Prolog auf Erden

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Es war ein Abend wie jeder andere. Nur fast, denn für gewöhnlich machte Henry keine Überstunden, aber dieser Auftrag musste unbedingt noch fertig werden. Er schaute auf die Uhr. 19.52 Uhr. Er wollte bereits vor beinahe einer Stunde zuhause sein und zwar noch bevor Rita und Lara eintreffen. Ursprünglich wollte Henry die beiden vom Flughafen abholen, aber das ließ sich nicht mit seiner Schicht vereinbaren. Rita wollte ihre, in Frankreich lebende, Familie besuchen. Eigentlich sollte es ein kleiner Familienurlaub werden, aber aufgrund der vielen Aufträge konnte wurde Henry der Urlaub nicht genehmigt. Warum Ritas Familie aus Frankreich kam, konnte er sich auch nicht ganz erklären. Rita kommt aus Deutschland, soviel wusste er und er wusste auch, dass sie adoptiert wurde, aber was davor geschah vermochte er nicht zu wissen. Rita erzählte ihm alles, nur über dieses Thema sprach sie nie und deshalb fragte er sie auch nicht weiter danach.

Sein Handy vibriert. Eine Mitteilung. Bestimmt von Rita die wissen möchte wo ihr Mann solange bleibt, auch wenn sie sich diese Frage bestimmt selbst beantworten konnte, denn Henry hatte jetzt keine Zeit dafür. Die Papierstapel auf seinem Schreibtisch wurden auch nicht kleiner und er war kurz vor der Verzweiflung. Er brachte ein lautes Stöhnen von sich und genau in diesem Moment, wollte ein Kollege in sein Büro stürmen, doch da er das Stöhnen vernahm, stockte er. Er hatte weiter Papiere in der Hand, die er scheinbar auf Henrys Schreibtisch, zu den anderen, noch zu bearbeitenden Sachen, legen wollte.

„Noch mehr?“ fragte Henry entmutigt.

Sein Kollege konnte sehen wie genervt Henry war: „Kommt deine Familie nicht heute zurück? Vielleicht solltest du einfach gehen und den Rest morgen erledigen.“

Die in Henry wachsende Hoffnung verschwand sofort wieder. „Ich glaube aber nicht, dass der Boss da mitmacht“ auch wenn ihm nichts lieber gewesen wäre als den Ratschlag seines Kollegen zu befolgen.

„Er muss es ja nicht wissen und außerdem werde ich mir eine gute Ausrede für dich einfallen lassen.“ sagte sein Kollege optimistisch. Die Hoffnung kehrte nun zu Henry zurück: „Wirklich? Das wäre super!“ Henry begann seine Sachen zu packen und als er an seinem Kollegen vorbei, das Büro verlässt, sagt dieser noch: „Ich weiß doch was dir Frau und Kind bedeuten. Und ach, grüß die beiden von mir!“ Das musste er nun laut hinterher rufen. Ein „Mach ich!“ kam noch zurück bevor Henry das Treppenhaus erreichte und auf dem Weg zum Parkplatz war.

Ohne Umwege fuhr er nach Hause, doch ihn erwartete nur Verwunderung. Kein Licht brannte im Haus und er schloss daraus, dass seine Frau und Tochter doch noch nicht zuhause angekommen sind. Als er das Haus betrat wurde seine Vermutung bestätigt. Dann war die Mitteilung wohl ein Hinweis gewesen, dass sich das Flugzeug verspäten würde.

Henry schaltete erst einmal den Fernseher an und ohne zu schauen was für ein Sender eingestellt war, machte er sich auf den Weg in die Küche um zu schauen was er essen könnte. Er entschied sich Nudeln zu kochen, denn das ging schnell und wenn Rita und Lara ankommen, werden sie bestimmt auch Hunger haben. Ungeduldig wartete er vor dem Kochtopf bis die Nudeln endlich fertig waren und nun machte er es sich vor dem Fernseher bequem, doch bevor sich in das Programm vertiefen konnte, wollte er noch die Nachricht lesen, die er im Büro erhalten hat.

Er nahm sein Handy hervor und schaute in den Nachrichtenordner. 'Das ist seltsam.' dachte Henry, denn Rita hatte ihm eine MMS geschickt. Es handelte sich um eine Audiodatei, die sich als Sprachaufzeichnung entpuppte. Er spielt sie ab:

„Schatz? Ich liebe dich, für immer und ewig. Genau wie deine Tochter, oder? Los Lara sag dem Papa wie sehr du ihn liebst.“

„Ich hab dich gaaaanz doll lieb Papa!“

„Hör zu Henry, auch wenn es dir schwer fällt, aber du darfst niemandem die Schuld dafür geben. Vor allem nicht dir selbst. Ich möchte, dass du deinen Weg gehst und nicht stehen bleibst, auch wenn es hart wird, es muss immer weiter gehen. Du wirst uns vermissen und wir dich, aber wenn du bis zuletzt durchhältst, dann werden wir uns wiedersehen. Gott will uns jetzt nun mal trennen und dafür hat er auch einen Grund, selbst wenn wir diesen nicht verstehen. Wir lieben dich!“

Ritas Stimme wirkte beruhigend, aber mit einem ermahnendem Unterton, aber Henry war das in diesem Moment egal, denn er verstand nicht. Ihm war es zu viel. Sein Verstand begriff nicht was diese Nachricht zu bedeuten hatte und sie war wie ein dunkler Brocken, der in seinem Kopf klebte. Er musste es auch nicht verstehen, denn genau jetzt liefen die Nachrichten im Fernsehen und er war noch nie so entsetzt von ihnen gewesen. Henry ließ seinen Teller samt Essen zu Boden fallen. Sein Gesicht war erstarrt und seine Augen aufgerissen. Langsam öffnete sich sein Mund, denn da war etwas. Etwas musste heraus, aber was war es. Der Bericht lief weiter und Henrys Mund öffnete sich ebenso weiterhin. Er fühlte weder Herzschlag, noch seinen Atem.

„Noch sind die Gründe des Absturzes unbekannt, aber menschliches Versagen kann nicht ausgeschlossen werden. Die Maschine hatte bereits eine Höhe von elftausend Metern erreicht, als die ersten Probleme gemeldet wurden. Bald darauf brach der Kontakt ab und wenige Zeit später stürzte die Maschine zu Boden. Es gibt keine Überlebenden.“ Der Nachrichtensprecher wirkte emotionslos und kalt.

Und da war es wieder. Unaufhaltsam erklomm etwas Besitz von Henry, machte seinen ganzen Körper unkontrollierbar, ebenso wusste er nicht was mit seinem Verstand geschah, aber nun musste es heraus, es ging nicht anders!

Und Henry begann zu schreien, solange bis ihm die Luft ausging, doch er musste weiterschreien, konnte nicht aufhören. Sein Körper verkrampfte sich und es zerbrach. Was genau zerbrach? Er konnte es nicht verstehen, denn war er zu sehr mit schreien und weinen und schluchzen beschäftigt. Sein bisheriges Leben war vorbei. Seine Welt zerbrach in tausend Scherben.

Deus VultWo Geschichten leben. Entdecke jetzt