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Alexei sieht auf seine Hand hinab. Es ist die, die gerade meine Schulter berührt hat. Sie ist rot. Dann sieht er wieder mich an und etwas in seinen Augen hat sich verändert. Die Erkenntnis blitzt darin. „Leo, du blutest."

Ja, mein Freund, da hast du recht. Und weißt, du, seit wann? Seit gestern, weil mich mein Vater geschlagen hat. Das wäre die Wahrheit. Aber was ich sage ist einfach nur: „Ja."

„Warum zum Teufel blutest du?"

Weil die Striemen noch nicht verheilt sind. Deswegen habe ich heute auch ein schwarzes T-Shirt angezogen, mit einem schwarzen Hemd darüber. Ich habe viele schwarze T-Shirts.

„Ich muss wohl irgendwo dagegen gerannt sein." Das passiert mir tatsächlich öfter, wenn ich in Gedanken bin. Einmal habe ich dabei sogar geblutet.

Alexei glaubt mir nicht. Er ist ja nicht dämlich. „Dann würdest du nicht so stark bluten. Nicht durch das Hemd hindurch."

Damit hat er natürlich recht.

„Ich weiß."

Es beginnt bereits zu verheilen. Mum sagt, ich habe gutes Heilfleisch. In einem anderen Zusammenhang, versteht sich. Das Dumme ist nur, dass ich heute Sport habe, gleich am Montag, und es ist immer noch verdammt schmerzhaft, mich zu bewegen. Da kommt natürlich Freude auf. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Nein, das Schlimmste ist, dass meine Freunde ahnen, was los ist, wenn ich jedes Mal zusammenzucke, wenn mich jemand anfasst. Dass ich sie wieder anlügen muss.

Es ist allerdings keine Option, ihnen die Wahrheit zu sagen. Nicht, wenn mich das Jugendamt dann in eine andere Familie steckt, weil ich noch nicht volljährig bin. Nicht, wo ich doch schon so viel erreicht habe. Außerdem ist es nicht immer so schlimm wie vorgestern. Es macht mich total kaputt, im psychischen Sinn, aber manchmal verpasst er mir auch nur blaue Flecken.

Okay, selten.

Der gestrige Tag war kein Vergnügen. Jeder Schritt tat höllisch weh und ich durfte es Mum nicht zeigen, die den ganzen Tag da war. Es war wie auf Eierschalen zu laufen. Ein Schritt und alles zerbricht in tausend Teile. Dad fasst mich auch nicht sanfter an, nur, weil er mich am Tag zuvor geschlagen hat. Es tut ihm auch kein Stück leid.

Deswegen will ich eigentlich nur vergessen, dass es einen gestrigen Tag gegeben hat. Was mich angeht, so bestand mein Wochenende nur aus Samstag.

Immerhin ist die Schule ein guter Grund, um von zu Hause weg zu kommen. Und ich sehe Cole Mackintosh. Cole ist ein klasse Grund, um zur Schule zu gehen. Ich kann ihn anhimmeln, wann immer ich ihn sehe. Was nicht besonders oft ist. Cole gehört zum Schul- Footballteam. Also ist er per se eine der bekanntesten Personen der Schule. Eine der bekanntesten schwulen Personen der Schule. Das macht mindestens ein Drittel seiner Bekanntheit aus. Cole sieht blendend aus: Er hat braune Haare, ins Dunkle gehend, ist wunderbar muskulös und so groß, wie es ein echter Footballspieler eben sein muss. Football ist sein Leben und er ist gut genug darin, um später mal ein Footballstipendium zu bekommen.

Ich bin total verknallt in ihn. Und er hat mich noch nicht einmal wahrgenommen. Dabei sind wir sogar in derselben Klassenstufe.

Das ist etwas, was ich meinen Eltern auch irgendwie sagen muss: ich bin schwul. Meine Freunde wissen das. Meine Familie allerdings nicht. Ich weiß nicht, wie mein Vater reagieren wird, wenn er es erfährt und ich habe riesige Angst davor. Ich meine, wenn er mich dafür verprügelt, dass ich nicht auf ein „Herein!" gewartet habe, wie wird er dann reagieren, wenn er erfährt, dass ich schwul bin? Meine Eltern sind stockkonservativ, sogar für hiesige Verhältnisse - oder gerade dafür. Sie haben sich eine ganze Woche lang darüber aufgeregt, dass ein schwarzes Pärchen in unser Viertel gezogen ist. Dabei sind die beiden unheimlich nett, wenn man dem glaubt, was meine Freunde erzählen. Meine Eltern haben mir den Kontakt mit den beiden verboten. Es ist mir dermaßen peinlich, dass ich jedes Mal die Straßenseite wechseln muss, wenn sie irgendwo auftauchen. Sie denken bestimmt, ich könne sie aus irgendeinem Grund nicht ausstehen. Und dieser irgendeine Grund sei, dass sie eben afrikanische Vorfahren haben. Auf irgendeine Art und Weise, es könnten ja auch Haitianer sein, aber die kamen ursprünglich eben auch aus Afrika. Dabei stimmt das gar nicht, ich mag sie schon allein deswegen, weil meine Eltern sie nicht mögen und meine Freunde sagen, dass sie nett sind. Aber ich kann nicht riskieren, den Zorn meines Vaters heraufzubeschwören.

Schattenseiten 1 - Leo ACHTUNG, diese Story wird nicht auf wattpad beendet!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt