"Äh..." ist kein Wort

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Vor Schock blieb ich erst ganz ruhig. Immerhin wusste ich nicht, wie man in einer solchen Situation reagiert. Doch dann passierte alles irgendwie von alleine. Ich musste nicht darüber nachdenken, sondern mich einfach fallen lassen. Meine Angst, die ich am Mittag empfunden hatte, als wir dieses Gespräch über den Kuss geführt hatten, war nun wie weg gefegt. Hätte ich das vorher gewusst. Also dachte ich nicht weiter darüber nach und genoss es, seine Lippen zu spüren und überrascht festzustellen das unsere Lippen perfekt zusammenpassten. Ich überließ Tyler einfach die Führung und der Rest geschah von alleine. Als seine Zunge über meine Unterlippe fuhr unterdrückte ich ein Stöhnen und krallte mich in seinem Shirt fest, welches er natürlich nach dem Kochen sofort gegen die Schürze getauscht hatte. Tyler fuhr mit seiner Hand in meinen Nacken und legte meinen Kopf so, dass er leichter Zugang hatte als ich meinen Mund öffnete. Nie hatte ich gedacht, dass mein erster Kuss so sein würde. Ich war davon ausgegangen das er kurz andauern würde und hatte sicher nicht mit dieser Leidenschaft gerechnet. Mein gesamter Körper kribbelte. Keine Ahnung, was mich dazu bewegte leicht in Tylers Lippe zu beißen, aber ich tat es. Tyler knurrte tief, es schien ihm also zu gefallen und ich strauchelte überrascht von mir selbst. Da ich mich immer noch an Tylers Shirt festhielt, geriet auch er ins schwanken und drehte uns, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß und wir halt fanden. Nach Atem ringend lösten wir uns schließlich voneinander und mir entschlüpfte ein Kichern. Vielleicht nicht die beste Reaktion, aber ich konnte es einfach nicht verhindern. >>Du machst mich fertig, Ava.<< Von draußen ertönte Lenas Stimme liebevoll aber streng. >>Jetzt komm endlich.<< Mein Kichern hielt zum Glück nur kurz an. >>Äh...<< Mensch Ava, jetzt reiß dich zusammen. Sag irgendwas sinnvolles, denn Äh ist nicht mal ein Wort! >>Ich gehe dann mal.<< Dabei traute ich mich nicht in Tylers Augen zusehen. Ihm schien das nicht zu gefallen, also drehte er meinen Kopf kurzerhand wieder in seine Richtung, seine Hand immer noch in meinem Nacken. Seine Lippen trafen für wenige Sekunden noch mal auf meine und dann trat er einen Schritt zurück. >>Bist du dir sicher, dass das dein erster Kuss war?<< Fragte er grinsend, weshalb ich sofort in diese Konversation einstieg. >>Naja genau gesehen hast du mich gerade das zweite mal geküsst. Aber ja, ich bin mir sicher.<< Grinsend drehte ich mich um und lief durch die nur angelehnte Tür hinaus. Tyler ließ ich stehen.

Rico saß schon im Auto, während Lena mir die Tür aufhielt und sich dann neben mich auf die Rückbank quetschte. Wir fuhren los und Lena starrte mich einfach an. Ich merkte gar nicht, dass ich ein fettes Grinsen im Gesicht trug, bis meine Cousine ein Quietschen ausstieß und mich mit großen Augen ansah. Durch den schmerzenden Ton sah nun auch Rico mit hochgezogenen Brauen durch den Rückspiegel nach hinten. >>Oh mein Gott. Er hat dich geküsst, nicht wahr? Natürlich hat er das. Ich kann es dir ansehen.<< Lena schien völlig aus dem Häuschen vor Freude und so aufgeregt und vor allem LAUT kannte ich meine zurückhaltende Cousine gar nicht. Knallrot angelaufen hielt ich ihr einfach den Mund zu. >>Beruhige dich Lena.<< Zischte ich, da mir das vor Rico schon ziemlich unangenehm war. >>Aber jetzt bin ich wahrscheinlich das einzige Mädchen in unserem Alter, dass noch nie einen Jungen geküsst hat.<< Abrupt trat Rico auf die Bremse bei Lenas Aussage, während dieser klar wurde was sie da eigentlich zugegeben hatte und rot anlief. Jetzt war ich es, die in Lachen ausbrach. Schweigend fuhren wir weiter. Mir entging Ricos starrer Blick auf die Straße natürlich nicht.

Er ließ uns schließlich an einer geeigneten Stelle heraus. Es war nicht mehr weit bis zu uns und mich wunderte es, dass Rico sich hier, so nah an Naverrete Gebiet auskannte. Er schien die unausgesprochene Frage zu verstehen und gab mir die passende Antwort. >>Ich kam erst mit zehn Jahren nach San Salvador. Mein Vater hatte mich damals nach Mexico mitgenommen und ich wusste von meiner Familie nichts, bis Tylers Vater, also mein Onkel mich wiederfand und zu meiner Mutter zurück brachte. Ich war neu hier und habe mich oft auf neutralem Gebiet am Strand aufgehalten, wo ich deine Brüder kennengelernt hatte. Cirilo und ich sind gleich alt, wir verstanden uns gut und er hat mich einige Male mit zu euch genommen. Natürlich wurde uns irgendwann klar, dass eine Freundschaft nicht funktionieren konnte und so trennten sich unsere Wege schnell wieder.<< Das musste ich erst verdauen. Es war nicht ungewöhnlich, das jüngere Familienmitglieder hin und wieder auf andere trafen und es noch nicht verstanden. Auch liefen viele Kinder alleine am Strand mit Freunden herum oder in der Stadt. Das meine Brüder allerdings auch auf diese Weise Freunde gefunden hatten und diese Freundschaft wieder aufgeben mussten, das wusste ich nicht. Es zeigte mir nur, wie viele Möglichkeiten verloren gingen, nur wegen dieser Rivalität zwischen den Familias. Wir standen kurz schweigend neben einander, als Rico und Lena sich kurz zum Abschied umarmten und ich ihm winkte. >>Danke noch mal, Rico. Du weißt, dass ich Tyler nicht sagen kann, wer ich bin.<< Der  große grimmige Mann, der gar nicht so grimmig ist, nickte mir einfach zu und stieg wieder in sein Auto. Wir waren an einer so versteckten Stelle, dass uns hier keiner sehen würde wie wir Navarrete Gebiet betraten. >>Möchtest du noch mit zum Treffhaus der Familia? Damian wird sicher dort sein.<< Meinte ich zu meiner Cousine, als ich mich an die Schlägerei erinnerte. Ich denke mal das Damian noch nicht nach Hause zu meiner Tante gegangen ist. Diese würde sicherlich einen Herzinfarkt erleiden, wenn sie davon erfuhr. Immerhin kam ihr Sohn gerade erst aus dem Gefängnis und so schnell wollte ihn keiner dort wieder besuchen gehen. Einer unserer Ärzte hatte sich sicherlich um ihn gekümmert, falls er sich ernsthaft verletzt hat. >>Ja, das ist eine gute Idee. Du könntest bei mir übernachten?<< Schlug Lena vor und ich stimmte sofort zu. Erstens kochte meine Tante köstlich und zweitens hatten wir dann noch mehr Zeit uns in Ruhe zu Unterhalten. >>Mich wundert immer noch, dass uns keiner der Jungs den tag über angerufen hat um uns zu fragen wo wir stecken. Oma Alondra scheint sie echt überzeugt zu haben, dass jemand auf uns aufpasst.<< Lachend dachte ich an meine nicht zu unterschätzende Oma. >>Mich würde es nicht wundern, wenn sie ihre Kontakte hat und jemanden den Jungs bezahlt hat, um unseren Brüdern stündlich über unsere angeblichen Unternehmungen Auskunft gab.<< Bei dem Gedanken, der nicht so abwegig war, musste auch Lena lachen und wir machten uns auf zu Damian.

Mein ach so toller Cousin lag gaaaanz entspannt auf einer der Sofas im Haus und ließ es sich mit einem Bier in der Hand gut gehen. Er schien nur ein paar kleinere Prellungen abbekommen zu haben, also ähnlich wie Rico ging es ihm schon wieder besser. Anders als Rico gönnte sich Damian noch schön die Aufmerksamkeit zweier knapp bekleideter Frauen, die ich sobald wir den Raum betraten wegschickte. Da konnte Damian so viel schmollen wie er wollte. Schnell fing er jedoch wieder an zu grinsen und zog Lena und mich zu sich auf das Sofa. >>Boah Damian! Ich liebe dich wirklich Bruderherz, aber selbst dein Arm ist so schwer, dass er mich zerquetscht.<< Auch ich bekam kaum Luft, so sehr drückte er uns an seine Seiten. >>Ich hab meine zwei Lieblingsmenschen auf diesem grauenvollen Planeten halt vermisst.<< Und da er solche Geständnisse von menschlichen Gefühlen nicht häufig von uns gab, ertrugen wir das zerquetsche, das nun auch nachgelassen hat. >>Ava schläft heute bei uns. Mama ist bestimmt auch schon mit dem Essen fertig, deshalb kommst du jetzt mit, wir gehen noch kurz bei Onkel Alano vorbei, holen dort Avas Sachen und gehen dann nach Hause.<< Man merkte, wie schnell Lena aus sich heraus kam, jetzt wo ihr Bruder wieder da war. Mir war gar nicht so bewusst gewesen, dass sie sich wegen seinem Fehlen so zurückgezogen hatte. Gesagt getan machten wir uns nun auf zu mir nach Hause. War schließlich nicht weit.

Als wir das Wohnzimmer betraten trafen wir meine ganze Familie an. Selbst Oma hatte sich zu den Chaoten mit auf die Sofas gequetscht und futterte Chips. >>Na, wie war euer Tag?<< Fragte mein Vater Alano auch gleich während Lena und ich uns grinsend einen Blick zuwarfen. >>Aufregend, Papa.<< Jetzt schauten auch meine Brüder hoch. >>Woah, was strahlt ihr denn so um die Wette. So toll ist meine Anwesenheit nun auch nicht.<< Lachend warf ich einfach meine Tasche nach Basilio. Zu spät sah ich, dass Maria auf seinem Schoß hockte und traf damit natürlich sie. Meine Freundin war zum Glück geschickt genug die Tasche aufzufangen. >>Sorry. Äh... ich pack nur kurz meine Sachen und bin schon wieder weg.<< Als ich die Treppe hochstieg, beziehungsweise rannte, hörte ich noch das Lachen meiner Brüder. In meinem Zimmer warf ich das nötigste in meine Tasche. Eigentlich hätte ich gar nichts gebraucht, da ich immer mal wieder Klamotten bei Lena vergaß und auch mindestens eine Zahnbürste bei ihr positioniert hatte. >>Erzähl schon, Ava.<< Erschreckt drehte ich mich zu meiner Oma um, die mir wohl gefolgt war und so wissend grinste, dass ich wahrscheinlich gar nichts mehr erzählen brauchte. Schnell warf ich noch die Zimmertür zu, bevor es auch schon aus mir herausbrach. >>Er hat mich geküsst und ich ihn und dann... ach... nie habe ich mich so glücklich gefühlt.<< Das waren heute ein bisschen zu viele achs und ähs, aber mir sollte es nur recht sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 03, 2016 ⏰

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