Wenn die Familie dich braucht

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Ich gebe zu, dass ich verwirrt bin. Auf eine positive Art, wenn das überhaupt möglich ist. Warum muss ich die ganze Zeit an Tyler denken? Seit zwei Stunden versuche ich zu schlafen. Ohne Erfolg. Deshalb bleibt es ja auch bei dem Versuch. Ich hatte mir fest vorgenommen, diesen überaus attraktiven Cuartero nicht mehr wieder zu sehen. Und was mache ich? Tauche auf seiner Party auf. Ich darf nicht vergessen, wer er ist. Dabei ist es so leicht diesen ganzen Kram zu vergessen. Er war so lieb zu mir. Er hat mich geküsst! Sollte davon einer meiner Brüder erfahren, ist Tyler tot.


>>Ich bin wach.<< Rufe ich verwirrt aus und sehe mich irritiert um. Da sehe ich den Übeltäter, der meinen Schlaf gestört hat. Ein kleines, Handgroßes Gerät. Nein, nicht mein Wecker, sondern mein Handy. Ich gucke auf die Uhr, möchte wissen wer mich so früh anruft. Ups, es ist schon nach zwölf. Schnell nehme ich den Anruf an und bin erst verwundert, als von der anderen Seite nichts kommt. >>Hallo?<< Immer noch nicht. Da nehme ich ein leises Schluchzen war. Schnell sehe ich auf mein Handy, um zu sehen wer mich anruft. Meine einzige Cousine. Wir stehen uns sehr nahe und sind zusammen aufgewachsen. Da sie nur anderthalb Jahre älter ist als ich, hat man uns als Kinder immer zusammen gesteckt. Jedem wurde schnell klar, dass wir unzertrennlich sind. >>Lena, was ist passiert?<< Doch bevor sie antworten kann kommt mein Bruder Cirilo in das Zimmer gestürmt. >>Damian kommt aus dem Gefängnis.<< Das erklärt alles. Damian ist Lenas Bruder und mein Cousin. Er ist vor einem Jahr wegen Drogenbesitz und einigen Waffen eingebuchtet worden. Eigentlich sollte er vier Jahre sitzen. Das er jetzt rauskommt ist ein Schock. Ich habe ihn sehr vermisst und ich weiß wie sehr Lena an ihrem Bruder hängt. Sie hat Damians Verurteilung kaum ertragen. Hat Wochenlang nichts gegessen und mit niemandem geredet. Irgendwann konnte ich mir das nicht mehr mit ansehen und habe sie zu mir geholt. Sie war schon immer sehr still und schüchtern, aber sie hatte nicht mal mehr gelacht. Jeglicher Glanz war aus ihren Augen gewichen und es blieb nur leere. Diese Zeit hat uns noch näher gebracht. Wir können uns immer aufeinander verlassen und sagen uns alles. Ein unglaublich schlechtes Gewissen macht sich in mir breit. Seit ich Tyler begegnet bin habe ich mich nicht mehr bei ihr gemeldet und ihr auch nichts von ihm erzählt. >>Lena, ich komme sofort vorbei und dich abholen.<< Mein Onkel würde sich kaum um sie kümmern können, dafür war er zu sehr in seine Arbeit bei der Familia eingebunden und konnte nicht gut mit Gefühlen. Und Lenas und Damians Mutter würde jetzt bis zu Damians Entlassung durchdrehen und jeden unruhig machen. >>Danke.<< Hauchte Lena in das Telefon und legte auf. Sofort sprang ich auf und zog mich um. Meinen Bruder hatte ich runter geschickt um meinem Vater bescheid zu sagen und das Auto vorzufahren. In nicht ein mal zehn Minuten war ich fertig und stieg in den Wagen ein. Ich erfuhr das Damian in den nächsten Tagen entlassen werden würde. Ein genauer Termin stand noch nicht. Hauptsache er kommt wieder. Lena braucht ihn. Seine ganze Familie braucht ihn.


Bei Lena angekommen sehe ich, wie meine Cousine aus dem Haus stürzt und direkt in meine Arme fällt. Ihre Schluchzer schütteln ihren gesamten Körper und ich kann nichts tun, außer sie festzuhalten. Sie tut mir unheimlich leid und ich freue mich gleichzeitig mit ihr. Sie weiß wahrscheinlich selbst nicht, wie sie sich fühlen soll. Aber sie braucht mich und ich werde für sie da sein. Auf direktem Weg fuhren wir zu mir nach Hause. Dort angekommen schafften wir es irgendwie Oma Alondra aus dem Weg zu gehen. Wir schlossen uns in meinem Zimmer ein, natürlich nicht ohne das wir uns vorher Proviant geholt hätten. Wir waren stolze Besitzer einer Tafel Vollmilch-Nuss-Schokolade sowie zweier Sandwiches. Getränke nahmen wir natürlich auch mit und falls wir ernsthaft Hunger bekommen sollten, konnten wir uns immer noch etwas richtiges holen. Ich wusste, dass Lena nicht über ihren Bruder sprechen wollte, daher war es an der Zeit ihr von Tyler zu erzählen. Dann mal los. >>Ich muss dir etwas erzählen.<< Sofort hatte ich ihre Aufmerksamkeit. Nur wie sollte ich beginne ihr zu erklären, dass ich mich ganz zufällig zu Tyler Cuartero hingezogen fühle? Wie sollte ich beschreiben, dass er so ganz anders ist, als über ihn berichtet wird. Verdammt. Tyler ist ein Mann, in den ich mich verlieben könnte und er ist genau der falsche für solche Gefühle. Ich steigerte mich immer weiter in meine Gedanken hinein, bis meine Cousine mich unterbricht. >>Ava, du musst dann auch reden, wenn du mir etwas erzählen möchtest.<< Sagt Lena lachend und ich finde langsam aus meinen wirren Gedanken zurück. >>Ich stecke mächtig in der Scheiße. Aber so was von. Ich glaube ich empfinde etwas für ihn. Ich hätte dir viel früher davon erzählen sollen, aber ich wusste nicht wie. Ich dachte nicht, dass er mir so unter die Haut fährt. Dabei kenne ich ihn doch gar nicht richtig. Hab ihn doch erst vor knapp zwei Wochen kennengelernt und erst zwei mal wirklich getroffen...<< Wild mit den Armen fuchtelnd sitzt Lena mir gegenüber. >>Moment mal. Stopp. Um wen geht es denn hier eigentlich. Wer ist ER?!?!?!<< Gut, der Einwand war berechtigt. Aber genau diese Frage war ja das Problem. Kleinlaut werfe ich schließlich seinen Namen ein. >>Tyler Cuartero.<< Schockstarre. Anders kann man den momentanen Zustand meiner Cousine wirklich nicht nennen. Atmet sie überhaupt noch? Als ich sie genau das fragen möchte rastet sie aus. >>Ach du liebe Güte. Ist das dein Ernst? TYLER CUARTERO? Der Tyler? Ich glaube es nicht. Und du sagst du empfindest etwas für ihn? Bin ich richtig mit der Annahme, dass du keinen Hass meinst, den du da fühlst?!<< Sie schnaubte kurz, weil sie von ihrem Ausbruch so außer Atem war. Tief sog Lena Luft in ihre Lungen und schien sich zu fangen. >>Na gut, erzähl mir davon. Ich möchte ALLES wissen.<< Dazu sollte man vielleicht wissen, dass meine Cousine eigentlich nicht ausrastet. Sie ist die Ruhige und Vernünftige in dieser Familie. Die Situation mit ihrem Bruder scheint sie echt zu belasten. Also erzählte ich ihr davon, wie ich Tyler kennen gelernt habe und wie es zu den weiteren Begegnungen kam. Auch erzählte ich ihr, wie ich mich fühlte. Das ich ein schlechtes Gewissen meinen Brüdern und auch Tyler gegenüber habe. Zu keinem war ich wirklich ehrlich in letzter Zeit. Ich erzähle ihr, wie anders Tyler ist, als man hört. Wie zuvorkommend er sein kann und so lieb. Das alles verwirrt mich so. >>Er hat mich auf die Stirn geküsst.<< Das haut meine so besonnene Cousine nun wieder um. >>Nicht dein Ernst. Du steckst so was von in der Klemme.<< Mehr als nicken kann ich nicht. Sie hat ja recht. Dann seufzt sie, wie es Maria auch schon getan hat. >>Aber es ist schon irgendwie romantisch. Hat etwas von einer großen Liebesgeschichte. Du weißt schon, etwas aus dem Holz wie Tristan und Isolde.<< Sie seufzt wieder. Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. >>Das klingt ziemlich kitschig.<< Gebe ich zu. >>So als ob das alles gar nicht wirklich passiert. So etwas kann im wahren Leben nicht funktionieren. Es ist alles zu... perfekt.<< Auf ein mal wollte ich nicht mehr über Tyler nachdenken. Wozu würde es führen, außer zu noch mehr Verwirrung. >>Ich brauche Schokolade.<< Bereitwillig öffnete Lena das genannte heilige Lebensmittel und brach großzügig für jeden von uns ein Stück ab. Schokolade ist das, was Mädchen in Krisensituationen brauchen. Da wussten wir nicht, dass es noch schlimmer kommt.


Nach drei Liebesfilmen und tausenden von Tränen waren Lena und ich langsam wieder die Alten. Manchmal brauchen wir einfach eine Auszeit. Wollen wir einfach nur Mädchen sein. Zwischen Film eins und zwei ließen wir uns Pizza kommen, um alles noch abzurunden. Wir mussten einsehen, dass man von Schokolade einfach nicht satt wird. Leider, wenn ihr mich fragt. >>Ava, ich bin froh das ich dich habe.<< Ich sah sie an und sie wusste, dass es mir mit ihr genau so geht. Das Klingeln meines Handy zerstörte die schöne Stimmung. Die Nummer war unterdrückt und ich hatte so das Gefühl, dass Tyler an der anderen Leitung war. Lena bemerkte meinen zwiegespaltenen Blick. >>Tyler?<< War ihre einzige Frage. >>Ich denke schon. Soll ich ran gehen?<< Sie nickte hektisch. Ein wenig hatte ich meine Begeisterung für Tyler auf sie übertragen. Lena wollte, dass ich glücklich bin und Tyler machte mich glücklich. Wir wussten jedoch beide, dass es hoffnungslos war. Würde er je erfahren wer ich bin... Darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Also nahm ich den Anruf entgegen. Es ist tatsächlich Tyler. >>Hey, wollen wir uns treffen?<< Fragte Tyler direkt. Ich blickte zu Lena. Ich möchte mich mit Tyler treffen. Aber ich hatte mir versprochen mich von ihm fernzuhalten und Lena war bei mir. >>Ich kann leider nicht.<< Kurze Pause. Lena sah mich fragend an und formte mit den Lippen das Wort Tyler. Ich nickte m ihr zu zeigen, dass er am Telefon ist. >>Ava, wie oft muss ich dir begreiflich machen, dass ich kein Nein akzeptiere.<< Lena schnappte sich das Telefon. >>Möchtest du dich mit Ava treffen?<< So etwas kannte ich von Lena gar nicht. Tyler schien wohl zu antworten. >>Wir treffen dich in einer halben Stunde im Café Sunzal.<< Das war ein gut gewählter Ort von meiner Cousine. Das Café befindet sich auf neutralem Gebiet und wird nicht oft von den Familias genutzt. Es würde uns noch fehlen, wenn uns jemand zusammen mit Tyler Cuartero erwischt. Eine Navarrete gibt sich nicht mit diesem Pack ab.


Wir hatten Lenas Navarrete Tattoo gut versteckt. Bei Maria gab es nie ein Problem, weil sie keines hat und meins ist eher unauffällig. Lena wollte Tyler unbedingt kennen lernen, also kam sie mit. Sie hatte das Treffen ja schließlich auch vereinbart. Etwas sauer war ich immer noch deswegen. Aber lange kann man Lena nicht böse sein. Wir schafften es ohne Begleiter aus dem Haus. Meine Familie wusste jedoch, dass wir zum Café Sunzal gehen würden. Wenn ich ehrlich war beunruhigte mich es, dass sie wussten wo wir uns aufhielten. Es könnte passieren, dass einer meiner Brüder auf die Idee käme, zum Café nachzukommen. Das Problem war, dass sie dann unausweichlich auf Tyler treffen würden. Auf dem Weg zum Treffpunkt rieb ich mal wieder vor Nervosität meine Fingerkuppen aneinander. Komischerweise war Lena ziemlich locker. Das Treffen schien sie von ihrem Bruder abzulenken. Als wir ankamen war es brechend voll. Hauptsächlich Studenten fanden sich im Café ein. An einem der hinteren Tische entdeckte ich Tyler. Neben ihm saß Rico. Hoffentlich machte der bedrohlich aussehende Riese meiner Cousine keine Angst. Wir kamen dem Tisch näher und meine Cousine rückte an mich heran. Wir gaben uns gegenseitig Rückendeckung und Stärke. Am Tisch angekommen räusperte ich mich. >>Hallo Tyler. Rico.<< Verhalten nickte ich dem Riesen zu, den ich auf der Strandparty jedoch besser kennengelernt habe und nun ein bisschen mag. Er ist jedoch keiner dieser Menschen, die auf übertriebene Begrüßungen und viele Worte abfahren. Daher nickt er nur zurück. Tyler erhebt sich und drückt mich kurz an sich. Mal wieder ist seine Miene verschlossen. >>Das ist meine Cousine Lena.<< Ich befreie mich von Tyler und ziehe mit einem Lächeln auf den Lippen meine Cousine hinter meinem Rücken hervor. Rico starrt Lena an. Auch ein >Hallo< presst er hervor. Scheint als wäre meine Cousine beliebter als ich. Wir setzen uns und die Stimmung lockert sich schnell. Irgendwie haben wir viel zu reden und zu lachen. Sogar Rico grunzt hin und wieder, was für ihn wohl ein Lachen darstellt. Mich beruhigt das Lena keine Angst vor ihm zu haben scheint. Wir ließen uns Brot und Getränke kommen, da keiner wirklich großen Hunger hatte. Rico erzählte sogar, dass Tylers Mutter ständig fragt, wann ich mal zu Besuch komme. Mein Gesicht wird heiß und ich weiß, dass ich wie eine Tomate aussehen muss. Tyler schlägt seinem Cousin einfach eins hinter die Ohren. Ich zucke zusammen als mein Handy klingelt. Es ist mein jüngster Bruder Basilio. Ohne ein Hallo fängt er an zu reden. >>Damian ist schon raus. Er möchte euch abholen kommen.<< Oh Mist. Ich hatte ganz vergessen, dass meine Brüder wissen wo wir hin sind. Was geschehen wäre, wenn mein Bruder nicht angerufen hätte und Damian schon hier wäre, will ich mir gar nicht vorstellen. Jetzt haben wir immerhin noch Zeit uns einen Plan zu überlegen. Damian darf auf keinen Fall auf Tyler und Rico treffen.








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