlau und ich bearbeitete manchmal Hausaufgaben mit ihr zusammen. Genau wie jetzt, wir nutzten die Freistunde für die Unmengen an Hausaufgaben, die wir in Mathe aufbekommen hatten.
Schnell blickte ich auf mein leeres Blatt nieder, die Sonne wärmte mir den Rücken. Ich hatte noch rein gar nichts notiert, war mit den Gedanken abgeschweift. Wegen ihm. Mal wieder.
"Nein", antwortete ich knapp und sie warf mir neugierige Blicke zu, sagte aber nichts.
"Du kannst meins abschreiben."
Sie hielt mir den Block hin und ich nickte schnell, schnappte ihn mir und schrieb ihren Lösungsweg ab. Konzentriert übernahm ich ihre Notizen, als die Sonne, die meinen Rücken gewärmt hatte urplötzlich verschwand. Ich drehte mich um, um zu sehen, was sich ihr in den Weg gestellt hatte und blickte überrascht zu dem älteren Schüler hoch. Mein Herz setzte aus.
"H-hallo Sunbae", brachte ich gerade noch hervor, während er mir fröhlich wie eh und je entgegen grinste.
"Hey, Alice-ya. Macht ihr Hausaufgaben?"
Ich nickte schnell und warf einen kurzen Blick zu Joohyeon, die mit großen Augen zu Chanyeol aufblickte. Sie hatte einen großen Bruder, der ebenfalls in seine Stufe ging, doch er schien nicht mit ihm befreundet zu sein. Das war der Grund, weshalb Joohyeon die meisten Jungen aus der höheren Stufe kannte und ich hatte sie oft mit Älteren reden sehen. Wenn sie denn überhaupt mal redete.
"Sunbae, was ist?", fragte ich, als er immer noch nicht gesagt hatte, wieso er sich von der Jungsgruppe gelöst hatte um sich zu mir zugesellen.
Er trug einen Block unter dem Arm und irgendwie hatte ich schon geahnt, dass es etwas mit der Schule zu tun hatte. Wieso sollte er auch aus anderen Gründen kommen? Meine plötzliche Begeisterung verschwand mit einem Schlag und ich versuchte so normal wie möglich zu wirken.
"Kannst du wenigstens aus der Sonne gehen?", giftete ich ihn an und würde mich am liebsten selber schlagen. Nein, so hatte ich das nicht mit dem 'normal sein' gemeint. Wieso war ich so gemein?
Doch er grinste nur und hockte sich neben mir auf den Boden. Dann kramte er einen Zettel hervor- ich sah sofort, dass es Englischhausaufgaben waren- und er tippte auf eine der Aufgaben.
"Wir verstehen nicht, was unser Lehrer von uns will. Sollen wir den Text in Stichpunkten wiedergeben oder die vorher gesammelten Stichpunkte als einen eigenen Text schreiben?", fragte er und reichte mir das Blatt.
Ich las die Aufgabe durch, las sie ein zweites Mal, weil seine Anwesenheit mich aus dem Konzept brachte. Wieso musste er auch so nah neben mir hocken?! Ich konnte mich nicht konzentrieren, wenn der ältere Schüler mich derartig interessiert anschaute. Schnell erklärte ich ihm, was er zu tun hatte, damit er schnell wieder verschwand und mein Herzschlag sich beruhigen würde.
Doch anstatt zu gehen, blieb er noch einen Moment sitzen, als würde ihm etwas auf der Zunge liegen.
"Wir gehen später noch alle zusammen ins Kino. Willst du mitkommen, Alice-ya?", fragte er und ich hob überrascht den Kopf.
"Kino?"
Er nickte und wuschelte sich durch die wilden Haare, ein aufmunterndes Lächeln auf den Lippen. Er wollte, dass ich mit ihm und seinen Freunden ins Kino ging? Ich blickte kurz runter auf den abgeschriebenen Lösungsweg von Joohyeon und dann wieder zu ihm hoch, während der große Junge geduldig auf eine Antwort wartete.
"Welchen Film wollt ihr denn schauen?", fragte ich.
"Das wissen wir noch nicht, das entscheidet sich wohl spontan. Danach gehen wir vielleicht noch essen."
Ich nickte langsam. Ich war mir unsicher, was ich für eine Antwort geben sollte.
"Ist das ein Ja?"
"Okay", antwortete ich. "Ich hab nichts besseres zu tun."
Ich war schon wieder unhöflich. Ich konnte es nicht verhindern, es rutschte mir einfach immer wieder raus. Besonders wenn er mich die ganze Zeit anschaute.
"Schön, dann freue ich mich", verkündete er und erhob sich. "Bis später dann. Wir treffen uns nach der Schule vor dem Eingangstor."
Seine Hand legte sich kurz auf meinen Kopf und ich zuckte vor Überraschung zusammen, er wuschelte mir kurz durch die Haare und ging dann, jedoch nicht ohne sich ein letztes Mal umgedreht zu haben und mir zuzulächeln. Mein Herz lief beinahe Amok.
"Wieso redet Park Chanyeol mit uns?", fragte Joohyeon leise und mit großen Augen.
Ich blickte dem Riesen noch immer hinter her. Er hatte mich zum Kino eingeladen. Und mir durch die Haare gewuschelt. Und mich angelächelt.
Ich knallte mir den Hefter gegen den Kopf und das andere Mädchen erschreckte sich furchtbar. Ich schlug es mir erneut gegen die Stirn.
"Miseon-ah? Alles okay?", fragte sie mit Sorge in der Stimme.
"Ich-bin-so-dämlich", seufzte ich und ließ den Kopf hängen.
"Kann es sein, dass du Sunbae magst?", fragte sie und ich fragte mich, ob das so offensichtlich war.
"Nein, das tue ich nicht. Er nervt und ist groß und redet viel zu laut und viel und-", versuchte ich mich vielleicht etwas zu laut und energisch herauszureden.
"Also magst du ihn wirklich."
Ich schwieg und biss mir auf die Lippe. Sie hatte mich durchschaut. Ich seufzte und versuchte mich an die Mathehausaufgabe zu setzen, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ich schielte rüber zu der Gruppe von Jungen und musterte Park Chanyeol. Er brachte alles durcheinander.
"Lass uns über etwas anderes reden", murmelte ich und blickte wieder auf das leere Blatt.
"Ich finde das aber interessant! Oh Miseon mag jemanden? Das habe ich ja noch nie gehört!"
Ich funkelte sie wütend an und erhob mich mit dem Block unter dem Arm. Ohne ein Wort zu sagen, packte ich meine Sachen zusammen und Joohyeon schaute mir verwundert dabei zu.
"Bist du jetzt sauer?", fragte sie.
"Nein, ich will mich nur woanders hinsetzen, damit ich mich endlich konzentrieren kann."
Ich hatte noch nie ein derartig quietschendes Geräusch gehört, wie das, das sie gerade von sich gegeben hatte. Ich drehte mich zu ihr um und sie strahlte mich an. So kannte ich sie gar nicht.
"Du bist total verliebt, oder? Das ist ja toll!", sagte sie viel zu laut und ich drückte ihr meine Hände auf den Mund, damit niemand anderes ihren seltsamen Anfall mitbekam.
"Wenn du sowas auch nur ansatzweise herum erzählst, köpfe ich dich, verstanden?!", drohte ich und sie nickte schnell.
"Okay, Alice-ya", äffte sie Chanyeol nach und ich warf ihr böse Blicke zu. "Du musst mir alles erzählen! Ich kann dir geheime Informationen besorgen, schließlich kennt mein Bruder seine Freunde!"
"Ich wusste gar nicht, dass du auf sowas stehst, Joohyeon-ah", murmelte ich und wies sie an auch ihre Sachen zusammen zu packen.
"Ich liebe romantische Liebesgeschichten!", seufzte sie mit funkelnden Augen.
Na super, was hatte ich mir da bloß angelacht.

I just call you Alice [Park Chanyeol]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt