Angriff der Gestaltwandler

4 1 0
                                    

Völlig perplex und verwirrt tauchte ich in meinem Zimmer im Internat auf. Hana war auch anwesend. Wahrhscheinlich war der Unterricht ausgefallen oder so etwas in der Art, denn eigentlich müsste sie nun im Geographieunterricht sein. Aber ich war froh, dass sie da war. Ich brauchte jetzt jemanden, der mich aus dieser verdrehten Welt rausholen konnte.
Sie sah zu mir, als ich gerade aufgetaucht war. Ohne zweimal drüber nachzudenken ging ich zu ihr.
  „Was ist los?“, fragte sie mich. „Du bist kreidebleich.“ Das mochte vielleicht sein. Doch ich konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war und ich konnte es ihr auch kaum wiedergeben.
  „Nimm mich einfach in den Arm, ja?“ Ich setzte mich neben sie auf das Bett. Direkt zog sie mich in ihre Arme.
  „Gott, du zitterst ja“, sagte sie überrascht. Unfähig darauf überhaupt ein Geräusch von mir zu geben, lehnte ich mich an sie. Was war passiert? Warum stand meine Welt, die vor Leóns Ankunft so perfekt gewesen war, jetzt auf einmal auf dem Kopf? Ich wollte nicht, dass alles was ich bisher kannte, auseinander brach. Ich wollte einfach nur mein Leben leben und das in Frieden. Weg von allen Problemen. Weg von allem hier. Weg von den Gestaltwandlern. Weg von León. „Was ist passiert, hm?“, fragte Hana, als sie mich fest an sich drückte. Hana wäre die einzige Person gewesen, die ich nicht verlassen hätte. Einfach weil sie meine beste Freundin war und mich aus allem wieder rauszog, egal wie mies es war. Und sie war die einzige, die es schaffte, mir ein paar anständige Ohrfeigen zu verpassen, sodass ich wieder klar denken konnte.
  „Z-zuerst lief es halt wie "geplant" ab“, fing ich weinerlich an zu erzählen. Meine Stimme zitterte, als ich das Geschehene wiedergab. Denn ich wollte es noch immer nicht wahrhaben. „Und dann eben... kam plötzlich die Nachricht, dass Akeno mit León sprechen will. Ich bin natürlich auch mit... dann hat sich herausgestellt, dass meine Familie ihn foltert... u-und Akeno eigentlich gar nicht mein Bruder ist.... sondern... sondern.“ Ich konnte nicht mehr weitersprechen und die tränen liefen mir in Sturzbächen aus den Augen. Meine Welt, meine Familie, meine Liebe. Alles. Alles was ich kannte, war auf einmal nur ein Haufen Schutt und Asche.
  „Och Süße“, sagte Hana und drückte mich weiter an sich. Den Schock konnte ich in ihrer Stimme hören. Ihre Augen waren wahrscheinlich groß deswegen. Allein das tat mir schon in der Seele weh. Sie hatte damit nichts zu tun und dennoch, war sie die einzige Person, der ich noch vertrauen konnte. Und die mich nicht anlog. „Das tut mir so leid.“
  „Ich hab mit dem Vater meines Ziehbruders geschlafen“, murmelte ich leise quietschend, denn die weinerlichen Geräusche ließen meine Stimme in die Höhe schießen. Weiterhin liefen die Tränen wie in einem Wettrennen meine Wangen herunter. Ich konnte wirklich nicht mehr. Alles war weg. Alles war zerstört. Alles würde nie mehr so sein wie früher.
  „Was? Akeno ist der Sohn von Neko?“ Diesmal wieder war ihr der Schock anzuhören.
  „Sie haben sich beide vor mir in einen Geparden verwandelt“, murmelte ich nach einem kurzen Nicken. Ich sah beide noch so klar vor mir. Der etwas größere Gepard mit den dunkelroten Flecken war León, der kleinere mit schwarzen Flecken Akeno. Es war so deutlich zu sehen und dennoch wollte ich es einfach nicht wahrhaben.
  „Oh gott“, hauchte die Teufelin die Worte in den Raum. Langsam fing sie an, beruhigend meinen Rücken zu streicheln. Wäre es so einfach, alles von meinem Rücken zu streichen, hätte ich sie schon länger darum gebeten. Doch es war nicht so einfach. Leóns Ankunft. Meine Fixierung. Sein Bruder, der die Lösung dazu wusste. Leóns Tier, welches er nicht unter Kontrolle hatte. Der Angriff auf den Rudelführer, in den mein Haus verwickelt war. Die Folter, die mein Bruder durchstehen musste, nur weil er ein Mischling war. Die Lösung der Fixierung. Akeno, der schwer verwundet in Leóns aufgetaucht war. León und Akeno. Vater und Sohn. Es war einfach zu viel.
Auf einmal klopfte es an der Tür und ohne auf eine Antwort zu warten, platzte Roberto in den Raum.
  „Akaya, wo ist León?!“, schrie er, dass man es vermutlich auf dem Hof hätte hören können. Genau der hatte mir gerade noch gefehlt. Hana und ich sahen zu ihm. Ich sah ihn mit tränenüberströmten Gesicht an, sodass er sehen konnte, dass er nicht wirklich erwünscht war.
  „Schlechtester Augenblick, den du erwischen konntest!“, fauchte ich in an. Hanas Augen waren pures Giftgrün, was bedeutete, dass sie auch nicht gerade von seiner Präsenz erfreut war.
  „Schlechtester Augenblick, den Du erwischen konntest!“, knurrte er zurück und in seinem Knurren war Verzweiflung zu hören. Was war nun schon wieder passiert? „Sein Haus liegt in Schutt und Asche! Also, wo ist er?!“ Was?
  „Ich weiß es nicht, verdammt nochmal!“, knurrte ich ihn an. Und es konnte nichts gutes heißen.
  „Moment mal“, unterbrach Hana unser einander Anknurren. „Was heißt in Schutt und Asche?“
  „Scheiße“, fluchte Roberto leise, bevor er seinen Blick auf Hana richtete. „Sein Haus wurde angegriffen und er ist weg.“
  „Bevor ich mich wegteleportiert hab, war alles noch heil“, teilte ich ihm mit. „León war mit Akeno im Empfangssaal oder so.“
  „Akeno war da?! Ach du scheiße“, sagte er und er klang mit jedem Wort verzweifelter. Aber das interessierte mich nicht die Bohne.
  „Wir wissen nichts also hau ab!“, knurrte ich ihn an. „Ich hab genug von Gestaltwandlern!“ Ich drehte mich von ihm weg und drückte mein Gesicht in Hanas Schulter. Ich wollte hier weg!
  „Diesmal haben die Mizukis die Linie überschritten!“, knurrte er wütend und knallte die Tür hinter sich zu. Warum war er sich so sicher, dass mein Haus wieder damit etwas zu tun hatte? Ich spürte Hanas Blick auf mir, sah aber nicht hoch.
  „Darf ich jetzt den Pflock in Betracht ziehen?“, murmelte ich in ihre Schulter. „So eben ist nämlich die Welt untergegangen.“
  „Du willst dich jetzt umbringen?“, fragte sie mich völlig entgeistert und ich nickte einfach. Ich wollte meinen Frieden. Ich wollte weg und alles hinter mir lassen. Das würde ich alles in meinem Tod finden. Ich spürte, wie Hana mich losließ und von mir wegrutschte. Was war jetzt schon wieder? Mein Blick wanderte zu ihr. Sie sah mich mit der gleichen Entgeisterung an, die ich vorhin in ihrer Stimme gehört hatte. „Das gibt es ja wohl nicht“, sagte sie, erneut entgeistert.
  „Was?”
  „Du willst dir das Leben nehmen, jetzt wo dich dein Bruder braucht?“
  „Er ist nicht mein Bruder!“
  „Das ist doch scheiß egal! Du bist mit ihm aufgewachsen! Du hast ihn wie einen Bruder geliebt!“ Sie hatte Recht. Ich kannte Akeno seit ich denken kann und ich habe ihn geliebt. Aber das war alles vorbei. Er war nicht mein Bruder.
  „Trotzdem! Ich werde ihm eh nie wieder unter die Augen treten können!“
  „Nur weil du mit seinem Vater geschlafen hast?!“, knurrte sie. Anscheinend würde ich mir jetzt eine Backpfeife einhandeln, die sich gewaschen hat.
  „Ja!“, knurrte ich zurück.
  „Sei froh, dass du jedenfalls einen Ziehbruder hattest“, sagte sie mit dem Blick an die Decke gerichtet. Hana hatte ebenfalls einen Bruder, doch er wurde von einem Dämon gefoltert und auf brutalste Weise getötet. Sie hatte, genau wie ich meinen, ihren Bruder geliebt, vorallem weil er ihre einzige Familie war. In das Heim, in das sie gesteckt wurde, wurde sie auf das Übelste gemobbt und wurde schließlich auf dieses Internat geschickt.
Ich seufzte einfach nur. Ich wusste nämlich nicht, was ich darauf antworten sollte, ohne ihr wehzutun. „Ich fass es einfach nicht“, murmelte sie, stand auf und ging in Richtung Tür. Mit dem Gesicht voran fiel ich auf ihr Bett und weinte nur noch heftiger. Jetzt hatte ich auch noch meine beste Freundin verloren. Sie hatte mir nicht physisch, sondern verbal eine Ohrfeige verpasst. Hatte ich sie verdient? Einfach nur, weil ich den Wunsch geäußert habe, zu sterben? Hier und jetzt und nicht irgendwann? Oder ich verstand ihren Grund einfach nicht.
Ich weinte einfach. Es war eine Erlösung, die Tränen auf meinem Gesicht zu spüren. Dann hörte ich Hana auf einmal in meinem Kopf.
  *Wenn du León wirklich liebst, dann hör auf zu heulen und helf ihm!*, forderte sie mich auf. Aber ich konnte nicht. Wenn Haus Mizuki damit zu tun hatte und Akane mit von der Partie war, was definitiv sein würde, dann hatte ich keine Chance.
  *Und wie?*, fragte ich daher. *Ich komm doch noch nicht mal gegen Akane an.*
  *Weil du nicht an dich glaubst. Du bist die Stärkste, du bist die Älteste, du hast mehr drauf als Akane.* Das war der Tritt, den ich gebraucht habe. Ich atmete tief durch, stand auf und ließ meine Augen bedrohlich aufleuchten. Sie hatte Recht. Akane war kein würdiger Gegner für mich und ich musste León helfen.
  *Egal und wenn es mich umbringt! Ich muss ihm helfen!* Die Tür ging auf und Hana steckte den Kopf in den Raum. Sie lächelte mich freudig und zugleich boshaft an. Sie würde mitkommen und mitkämpfen.
  „Das klingt schon mehr wie du“, sagte sie. Ich sah sie mit den leuchtenden Augen an. Ich war bereit, Akane zu zeigen, wo der Haken hängt. Hanas Ausdruck wurde nun pure Boshaftigkeit. „Und du hast einen Grund zu kämpfen.“ Raiu gesellte sich zu uns und stand etwas schräg hinter Hana.
  „Akane kämpft nur aus reiner Kampfeslust“, sagte er und er hatte die gleiche Boshaftigkeit wie Hana in seinem Blick. Teufel eben.
  „Lasst uns meiner Familie in den Arsch treten!“, fauchte ich mit den Fängen gebleckt.
  „Mit Vergnügen!“, sagten beide gleichzeitig, während sie angriffslustig grinsten und ließen ihre Augen Giftgrün aufleuchten. Ich schloss mich ihrem Grinsen an und ließ meine Augen noch etwas mehr aufleuchten. Jetzt war ich auf hundertachzig. Akane würde den nächsten Tag nicht erleben. Dafür würde ich schon sorgen.
Wir verschwanden und tauchten gemeinsam vor dem Haus auf. Dort entdeckten wir eine Schar von Tieren. Das West- und Mitteleuropäische Rudel hatte sich versammelt, um ihrem zukünftigen Anführer und seinen Sohn zu retten. Tori und Roberto standen vor den Tieren und starrten mit einem Blick, der töten hätte können, auf das Haus. Ihr Blick verriet, wie stinksauer sie waren. Als wir zu ihnen gingen, richteten sie ihre Augen auf uns und diese leuchteten wie Bernstein in der Sonne. Es war respekteinflösend.
  „Da sind wir“, sagte Hana, als wir bei den beiden anhielten.
  „Danke, dass ihr gekommen seid“, sagte Roberto. Tori richtete seine Augen auf mich und schmunzelte etwas belustigt.
  „Diesmal nicht zum Aufhalten hier?“, fragte er.
  „Nein“, antwortete Raiu an meiner Stelle. „Sie hilft mit, León daraus zu kriegen.“
  „Machen wir sie platt!“, knurrte ich, nachdem ich meinen Blick auf zu Tori gerichtet hatte. Alle, Hana, Raiu, Roberto und Tori, grinsten mit einer Boshaftigkeit, dass es einem Menschen einen Schauder über den Rücken gejagt hätte. Doch mich spornte es nur an. Roberto verwandelte sich in einen mächtigen grauen Wolf, während Tori und Raiu sich in Weißkopfadler verwandelten. Japp, Raiu auch. Offensichtlich war er auch ein Mischling, denn von ihm kam nun teuflische und gestaltwandlerische Energie. Ich richtete meinen angriffslustigen Blick auf mein Haus. Fänge gebleckt und bereit zum Angriff.
Dann geschah etwas, was man nur bei einer Schar von Gestaltwandlern erleben konnte. Tori und Raiu machten den Anfang mit Adlergeschreien, gefolgt von Roberto mit seinem Wolfgeheule und alle anderen stiegen mit ein. Ein Chor aus Tierstimmen war zu hören. Und alle klangen verdammt sauer. Eins wurde mir klar. Unser Haus hätte nie eine Chance gegen wütende Gestaltwandler gehabt. Nach dem Angriff auf den Rudelführer nicht und auch jetzt nicht. Die wütende Energie war überall zu spüren und sie knisterte um alle herum. Da kam mir eine Idee und ich richtete meinen Blick wieder auf Tori und Roberto.
  „Darf drinnen erst einmal für etwas Verwirrung sorgen?“, fragte ich dunkelgrinsend. Die beiden sahen zu mir und grinsten wieder mit der vorherigen Boshaftigkeit, dann nickten sie. Hana und Raiu sahen ebenfalls zu mir rüber und grinsten ebenso dunkel wie ich. Ich sah wieder zu dem alten Haus, was noch so ruhig da stand in der heißen Mittagssonne. Die Ruhe würde sich bald auf die Socken machen. Sicheren Schrittes, wie ich es von León gelernt hatte, ging ich auf mein Haus zu. Ich würde ihnen das nie verzeihen. In meinem Kopf erinnerte ich mich an Leóns Herzschlag und dieser Gedanke gab mir Kraft. Kraft, um ihn darauszuholen. Kraft, um Akane dem Erdboden gleichzumachen. Ich kam bei der Tür an. Und mit dem Klang seines Herzens in meinem Kopf trat ich ein.

Amore Proibito - Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt