Die achte Gestalt

6 1 0
                                    

Fast sechs Monate waren seither vergangen. Das Baby entwickelte sich prächtig, ich hatte eine richtige Kugel vor mir und wir waren dabei, Haus Mizuki wieder aufzubauen. Mittlerweile wussten León und ich, dass wir ein kleines Mädchen erwarteten. Wir waren alle glücklich und hatten den Stress mit Jasmin bereits vergessen. Die hatte ihren Job gekündigt und war spurlos verschwunden. Doch Unkraut vergeht nicht.
Ich war draußen und lief etwas durch die Stadt, frische Luft schnappen. Naja, Stadtluft ist nicht sonderlich frisch, aber besser als stickige Raumluft. Ich war nun schon eine halbe Stunde unterwegs, als mich ein ungutes Gefühl beschlich. Ich fühlte mich beobachtet.
Plötzlich wurde ich attackiert und betäubt. Kurz versuchte ich mich zu wehren, doch es half nichts.
Etwas später wachte ich dann auf. Zuerst erkannte ich nichts. Alles war verschwommen. Als meine Sicht etwas klarer wurde, erkannte ich kalte, graue Wände mit kleinen verhangenen Fenstern und vor mir eine Figur. Noch etwas desorientiert, blickte ich zu der Figur und erkannte Jasmin. Sie grinste mich siegessicher an.
  „Wie lange ist es her, seitdem mir León den Arm gebrochen hat? Fünf Monate?“ Noch leicht benebelt, wusste ich nicht wovon sie sprach.
  „Hä?“ Ihr Grinsen wurde breiter, als sie auf mich zukam, jedoch verschwand es, als sie vor mir stand. Und mir eine scheuerte. Da ich nun wach war, antwortete ich mit einem Knurren und bleckte meine Fänge. Was hatte dieses Biest vor? Da war es wieder, ihr siegessicheres Grinsen. Es kotzte mich an. Ich merkte plötzlich, dass ich gefesselt war und mir schlug der Geruch von Verbene entgegen. Jenem Kraut, was Vampiren die Kraft rauben konnte. Auch die Kraft zu heilen. Da ihre Backpfeife ziemlich wehgetan hatte und der Schmerz nicht nachließ, blickte ich mit etwas schmerzverzerrtem Gesicht zu ihr.
  „Aw, tut’s weh?“, fragte sie mit einem hämischen Unterton.
  „Das wirst du bereuen“, knurrte ich. Entweder ich hatte was verpasst oder sie war einfach nur blöd, denn sie fing auf einmal an, laut zu lachen.
  „Genau diesen Satz habe ich zu León gesagt“, sagte sie dann, als sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Ich knurrte einfach nur. Ich war stocksauer. „Ich hoffe er wird bald kommen, damit wir ihn töten können.“ Meine Augen weiteten sich vor Schock. Sie wollte León, den Vater meines Kindes, umbringen.
  „Nein“, hauchte ich geschockt.
  „Und wie“, sagte sie, nun finster grinsend. Jetzt wusste ich auch, warum sie vorher so siegessicher gegrinst hatte. Sie hatten mich erfolgreich gefangen und lockten León damit zu such. Ich knurrte wieder und bleckte angriffslustig meine Fänge. Ich würde das niemals zulassen. Doch das ließ mich direkt noch eine Backpfeife von Jasmin bekommen.
  „Deine Fänge werden dir nichts nützen“, sagte sie. „Du bist nur eine Puppe. Eine Puppe die eine Kugel vor sich herschiebt, in der das Kind eines Mannes schlummert, der bald nicht mehr sein wird.“ Ich spürte, wie Tränen in meine Augen traten.
  „Dein Plan wird niemals aufgehen!“, schrie ich.
  „Och Süße, er ist gerade so richtig am dampfen. Und das Osteuropäische Rudel ist das stärkste Rudel mit der stärksten Anführerin.“ Ja klar, in ihrer Fantasie. Das stärkste Rudel war das West- und Mitteleuropäische Rudel, dass mittlerweile von León geführt wurde. Sein Vater hatte den Angriff zwar überlebt, jedoch so schwere Verletzungen davongetragen, dass er nicht mehr weiterleben konnte. Akeno hatte den Angriff mit Sicherheit nicht alleine ausgeführt. Er hätte niemals die Kraft dazu gehabt.
Trotz der Verbene versuchte ich, eine telepathische Verbindung zu León aufzubauen. Ich musste ihn warnen. Jasmin musste meine Bemühungen bemerkt haben, denn sie lachte schon wieder.
  „Bist du so dumm oder tust du nur so? Verbene blockiert eure ganzen Fähigkeiten.“ Ihre Bemerkung ignorierend versuchte ich es weiter. Ich musste es schaffen. „Ach, wie naiv das kleine Ding ist.“ Leider verlor ich durch die Versuche und die Verbene gleichzeitig schneller meine Kraft. Bald musste ich es aufgeben. Währenddessen kam ein Mann zu Jasmin und flüsterte ihr etwas zu. Ich konnte nicht hören was, doch es musste etwas mit León zu tun haben. Ihr Satz, kurz nachdem der Typ wieder ging, ließ mich das vermuten. „Dein Gestaltwandler und seine kleine Truppe sind hier.“ Um nicht laut aufzuschreien, biss ich die Zähne zusammen. Doch das ließ meine Tränen nicht weniger stark laufen. „Och, wie herzzerreißend. Aber du hast einen Platz in der ersten Reihe, Süße. Dann kannst du sehen, wie meine Leute die kleine Truppe abschlachten.“ Ihr Grinsen spürte ich in jeder Faser in meines Körpers. Dann wurde die Tür aufgestoßen.
  „Akaya!“, rief León. Hinter ihm hörte ich weitere Schritte. Als ich aufsah, standen dort Tori, Roberto, Raiu, Akeno und Hana.
  „Lauft! Haut ab! Los!“, schrie ich sie an. Jasmin drehte sich zu ihnen und grinste weiter. Wenn ich diese Frau in die Klauen bekommen würde, dann würde sie den nächsten Tag nicht mehr erleben. León war stocksauer und sah zu Jasmin.
  „Du bist zu weit gegangen!“, knurrte er. Auch die anderen fünf knurrten.
  „Haut ab!“, schrie ich erneut. Langsam verzweifelte ich.
  „Komm her und lass mich büßen“, forderte Jasmin ihn auf. Verdammt! Er knurrte lauter und seine wütende Magie wurde immer stärker. Langsam ging er auf die Tussie zu. Die anderen vier Gestaltwandler verwandelten sich in ihre Tiere und griffen die Leute an, die mittlerweile in den Raum gekommen waren. Hana teleportierte sich zu mir und kappte die Fesseln. Jedoch hatte ich zu viel Energie entzogen bekommen und kämpfte bereits gegen die Bewusstlosigkeit an. Als Hana alle Fesseln gelöst hatte, kippte ich ihr entgegen, woraufhin sie mich auffing. Langsam bekam ich wieder Energie und sah zu León. Vollkommen angespannt stand er nun vor Jasmin, die sich ebenfalls angespannt hatte. Die anderen waren fleißig am Töten.
  „Sie will ihn töten“, murmelte ich Hana zu, weiterhin mit dem Blick auf die beiden sich gegenüberstehenden Gestaltwandlern gerichtet. Die Teufelin blickte ebenfalls zu den beiden.
  „Oh shit“, murmelte Hana. Jasmin verwandelte sich in ihr Tier und breitete angriffslustig ihre Flügel aus. León stand einfach nur da und machte keine Anstalten sich zu verwandeln.
  „Los, verwandel dich!“, forderte sie ihn auf.
  „Willst du das wirklich?
  „Sie hat danach gefragt, León“, rief Tori grinsend.
  „Verweigere ihr nicht den Wunsch“, rief Roberto ebenfalls grinsend. Etwas war hier mächtig am stinken, doch ich roch es noch nicht. Ich hatte mittlerweile wieder genug Kraft um halbwegs selbst stehen zu können, doch ich wurde immer noch von Hana gestützt. Akeno, Raiu, Hana und ich hatten Fragezeichen im Kopf. Was ging hier vor sich?
  „Los!“, schrie Jasmin nochmal.
  „Na gut“, meinte León und zuckte mit den Schultern. Dann schloss er sein Auge und verwandelte sich. In seine achte Gestalt. In das Tier mit dem pechschwarzem Fell und den blutroten Augen. Tori und Roberto waren nun diejenigen, die siegessicher grinsten. Wir anderen waren einfach nur überrascht. Wie war das möglich?
  „W-wie ist das möglich?!“, fragte Jasmin stotternd. Doch mehr konnte sie auch nicht mehr sagen. León war auf einmal weg, tauchte Millisekunden später hinter ihr auf und schlug mit einer der mächtigen Pranken dem Kranich den Kopf ab. Die beiden jüngeren Brüder verwandelten sich zurück und machten weiterhin grinsend einen High-Five. Akeno, Raiu, Hana und ich waren weiterhin aus dem Staunen nicht mehr herauszubekommen. Die beiden Jungs verwandelten sich zurück und kamen zu uns. Mittlerweile nahmen die Überlebenden des Osteuropäischen Rudels ihre Beine in die Hände und fliehten. Ihre Anführerin wurde von dem Anführer des West- und Mitteleuropäischen Rudels besiegt. Doch der musste erstmal etwas erklären. Wie konnte er dieses Tier benutzen, obwohl es eigentlich hätte versiegelt werden sollen?
León verwandelte sich zurück und kam gemeinsam mit seinen Brüdern zu uns anderen. Kurzerhand hob er mich auf und ging dann mit allen anderen raus. Ich legte einen Arm um seine Schultern und lehnte meinen Kopf auch dagegen. Noch immer etwas müde, schloss ich meine Augen. Ich war ihm irgendwo dankbar, doch er hatte sein Leben für meins riskiert. Es war heldenhaft und hirnrissig zugleich. Doch unmöglich? Das Wort gibt es nicht in dem Wortschatz eines Nekos. Das hatte ich schon früh begriffen.
Ich schlief irgendwann ein und wachte am nächsten Tag bei León im Bett auf. Als ich mich aufsetzte, sah ich ihn im Sessel vor dem Kamin schlafen. Sofort sprang ich auf und lief zu ihm. Mein Unterbewusstsein wusste zwar, dass er lebte, aber mein Bewusstsein wollte das irgendwie nicht glauben. Ich kam bei ihm an und stützte mich auf die Lehne.
  „León?“, fragte ich und musterte ihn. Er war unverletzt, doch auch das war kein Beweis für mein Bewusstsein. Sein Atem war flach, aber er atmete. Langsam wurde er wach, öffnete sein katzengelbes Auge und richtete seinen noch leicht verschlafenen Blick auf mich.
  „Ah, du bist endlich wach“, sagte er und lächelte mich leicht an. Als könnte ich es nicht glauben, weiteten meine Augen sich. Als er dies sah, wandelte sich sein Lächeln in ein Schmunzeln um. „Und bevor du fragst, du träumst nicht. Ich lebe noch.“ Das ließ auch mein Bewusstsein es endlich kapieren und ich fiel ihm um den Hals.
  „Bin ich froh. Irgendwo wusste ich es, aber mein Bewusstsein wollte es nicht wahrhaben“, murmelte ich ihm zu. Er legte seine mächtigen Arme um mich und drückte mich an sich.
  „Und ich bin froh, dass euch beiden nichts schlimmes passiert ist“, murmelte er. Naja, ein paar Backpfeifen sind nicht lebensbedrohlich, aber sie tun weh. Wir lösten uns von einander und als ich ihn ansah, traf mich fast der Schlag. Sein Auge hatte von Katzengelb in ein Blutrot gewechselt. Ich wich ängstlich zurück. „Was ist?“, fragte er.
  „Dein Auge.“ Mir musste etwas entfallen sein.
  „Der will schon wieder raus? Er hat erst gestern Jasmin einen Kopf kürzer gemacht.“ Leicht grinsend seufzte León. Ich verstand gerade absolut gar nichts.
  „Wer will schon wieder raus?“ Er blickte zu mir und lächelte leicht stolz.
  „Meine achte Gestalt. Das Biest, wie es alle nennen, dabei eigentlich eine Mischung aus Tiger und Wolf.“ Er hatte mir mal erzählt, dass sein Vater einen Tiger als Tier hatte und seine Mutter einen Wolf und daraus sein achtes Tier irgendwie entstanden ist. Aber jetzt erinnerte ich mich auch an gestern. Er hatte Jasmin damit getötet.
  „Du hast es unter Kontrolle?“
  „Ja. Wir haben es nicht versiegelt, sondern etwas neues ausprobiert. Ich habe für drei Monate mich in einem komaähnlichen Stadium befunden und mit dem Tier gesprochen.“ Irgendwas klang daran ziemlich seltsam.
  „Das klingt irgendwie komisch.“
  „Wir Gestaltwandler haben mit unserem Tier eine besondere Verbindung. Zwischen mir und dem „Biest" war diese Verbindung jedoch total zerstört und deswegen hat es mir nicht mehr gehorcht. Um diese Verbindung wieder herzustellen musste ich für drei Monate in eine Art Koma fallen, um die Verbindung zwischen mir und dem Tier wieder aufzubauen. Davon wusste man allerdings vor zweihundertachzig Jahren noch nichts, weswegen das Tier versiegelt wurde, was die Verbindung noch mehr geschädigt hat.“ Ich verstand nur Bahnhof. Aber wahrscheinlich, weil Vampire nicht wirklich Ahnung von Gestaltwandlern haben. Und falls jemand verwirrt ist: León ist exakt dreihundertfünf Jahre alt. Sein Bruder Tori ist nur sieben Jahre jünger und Roberto ist achtundzwanzig Jahre jünger. Alles also schon recht alte Knochen.
  „Ich versteh es noch immer nicht, aber wahrscheinlich, weil ich ein Vampir bin“, sagte ich leicht grinsend. León schmunzelte und verwandelte sich in das Tier. Die Augen waren zwar noch immer Blutrot und furchteinflößend, doch sie hatten nicht mehr diese Aggresion in sich.
  „Er gehorcht mir wieder und sein Misstrauen gegenüber anderen Kreaturen, vor allem Vampiren, ist dank dir komplett weg.“
  „Wie dank mir?“
  „Über die Verbindung mit dem Tier, teilen wir auch unsere Emotionen. Irgendwie muss noch eine kleine Verbindung bestanden haben, als ich mich in dich verliebt habe und das hat sich auf das Tier übertragen“, erklärte er. Ich musste leicht lächeln und mir stieg auch eine kleine Röte ins Gesicht. Und ich war froh, dass er das Tier unter Kontrolle hatte. Es war nämlich ein wunderschönes Tier und es wäre schade gewesen, hätte man es und die ungehäuerliche Kraft für immer einfach nur versiegelt.
Der Tolf, wie ich ihn getauft hatte, kam zu mir und schmiegte sich an mich. Aber vorsichtig. Einerseits wegen des Kindes, andererseits um mich nicht umzuhauen. Er war zwar wunderschön, aber auch verdammt riesig. Schulterhöhe kam fast an mein Kinn heran und ich war selber um die 1.75 hoch. Also hatte das Tier eine Schulterhöhe von ungefahr 1.55 Metern.
  „Und wieso komm ich mir bei dir egal in welcher Form, außer der dritten, irgendwie immer irgendwo klein vor?“, fragte ich schmunzelnd und streichelte dem Riesen den Rücken.
  „Weil die dritte Form eine Hauskatze ist und die sechste Form, der Serval, ist jetzt auch nicht so groß“, antwortete er leicht grinsend.
  „Aber der Rest!“ Der Gepard, der Tiger, der Schneeleopard, der Löwe, der Puma und der Tolf waren allesamt echte Riesen. León lachte und verwandelte sich dann in die schwarze Hauskatze.
  „Besser?“ Grinsend nahm ich ihn auf den Arm und kraulte ihn hinterm Ohr, was er mit einem Schnurren kommentierte. So war er viel süßer. „Ich glaube, ich bleib in dieser Form“, schnurrte er.
  „Achja?“, fragte ich schmunzelnd und er nickte als Antwort. „Und warum?“
  „Weil es gut tut.“ Dann sprang er mir vom Arm und verwandelte sich endlich wieder in die menschliche Form. „Allerdings, bevorzuge ich den Geparden“, sagte er lächelnd.
  „Das wissen alle“, meinte ich schmunzelnd. „Aber in der normalen Gestalt bist du mir immer noch am liebsten. „Wer soll mich denn sonst in den Arm nehmen?“
  „Da hast du auch wieder recht“, sagte er lächelnd und zog mich in seine mächtigen Arme. Ich schmiegte mich an seine starke Brust und vergrub mein Gesicht darin, während er mich an sich drückte und mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. Direkt musste ich lächeln. Auch er lächelte und legte sein Kinn auf meinen Kopf.
  „Ich liebe dich“, nuschelte ich in seiner Brust und schloss genießerisch meine Augen.
  „Ich liebe dich auch“, antwortete er. So standen wir noch eine Weile da und genossen die Anwesenheit des jeweils anderen. Alles war ruhig. Alles war friedlich. Endlich mal wieder.

Amore Proibito - Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt