Kassandras Erbe: Teil III

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„Nein, keineswegs. Ich bitte sogar darum", versicherte er ihm.

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Nina saß im Wohnzimmer und hatte von Luise eine Tasse Tee gebracht bekommen, welche sie dankend entgegengenommen hatte. Sie war das Dankeschön, dafür dass Nina beim Abwasch geholfen hatte. Der Doktor befand sich immer noch in Josephs Arbeitszimmer und überprüfte alle möglichen Gedichte, da er meinte, dass vielleicht versteckt in den Erscheinungen des Dichters die Antwort auf die Frage liegen könnte, weshalb er von der Zukunft träumte. Nina aber hatte keine Ahnung, wie das ausschauen könnte, und anstatt nur dumm rumzustehen, hatte sie beschlossen, anderweitig zu helfen.

Joseph ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber nieder. Er selber wusste auch nicht, wie er helfen könnte. Außerdem war das Arbeitszimmer schon recht eng, wenn sich mehr als eine Person dort befand. Die beiden waren alleine im Wohn- und Esszimmer. Joseph legte Nina ein Stück Papier vor die Nase. „Hier", sprach er. „Es ist nun sieben Jahre her, dass ich das geschrieben habe."

Nina setzte neugierig die Tasse ab und nahm das Papier zur Hand. Es war ein Gedicht. „‚An eine Tänzerin'", las sie die Überschrift laut vor und ließ dann ihre Augen über das Geschriebene fliegen. Die ersten vier Verse kannte sie schon; es waren die, die Joseph vorhin zu ihr gesagt hatte. Der Rest war neu. Bald war sie auch schon bei den letzten fünf Versen angelangt.

[...]

Tödlich schlingt sich um die Glieder
Sündlich Glühn,
Und verblühn
Müssen Schönheit, Tanz und Lieder,
Ach, ich kenne dich nicht wieder!

„Das ist schön!", meinte Nina schließlich ehrlich. „Aber ist das Ende nicht etwas traurig?"

„Ich weiß", stimmte Joseph ihr zu. „Aber so war es auch im Traum. Ich habe Sie tanzen sehen. Ich habe es bezaubernd gefunden, doch nach einiger Zeit fiel mir auf, dass Sie traurig waren. Ich weiß aber nicht, warum."

„Traurig?", fragte sie nach. Sie trank noch einen Schluck aus ihrer Tasse und versuchte zu ignorieren, dass er davon sprach, wirklich sie in seinem Traum gesehen zu haben.

„Ja." Joseph nickte. „Es war eine unendlich tiefe Trauer, die von Ihnen ausgegangen ist. Es hat mein Herz zum Schmerzen gebracht."

Bei dem ‚Ihnen' zuckte sie innerlich zusammen. So viel zum Thema ‚Ignorieren'... „Ach ja?", murmelte Nina also nur und ließ ihren Blick zurück zu dem Blatt Papier vor ihr auf dem Tisch wandern. Sie bekam plötzlich ein ganz mulmiges Gefühl. Das war mehr als nur ein Gedicht, das wegen einer Eingebung geschrieben worden war. Das war sie. Mehr oder weniger. Es war sie, die Joseph von Eichendorff in seinem Traum gesehen hatte. Sie war es, die getanzt hatte, die in der Musik versunken war, die anscheinend so traurig war. Wie konnte das sein? Ein Schauer lief ihren Rücken hinunter.

Auf einmal schaute sie auf. „Ich tanze nicht mit Kastagnetten!", meinte sie. „Und ich habe auch keine Locken. Sehen Sie?" Um ihre Worte zu unterstreichen, hielt sie eine Haarsträhne hoch.

Joseph lachte auf. „Ich bitte Sie, Frau Federstein. Ein bisschen künstlerische Freiheit ist mir hoffentlich doch noch gewährt."

„Ich heiße nicht...", begann sie, doch sie stoppte mitten im Satz. ‚Featherstone'. Die Tardis hatte selbst ihren Nachnamen übersetzt. „Bitte nennen Sie mich einfach Nina", änderte sie ihre Worte. Josephs Worte zerstörten ihr kleines Häufchen Hoffnung. Die Kastagnetten und Locken der Tänzerin hatte er einfach erfunden.

Aber Hoffnung wofür? Die Frage war einfach zu beantworten. Ihre Augen wanderten zu den letzten Versen des Gedichtes. Was genau sollten sie bedeuten? Gut klangen sie nicht. Handelte es sich dabei wirklich um sie? Um ihre Zukunft? Ninas Herz raste und sie wusste nicht einmal genau, warum. Das waren doch bloß nur geschriebene Worte auf einem Stück Papier aus dem 19. Jahrhundert. Ihr Bauchgefühl aber ließ nicht zu, dass sie sich das einreden konnte.

In Den Sternen TanzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt