Paris (Ü)

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PROLOG

TOULOUSE, FRANKREICH

12. NOVEMBER 2015, gegen Mittag

"Also ihr zwei, wir gehen dann jetzt. Sind ja in drei Tagen schon wieder da. Wir haben euch hundertzwanzig Euro auf den Tresen gelegt. Kauft euch doch bitte was gesundes. Fastfood gehört übrigens nicht dazu.", sagte meine Mutter mir und meinem älteren Bruder ernst.
"Und seid anständig!", rief mein Vater an der Tür. Mein Bruder lachte in sich hinein. Meine Mutter nickte und nahm ihre Tasche. Sie würden jetzt zum Flughafen fahren und in das Flugzeug nach Paris steigen. Dort würden sie meinem Vater zuliebe in das Bataclan-Theater gehen und sich eine Rockband namens Eagles of Death Metal ansehen. Ich hasste diese Art von Musik, ich hab es lieber ruhiger. So wie Damon Albarn oder doch etwas rockiger wie Young the Giant . Mein Bruder hörte gerne sowas wie Bastille oder Imagine Dragons. Wie auch immer, unsere Eltern hatten uns das große Haus für ein paar Tage überlassen. Normalerweise freute ich immer sehr darüber, denn dann konnte ich immer jemanden zu mir einladen. Aber an dem Tag fiel mir der Abschied schwer, ein mulmiges Gefühl von Sorgen wollte mich einfach nicht loslassen. Was, wenn ihnen etwas passiert und ich sie nie wieder sehe?

Die Tür fiel zu und mein Bruder klatschte in die Hände.
"So, kleine Schwester. Heute Abend um sechs kommen Rick und paar Kumpels von mir. Bringen auch bisschen Alk mit. Wenn du willst, kannst Mandy auch noch dazu holen. Von mir aus auch noch paar mehr von deinen Mädchen. Wird ne Party.", sagte er dann. Zuerst rollte ich meine Auge aber nickte dann. Sofort griff ich zum Smartphone und schrieb Mandy, Felica und Nora an. Innerhalb der nächsten Minute erhielt ich von allen die Zusage. Allerdings hatte ich sie schon auf fünf Uhr eingeladen.

"Wenn ihr auch was trinken wollt, müsst ihr selbst dafür sorgen.", fügte er nach einer Pause hinzu.
"Kannst du nicht Rick fragen? Ich legs ihm auch aus.", ein Murren war zu vernehmen, dann aber rief mein Bruder seinen Freund an. Mit Freund war nicht sein Kumpel gemeint, sondern sein fester Freund. Er war damals so alt wie ich, also 16, als er bemerkte, dass er in seinen damaligen besten Freund Dan verliebt war. Unglücklicher Weise empfand dieser aber keine Zuneigung und beendete die Freundschaft. Auf einem Geburtstag seines Kumpels lernte er dann Rick kennen. Als mein Bruder ihn dann zum ersten Mal nach Hause brachte und meinen Eltern alles erklärte, klappte meiner Mutter die Kinnlade nach unten. Mein Vater schluckte aber nickte. Anfangs kamen sie nicht so gut damit aus, aber als sie Rick besser kennen lernten, akzeptierten sie ihn. Das war vor ca fünf Jahren, die beiden waren immer noch überglücklich. Ich hatte noch nie ein Problem damit, ich war sogar ein klein wenig stolz auf Dario. Ich bewunderte seinen Mut, der Welt zu zeigen, wie er drauf ist. Und manchmal ist ungewöhnlich besser als normal. Aber nicht falsch verstehen, mein Bruder erweckt keinen tuntigen Eindruck und verhält sich auch nicht anders. Er ist also kein Schwuler, den man sich gerne vorstellt, sondern ein ganz normaler junger Mann, der eben statt einer Frau einen Mann an der Hand hält. Auch wenn Passanten sie dann blöd beobachten, ist ihnen uns egal. Sie sind glücklich, egal was passiert. Manchmal, wenn Menschen ihn besonders blöd anstarren, provoziert er sie, indem er Rick anhält und zu sich zieht. Dann küsst er ihn länger und lächelt die Spanner hämisch an. Ich mag meinen Bruder, ich mag Rick, ich liebe mein Leben. Bis zu dem Tag.

ANFANG

13. NOVEMBER 2015, gegen Abend

Wir schalteten den Fernseher ein, gerade liefen die Nachrichten.
"Stopp, nicht umschalten!", sagte ich. Mein Bruder störte genervt auf, aber als in der Zeile Anschlag in Frankreich stand, hielt er inne.

"Nach neusten Meldungen haben sich mehrere Attentate in Frankreich abgespielt. Zuerst am Stadion, dann in mehreren Bars. Die Zahl der Toten noch unklar, aber es werden schon um die hundertdreißig geschätzt. Verletzte schon über dreihundert.", sprach der Sprecher in aller Ruhe deutlich auf französisch.
"Was ist mit den Eltern?", fragte ich panisch und starrte auf den Bildschirm. Auch mein Bruder hatte sich angespannt.
"Abwarten.", flüsterte er, als der Sprecher die Orte aufzählte.
"Zuerst vernahm man mehrere Detonation unmittelbar am Stade de France bei einem Freundschaftspiel Deutschland gegen Frankreich. Später erschossen mehrere Attentäter relativ gleichzeitig in mehreren Bars Menschen. Der letzte Attentat, der auch noch andauert, ist im Bataclan- Theater. Dort spielt die Band Eagles of Death Metal. Polizei ist vor Ort, allerdings gibt es eine Geiselnahme." Ich jabste entsetzt nach Luft. Gleichzeitig sah ich meinen Bruder an und erkannte Angst. Sofort schossen mir Tränen in die Augen und ich stand auf, lief zum Telefon und wählte die Nummer meines Vaters.
"Was tust du, Mira?"
"Na sie anrufen!"
"Bist du behindert? Wenn sie Geiseln sind und das Handy klingelt, sind sie tot!". Erschrocken legte ich das Telefon wieder zurück und kaute an meinen Nägeln.
"Oh Gott Dario.", murmelte ich immer wieder vor mich hin, während ich die ganze Zeit im Kreis lief.
"Jetzt komm mal runter, ihnen wird schon nichts passiert sein!"
"Und wenn doch? Wenn Mama und Papa Geiseln oder sogar tot sind?"
"Das wissen wir doch überhaupt nicht!" Ich lief zurück zum Sofa und mein Bruder nahm mich in den Arm. So blieben wir die ganze Nacht, der Fernseher weiter angeschaltet und mehr oder weniger wach. Gegen kurz vor ein Uhr Nacht gab es Neuigkeiten: die Polizei konnte den Saal stürmen und alle lebenden befreien und sichern. Die Attentäter starben. Doch die Identifizierung der Toten begann erst.

"Du solltest schlafen, Mira."
"Ich kann nicht. Nicht bevor ich weiß, ob unsere Eltern leben!"
"Ja, aber so schnell geht das nicht."
"Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Soll ich sie jetzt anrufen?"
"Ich bin nicht ruhig, das ist meine Art. Aber du kennst mich. Wenn sie nicht dran gehen, heißt es nicht, dass sie nicht mehr leben!" Ich war hellwach und griff zum Telefon. Ehe ich wählte, fragte ich Dario:
"Aber meinst du nicht, sie hätten sich schon längst gemeldet?" Er überlegte, nickte dann. Trotzdem wählte ich. Piepton zwar vorhanden, allerdings nahm niemand ab. Meine Hände zitterten, als ich es weglegte. Plötzlich übermannte mich die Müdigkeit und ich schlief in den Armen Darios und in eine leichte Decke eingewickelt ein.

14. NOVEMBER 2015

Der nächste Tag war der Horror! Früh um sieben klingelte es an der Haustür. Ich erwachte so, wie ich eingeschlafen war. Mit steifen Gliedern lief ich zur Tür. Vor mir standen zwei Beamte der französischen Polizei. Mein Bruder kam dazu. Ich ahnte böses.

"Sind Sie Mira und Dario Becker?", fragte der Linke. Ich nickte und bat sie hinein, ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet. An der Theke blieben wir stehen und die Beamten senkten den Blick.
"Es tut uns wirklich sehr Leid, aber wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Eltern gestern Nacht bei dem Attentat im Bataclan-Theater erschossen wurden. Sie konnten nicht gerettet werden. Herr Becker verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus mit vier Schüssen. Frau-"
"Bitte keine weiteren Details!", unterbrach mein Bruder den anderen, der gerade sprach.
"Doch, ich möchte es wissen!", veranlasste ich, mir liefen bereits die Tränen von den Wagen. Der Polizist räusperte sich und fuhr fort:
"Also, Ihre Mutter? Man fand sie bereits tot am Boden. Fünf Schüsse in Magen, Lunge und knapp am Herz.". Stille legte sich. Man hörte nur noch mein Schluchzen, das schwere Atmen meines Bruders. Er rang mit sich selbst, aber als er die Worte: Solche Schweine! sprach, begann auch er zu weinen. Mitleid war in den Augen der Männer zu sehen, dann holten sie Luft.
"Dario, stimmt es, dass Sie einundzwanzig sind und einen Job als Kellner haben?" Dario nickte nur.
"Wie viel verdienen Sie? Haben Sie einen Führerschein?" "Fünfzehnhundert Brutto pro Monat plus Trinkgeld. Vollzeit. Ich habe Führerschein und ein eigenes Auto. Inwiefern ist das jetzt wichtig?" Der erste Beamte, an der Tür links, notierte sich alles. Der Nachricht-Überbringer antwortete:
"Dann wird Ihnen jetzt das Sorgerecht für Mira übergeben. Sorgen Sie für sie, es lastet viel Verantwortung auf Ihnen. Wir werden das Jugendamt informieren und die werden in ein paar Wochen alles mit Ihnen abklären." Dann machte er auf dem Absatz kehrt und lief mit dem anderen Mann zur Tür.
"Wie? Das wars jetzt? Was passiert denn jetzt alles?", fragte ich panisch.
"Das können wir noch nicht sagen. Kollegen von einem anderen Abteil werden sich Ihnen annehmen. Die melden sich demnächst.". Dann wurde die Tür geöffnet, die Beamten verließen das Haus und ließen uns im Flur stehen. Ich sackte in mich zusammen und weinte. Mein Bruder kniete zu mir und nahm mich in den Arm. Auch er brach nervlich zusammen, und so weinten wir, stundenlang bis kein Wasser mehr aus den Augen drang. Ich konnte es einfach nicht glauben. Unsere Eltern wurden erschossen, in einer Menge, die einfach nur die Musik genießen wollte. Der ISIS hat ins Schwarze getroffen, die Attentäter waren bereit. Denen ging wohl noch einer ab, die erregte das wohl. So viele Menschen in einem Haufen, einfach so drauf los ballern, wie in den Ego-Shootern- nur eben echt. Mit echten Menschenleben, mit echten Waffen und echtem Blut.

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Erst mal vielen Dank fürs reinlesen, ein neuer Versuch. Wie und wann ich fortsetzen werde, möchte ich noch nicht festlegen. Aber ich bleibe diesmal dran, in 1 1/2 Wochen beginnt auch wieder die Schule. Also dann hab ich wieder ein geregelten Tagesablauf. ;)

Im link findet ihr heute: Young the Giant-- Silvertongue

Die anderen kann ich leider nicht verlinken. Wenn ihr euch die Mühe macht, könnt ihr aber auf youtube nach den anderen sehen. Bei Damon Albarn empfehle ich das Lied: Heavy Seas Of Love.

Obwohl die Geschichte in Frankreich handelt, sprechen die Familie und Freunde deutsch. Die Familie ist dort hingezogen, die Freunde können allerdings nicht so gut deutsch. Natürlich können alle französisch, ich habe es nur vereinfacht.

Dieses Thema ist dunkel, das Schicksal sehr traurig. Dennoch wage ich mir daran, überlege, wie das hätte ablaufen können- das Leben nach den Anschlägen. Ich hoffe, ich kann das wirklich ernst schreiben, ohne jegliche Respektlosigkeit. Wenn ihr weiter lest, wird es vermutlich auch traurig werden. Ich bin mir auch ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich bereit bin, ob ich das durchhalten kann, diese Schiene von Geschichte zu schreiben. Wir werden sehen.

Die Informationen beziehe ich übrigens hauptsächlich aus Wikipedia. Sollte sich daran etwas ändern, werde ich das angeben.

Blut und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt