Gefahr ist sein Name

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  „Aber du liegst falsch, Onkelchen“, sagte Akeno auf einmal mit einem verschmitzten Grinsen. Karasu blickte ihn etwas überrascht an.
  „Wieso? Und bitte nenn mich nicht Onkelchen. Wenn ich das höre, fühl ich mich älter, als ich eigentlich bin“, meinte er darauf.
„Du bist schon mega alt“, sagte ich trocken. Man muss auch mal ehrlich sein, oder?
„Du hast Kiken vergessen.“ Augenblicklich spannte Karasu sich an, als hätte Akeno etwas verbotenes gesagt.
„Woher weißt du von ihm?“, fragte er und auch seine Stimme zitterte richtig hart. Wer war dieser Kiken?
  „Kiken?“, fragte ich.
  „Kiken ist der eigentlich Älteste der Nekobrüder, aber er wurde aus dem Rudel verbannt“, teilte Akeno mir mit. Also war León gar nicht der Älteste, sondern dieser Kiken. Sein Name war schon einschüchternd, denn es bedeutete ‚Gefahr‘. Anscheinend wussten die Eltern, dass er Probleme bereiten würde.
  „Er ist ein Verräter und ein mieses Arschloch“, knurrte Karasu. Er war schon mal nicht gut auf ihn zu sprechen und ich dachte mir, dass die anderen wahrscheinlich genauso angespannt reagieren würden.
  „Mit ihm willst du keine Bekanntschaft machen“, meinte Akeno und verschränkte seine Arme vor der Brust, als könnte es ihn vor Kiken schützen. Auch er schien ziemlich angekratzt von dem Thema.
  „Er hat einen unglaublichen Hass auf andere Übernatürliche und tötet jeden, den er sieht, außer Gestaltwandler“, sagte Karasu.
  „Aufbauend?“
  „Nicht wirklich“, meinte Akeno.
  „Das Problem bei Kiken ist, dass er sich in jedes erdenkliche Tier verwandeln kann und das in Sekunden.“ Ich war ja schon beeindruckt davon, dass León sich in acht verschiedene Tiere verwandeln konnte, doch Kiken konnte sich in eine Trillion Tiere verwandeln. Das war einfach nur angsteinflößend.
  „Das klingt nicht gut“, sagte ich.
  „Ist es auch nicht“, bestätigte Akeno.
  „Er ist lange schon verschollen und keiner weiß, ob er überhaupt noch lebt, wo er steckt oder was er vor hat.“ Ich würde ihn eigenhändig umbringen, würde er sich an meiner Tochter vergreifen.
  „Ich hoffe mal nichts“, murmelte ich mit leichter Besorgnis in der Stimme.
  „Leider kann man das nur hoffen“, meinte Akeno. Ich hatte keine Lust mehr, mir weitere Horrorgeschichten über den ältesten Neko anzuhören, also verschwand ich und tauchte bei León im Arm auf. Er saß auf dem gemütlichen Zweiersofa, vor dem ein kleiner gläserner Tisch und jeweils rechts und links ein Sessel standen. In der Nähe des Fensters standen Tori, Kitsune, Roberto und Raiu, die wie aufgebrachte Hühner mit einander brabbelten. Kurz nach mir kamen auch Karasu und Akeno wieder in den Raum und gesellten sich zu dem Kaffeeklatsch vor dem Fenster. Auch wenn es keiner war. Sie diskutierten, ob sie hier bleiben würden oder nicht.
León schloss währenddessen seine mächtigen Arme um mich und ich lehnte meinen Kopf an seinen angestammten Platz, nämlich an Leóns starke Brust. León legte seinen Kopf auf meinen und ich war wieder völlig umgeben von ihm. Auch wenn mich meine Kugel etwas hinderte, ihm komplett nah zu sein. Doch es machte mir nicht sehr viel aus. Ich war froh, León bei mir zu haben.
Dennoch schwirrten in meinem Kopf noch immer die Gedanken um Kiken herum. War er eine Gefahr für unsere Tochter? Würde er irgendwann hier her kommen und ihr etwas antun? Oder uns? Wieder einmal überschwemmten mich Sorgen. Die Sorgen um meine Familie.
Ich schmiegte mich an Leóns Brust, als könnte der Klang seines Herzens diese Sorgen wegdonnern. Es half tatsächlich ein wenig und ich konnte mich wieder entspannen. Ich spürte Leóns Blick auf mir, also blickte ich zu ihm auf. Er betrachtete mich mit einem etwas besorgtem Blick. Hatte er vielleicht etwas von dem Gespräch um Kiken gehört und war deswegen jetzt ebenfalls besorgt?
  „Ist was? Du siehst ein wenig besorgt aus“, sagte er dann. Okay, er hatte es schon mal nicht gehört.
  „Tu ich das?“, fragte ich und er nickte als Antwort. Ich konnte es nicht wirklich abstreiten. Allein der Gedanke daran, dass sein älterer Bruder sich in zickbilliarden Tiere verwandeln konnte, jagte mir ein Alarmzittern durch den Körper.
  „Haben dir Akeno und Karasu Mist erzählt?“, fragte er. Naja, konnte man einen sehr starken Gestaltwandler als Mist bezeichnen? Vielleicht.
  „Nicht doch“, sagte ich und musste dabei leicht grinsen. Auch León konnte ein leichtes Schmunzeln nicht vermeiden.
  „Was haben sie dir denn erzählt?“ Man, er war prenetant heute.
  „Nichts wichtiges“, sagte ich nur und kuschelte mich wieder an ihn. Doch seinen skeptischen Blick spürte ich direkt. Er war nicht wirklich davon überzeugt, doch irgendwann ließ er es mir durchgehen und legte seinen Kopf wieder auf meinen. Aber seine Skepsis war noch immer zu spüren, selbst wenn sie nicht in seinem Blick lag.
Ich wollte ihn etwas lockern und versuchte ihn mit einem Kuss abzulenken. Er erwiderte und lächelte danach leicht. Ich lächelte etwas kräftiger und schmiegte wieder an ihn, doch er machte nichts. Der Kuss hatte wohl nichts gebracht. Ich blickte zu ihm hoch und beäugte ihn genau.
  „Was ist?“, fragte ich und meine Stimme zitterte leicht. Wahrscheinlich noch immer wegen Kiken.
  „Ich weiß nicht wieso“, sagte er, „aber irgendwie muss ich an Kiken denken.“ Er senkte seinen Blick zu Boben, doch ich konnte darin Bedauern und Trauer sehen. Anscheinend hatte León seinen älteren Bruder als Vorbild gesehen, doch dann wurde er aus dem Rudel verbannt, weil er ohne Grund andere Übernatürliche getötet hatte. Das war mein Gedankengang jedenfalls.
Ich legte einen Finger unter sein Kinn und zwang ihn dazu seinen Blick zu heben. Dies machte er auch und blickte mich mit einem traurigen Auge an. Schließlich nickte ich, um ihm zu signalisieren, dass Kiken das Thema des Gesprächs gewesen war.
León verstand anscheinend, denn er fragte: „Was haben sie dir erzählt?“
  „Ähm, so ziemlich das Beunruhigendste was geht“, sagte ich und es war wirklich so. Wer erfährt bitte gerne von einem Gestaltwandler der sich in alle Tiere der Welt verwandeln kann?
  „Verstehe“, murmelte er und nun trat Nachdenklichkeit in seinen Blick. Doch lange hatte er nicht zum Nachdenken. Tori kam unter den Augen der anderen fünf Quasselstrippen zu uns und blieb vor uns stehen. Wir richteten unsere Blicke auf ihn und ich war gespannt auf die Entscheidung. „Und?“
  „Die meisten sagen, dass sie hier bleiben wollen“, sagte er. Zugleich erleichtert und angespannt atmete ich aus. Das Rudel würde hier bleiben und Mei in Europa geboren werden.
  „Also, würde ich sagen, hat die Mehrheit gesprochen.“

Amore Proibito - Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt