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"Wachen!", schrie der Mann hinter dem Schreibtisch und ich sprang von meinem Stuhl auf. 

"Was machen Sie jetzt mit mir? Ich habe ihnen geholfen, Jase zu finden! Ich bin auf Ihrer Seite! Warum behandeln Sie mich wie eine Verbrecherin?", log ich.

"Weil Sie das System hintergangen haben, liebe Miss Haze. Und darauf steht die Todesstrafe", erklärte er ruhig. 

"Die Todesstrafe? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!", schrie ich. Meine Beine drohten unter mir nachzugeben. Ich war mir der Strafe bewusst gewesen, die mich erwartete, wenn sie mich erwischten. Immer. Aber beim Klang des Wortes aus dem Mund eines Manns, der offensichtlich darüber zu entscheiden hatte, wurde mir übel. 

So übel, dass ich mich auf den glänzenden Kunstholzboden vor mir übergab. Ich würgte so lange, bis zwei Männer mich an den Armen festhielten und mit sich aus dem Raum zerrte. Als dies geschah, verschluckte ich mich vor Schreck und der Protest, zu dem ich ansetzte, ging in einem Hustenanfall unter.

Wahrscheinlich konnten sie sich das mit der Todesstrafe sparen. Ich fühlte mich als würde ich auf der Stelle ersticken. 

"Keine Sorge, Miss Haze", hörte ich noch, bevor die Tür hinter mir zuschlug. "Falls wir Mr Ryan tatsächlich finden, können Sie mit einer Begnadigung und der Verbannung aus Lacrima rechnen."

Für einen kurzen, egoistischen Moment bereute ich es beinahe, ihn angelogen zu haben, was Jase' Versteck betraf. 

Aber wenn ich schon starb, sollte wenigstens er überleben, dachte ich dann. 

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Weiße Wände.

Die Wachen hatten mich in eine Gefängniszelle gebracht, die im Wesentlichen ein weißer Würfel war. Nur an einer Wand hing eine schmale Pritsche - von der ich wahrscheinlich runterfallen würde, da ich mich im Schlaf bewegte - und in die gegenüberliegende Ecke auf der linken Seite war ein grobes Gitter in den Boden eingelassen. Als ich begriffen hatte, wozu es gut war, hätte ich mich erneut übergeben, hätte mein Magen noch irgendwelchen Inhalt gehabt.

Wenigstens ein richtiges Klo hätten sie mir zur Verfügung stellen können!

Nun saß ich schon seit gefühlten Stunden auf dieser Pritsche und trommelte mit den Füßen einen Rhythmus auf den Boden, damit es wenigstens nicht vollständig still in diesem kargen Raum war.

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Warum hatte ich das getan?

Meine Gedanken waren in der Stille so laut.

Warum hatte ich mich darauf eingelassen?

Aber nein, nein, ich bereute es nicht, das System hintergangen zu haben, wenn ich noch weiter darüber nachdachte. Ich bereute es nicht, dass ich versucht hatte, meiner Mutter zu helfen. Und ich bereute es auch nicht, den Mann hinter dem Schreibtisch angelogen zu haben, um Jase zu schützen. 

Trotzdem fragte ich mich wieder und wieder, ob ich nicht irgendetwas falsch gemacht hatte.

Ich ging jede einzelne meiner Entscheidungen in Gedanken durch, und ja, vielleicht hatte ich manchmal falsche Entscheidungen getroffen, doch keine meiner falschen Entscheidungen schien so gravierend zu sein als dass sie mich hätte hierher bringen können. 

Wäre es besser gewesen, wenn ich mich einfach gefügt hätte?

Vielleicht hätte ich versuchen sollen, eine Beta zu werden. Trainieren und so war schließlich nicht illegal. Nur das mit der Haarfarbe und den Kontaktlinsen hätte ich vielleicht besser sein lassen.

Doch eigentlich wusste ich ganz genau, dass ich nur als Alpha genug Geld bekam, um meiner Familie wirklich helfen zu können. Meine Mutter brauchte mehr als nur Schmerzmittel. 

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"Mira Haze?"

Die Tür ging auf und ich ließ resigniert die Schultern sinken. Nun war es also so weit. Sie würden mich töten. 

Ich stand von meiner Pritsche auf und bemühte mich um eine aufrechte Haltung. Ich würde mit Würde sterben. 

"Setzen Sie sich wieder", befahl der Wächter, der die Tür geöffnet hatte. Ich gehorchte ein wenig irritiert. 

"Wir haben Jase Ryan gefunden", teilte er mir dann mit, und auf einmal war ich froh, mich gesetzt zu haben; denn hätte ich es nicht getan, hätten meine Beine bei diesen Worten wahrscheinlich unter mir nachgegeben. 

"Was?", krächzte ich. 

"Aber leider", sprach der Wachmann weiter. "Leider konnte er fliehen. Ihre Angaben waren richtig, Miss Haze, weswegen wir nun von der geplanten Bestrafung absehen werden. Sie werden noch zwei Tage hier verbringen, dann werden wir Sie aus der Stadt begleiten. Sollten Sie versuchen, zurückzukehren ..."

"Werden Sie mich auf der Stelle erschießen. Schon klar", unterbrach ich ihn.

"In etwa. Nun, das war alles." Mit diesen Worten drehte sich der Wachmann wieder um, schloss die Tür hinter sich und ließ mich völlig verwirrt zurück.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Ich meine, klar, Jase war am Leben und sie hatten ihn nicht erwischt und das waren großartige Neuigkeiten. Aber dass ich ihn tatsächlich verraten hatte ... ups. Dumm gelaufen. Es ist mir heute noch unglaublich peinlich. Aber wie hätte ich denn auch ahnen können, dass sich mein Freund aus dem Testzentrum genau an dem Ort versteckt, von dem niemand denken würde, dass sich ein Mensch dort verstecken kann.

Und was die Verbannung betraf, so war ich mir unsicher, was ich davon halten sollte. Eine Verbannung aus unserer sicheren Stadt war beinahe ein Todesurteil. Da draußen gab es allerlei Tiere, denen ich lieber nicht begegnen wollte. Und so ziemlich keine Möglichkeit, sich zu ernähren oder die Nacht zu verbringen.

Ich wollte da nicht raus.

Ich wollte Lacrima nicht verlassen.

Und meine Mutter würde sterben ohne mich. 

Ich legte mich auf meine Pritsche, starrte die Decke an und ließ meinen Tränen zum ersten Mal seit langem freien Lauf. 


FakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt