Der Brief*

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Endlich in meinem sogenannten ''zu Hause'' angekommen, begann ich sofort meine neuen Zimmer einzurichten, denn wenn ich schon gezwungen war, hier zu bleiben, wollte ich gern ein gemütliches Zimmer haben, was meinem Geschmack entsprach. Und mein Geschmack war nicht alte, verstaubte Möbel und knarzende Holzböden. Mühevoll schob ich die alten Möbel raus in den Flur, um Platz für meine eigenen größtenteils weißen Möbel zu schaffen. Als ich die Kommode neben dem Bett verschob, fiel plötzlich ein kleiner Zettel raus. Ich hob ihn auf, strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und begann zu lesen:

Hallo du!

Vermutlich bin ich, wenn du diesen Brief nicht mehr am leben. Ich weiß nicht wer du jetzt bist, welches Jahr wir jetzt schreiben und ich hab keine Ahnung ob ich dir vertrauen kann. Doch ich weiß, dass dies der letzte Brief sein wird, den ich in meinem Leben schreiben werde. Denn ich werde von euch gehen. Heute noch. Und es wird für immer sein. Ihr alle habt mich immer für verbittert und böse gehalten, aber hat sich je irgendwer Gedanken darüber gemacht, warum ich so bin? Ihr habt es nie hinterfragt. Es war euch egal. Euch Menschen ist doch immer alles egal, solange es euch selbst gut geht. Ein egoistisches Pack seid ihr (Sorry für meine Wortwahl, ich hasse Menschen). Doch ich war mal anders, ich war mal glücklich, ich hatte Freunde und war oft unter Menschen! Der einzigste Grund, warum ich mich zurückziehen musste war er. Ich konnte nicht mehr leben, in einer Welt ohne ihn. Ich weiß nicht, wie alt du bist und ob du jemals einen Menschen so sehr geliebt hast, dass es wehgetan hat. Vor einem Monat geschah es dann. Er wurde ermordet. Ethan Lanswood, dieses abartige Schwein (ich merke schon, ich werde wieder zu beleidigend, dieser Mensch macht mich einfach agressiv) tötete meinen Mann. Damit tötete er alles was ich hatte. Ich wollte nicht mehr unter euch Menschen treten. Ich wollte keinen Kontakt mehr und jetzt will ich auch nicht mehr länger in einer Welt ohne ihn leben. Deshalb verabschiede ich mich, hier und heute. Sobald du diesen Brief angefasst hast, bist du mit einem Fluch belegt. Du wirst alle Menschen, die dir was bedeuten verlieren. Ab diesem Moment sind alle Menschen, die du geliebt hast verschwunden. Such sie nicht, du wirst keinen Erfolg haben. Bis du dich an Ethan Lanswood gerächt hast, bis Ethan Lanswood kaltes Herz aufgehört hat zu schlagen. Alle Menschen die du jetzt lieben lernst, wirst du verlieren. Mag sein, dass du es nicht verstehst, aber glaub mir, das Leben ist nicht logisch, das ist es nie. Es tut mir leid, aber es musste sein. Viel Glück bei deiner Suche...

Anastasia

Ethan Lanswood? Lanswood war doch auch der Name der Villa, oder? Ich konnte nicht länger drüber nachdenken. Eine viel schlimmere Frage ging mir durch den Kopf. Mit vor vor Angst geweiteten Augen schaute ich von dem Brief auf. Draußen ertönte ein lauter Knall. Ich warf den Brief zu Boden, sprang auf und rannte zum Fenster. Der Himmel riss auf und ein heftiges Gewitter brach aus. Es war als würde der Himmel versuchen, die Erde zu zerstören, so laut donnerte es. Ich stürmte aufgebracht runter, ich rief nach meinem Dad. Ich rannte durch das riesige Schloss und schrie gegen den Donner an. ,,DAD!! DAD?!'' Er war nirgends zu finden. Panik überkam mich. Ich hetzte raus vor die Tür. Ich starrte zum Himmel. Der Regen peitschte erbarmungslos in mein schmerzverzehrtes Gesicht. Verzweifelt sank ich auf die Knie und schrie in den Himmel: ,,Was hast du mit ihm gemacht?! Wieso tust du mir das an?!'' Die Tränen rannen aus meinen Augen und mischten sich mit dem Regen. ,,Dad ich brauche Dich..'' , flüsterte ich. ,,Gib mir meinen Dad zurück.'' Voller Wut, Verzweiflung und Trauer verkrümelte ich mich zurück in die kalte Behausung. Ich ging in mein Zimmer und wollte den Brief holen. Doch da wo ich ihn hingeworfen hatte lag er nicht mehr. Ich schaute überall nach, durchsuchte das ganze Zimmer, aber er war weg, einfach verschwunden. Völlig fertig und durcheinander legte mich in mein Bett und dachte nach. Was sollte ich nur machen? Wie sollte ich diesen Ethan finden? Und ich konnte doch keinen Menschen töten! Aber ohne meinen Dad und ohne Menschen die ich liebe leben, war das eine Möglichkeit? Niemals! Ich wusste ich, dass ich es tun musste und ich wusste, dass ich mich nicht allein auf die Suche machen konnte. Ich brauchte Menschen an meiner Seite, die mich unterstützten, Menschen, denen ich vertrauen konnte, Menschen wie.. Lucy! Ich schnappte mir mein Handy und rief sie an. Das Freizeichen kam.. Dann die Mailbox. Kurzerhand sprach ich ihr etwas darauf.,,Hey Lucy, ich brauche deine Hilfe. Es ist echt wichtig. Ruf mich so schnell die kannst zurück.. Achja, du fehlst mir!'' Ich legte auf und holte das Telefon. Vielleicht klappte es ja über Festnetz. Ich wählte ihre Nummer und ihre Pflegemutter Isabell, ging ran. ,,Hallo, hier ist Violet. Ist Lucy da?'' Ich hörte ein erschöpftes Seufzen am anderen Ende der Leitung. ,,Nein Violet, Lucy ist vor etwa einer Stunde verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Sie saß gerade noch auf der Couch und plötzlich... war sie weg...''. Andere Mütter würden natürlich einen riesigen Aufstand machen, wenn ihre Tochter verschwunden wäre, doch von Isabell, die ja schließlich auch nicht ihre leibliche Mutter war, war ich nichts anderes gewohnt. Erst jetzt regestrierte ich, was sie mir soeben erzählt hatte und schlug mir mit der flachen Hand gegen den Kopf. Natürlich.. Sie gehörte ebenfalls zu den Menschen, die ich liebte. Sie war einer der wichtigsten Personen in meinem Leben, also war es nur logisch dass sie verschwunden war. Ich starrte auf das Telefon. Ich spürte wie mir die Tränen über die blassen Wangen liefen. Tränen der Verzweiflung. Ich wusste nicht mal, ob ich die ganze Zeit geweint hatte oder ob ich wieder weinte. ,,Violet?'' tönte Isabell's Stimme aus dem Lautsprecher. ,,Violet, bist du noch dran?'' Mit ungerührten Blick drückte ich die Taste zum Auflegen. Ihr wollte ich nicht erzählen was los war, dass sie ihre Pflegeochter vielleicht nie wiedersehen würde, ich konnte es nicht, nicht mal bei einer Mutter wie ihr. Und um ehrlich zu sein hatte ich keinen blassen Schimmer wie es nun weitergehen sollte. Das einzige, was ich spürte war Aussichtslosigkeit. Bittere, ungewollte Aussichtslosigkeit.

Kalte Herzen [wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt