Teil 10

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"Dr Carter." Earl Darlington lief die Treppenstufen in einem beeindruckenden Tempo hinab, blieb aber auf der vorletzten Stufe stehen. Er hätte es jedoch nicht nötig gehabt, da Carter um einiges kleiner, sehr schmächtig und gebrechlich war. Darlingtons Blick war vernichtend, seine Stimme war eiskalt und es schwang ein Ton von so viel kalter Hass mit, dass Carter einen kleinen Schritt nach hinten machte. Trotzdem lächelte er tapfer weiter und streckte dem Earl als Begrüßung die linke Hand entgegen, denn dort wo die rechte hätte sein sollen, war nur noch ein Stumpf. "Es ist eine große Freude Sie und Lady Darlington wiederzusehen." Dr Carter schritt auf James Darlington zu, doch dieser sah ihn nur verächtlich an. Gerade als er etwas sagen wollte, betrat Lady Amanda die Treppe und eilte dem Doktor freudig entgegen. "Dr Carter. Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?" Der alte Mann verbeugte sich leicht und nahm dann ihre Hand, um einen leichten Handkuss anzudeuten. Dann erwiderte er: "Vielen Dank der Nachfrage. Ich befinde mich in einer ausgezeichneten Verfassung." Er lächelte charmant und fragte: "Und Ihnen, Madam?" Mit einem kurzen Blick auf ihren Gatten, wo ihr Lächeln kurz gefror sah sie Carter strahlend an und meinte: "Es könnte nicht besser sein. Wollen wir uns nicht im Salon bei einer Tasse Tee weiter unterhalten?" Mit diesen Worten hackte sie sich bei ihm ein und führte ihn zum Salon. Darlington blieb bebend vor Zorn zurück. 

"Nun Mr Carter." Amanda schenkte ihm ein wenig Tee aus der geblümten Porzellankanne in die kleine Tasse vor ihm ein und setzte sich. "Wie ich hörte, bringen Sie eine Nachricht von meinem Sohn." Während sie sprach, strich sie hastig über ihr Kleid und lächelte nervös und ungeduldig. Der alte Mann lächelte beschwichtigend zurück und sagte, nachdem er an der Tasse genippt hatte. "Ja. Ich würde es allerdings vorziehen, wenn der Earl diesem Gespräch beiwohnen würde." Lady Darlington sah man an, das sie das ganz und gar nicht gut hieß, aber ihr war bewusst, dass es, wenn es um ihren Sohn ging, auch den Earl etwas anging. "Warten Sie kurz, ich werde ihn benachrichtigen." Carter nickte ihr wohlwollend zu. "Ich werde selbstverständlich hier warten. Klären Sie das in Ruhe, nur keine Eile. Ich habe also alle Zeit der Welt." Damit hatte Carter eindeutig recht: Seit er nicht mehr in der Anstalt tätig war, fühlte er sich alt und nutzlos. Er nutzte seine viele Freizeit, um Lady Darlington so gut wie nur möglich zur Seite zu stehen, da sie sehr unter ihrem gestrengen Mann litt. Carter sah Amanda nach, die mit eleganten Bewegungen zu der Salontür ging und diese mit einem leisen, kurzen Quietschen öffnete. 

Amanda fand ihren Mann wie üblich in seinem Arbeitszimmer, die Vorhänge waren zugezogen und sperrten das Tageslicht aus. "James?" Ihre Stimme war eisig und ihrem Blick nach zu urteilen war sie nicht gut auf ihn zu sprechen. "Mr Carter verlangt nach dir." Der Earl jedoch rührte sich nicht. "James verdammt noch mal," herrschte sie ihn an, "jetzt reicht es. Du musst bei diesem Gespräch dabei sein. Es ist unser Sohn, bitte vergiss deinen Hass für den Moment." Earl Darlington sah seine Ehefrau wütend an. "Du weißt nichts, Weib. Nichts. Also sei still!" Doch Amanda ließ sich nicht den Mund verbieten. "Ich habe auf Grund deines Hasses meinen einzigen Sohn verloren. Ich müsste diejenige sein, die hasst, aber ich tue es nicht. Tu mir also den Gefallen: Komm mit zu Carter und höre, was er zu sagen hat!" Mit diesen Worten verließ Amanda wieder das Zimmer in Richtung Salon. Sollte James doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, sie wollte wissen, wie es ihrem Sohn erging. 

James Darlington vergrub sein Gesicht in den Händen und atmete mehrmals geräuschvoll ein und aus, dann stand er auf und strich sein weißes Hemd glatt. Er war sich durchaus darüber im Klaren, wie erbost seine Gattin wegen ihm war, doch er hasste diesen Carter nun einmal und wollte so schnell auch nichts daran ändern. Aber er spürte auch, wie sehr Amanda ihn gerade brauchte. James trat auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Er war ein erwachsener Mann und musste sich gefälligst auch so verhalten. 

Als er den Salon betrat, saßen Lady Darlington und Carter still da, so als hätten sie auf ihn gewartet. Der Earl ließ sich neben seiner Frau auf das samtene Kanapee gleiten und sah den Arzt gegenüber in dem großen Sessel ernst an. Dieser begann leise und mit ruhiger Stimme zu berichten: "Ihr Sohn ist fleißig, aber er lässt sich zu sehr von seinen Gefühlen übermannen und ich kann nicht behaupten, dass ihm das gut tut. Bis jetzt gab es keine großartigen Zwischenfälle, aber ich kann nun mal für nichts garantieren. Er ist halt ein junger Mann, der sich nach Zuneigung und Wärme sehnt. Das sollten wir dringend ändern, er kann nicht alleine bleiben." James hob nur empört die linke Braue, als der Doktor geendet hatte. "Sie wissen doch von unserer Abmachung, er ist auf sich allein gestellt. Wir," er sah zu Amanda, die den Tränen nahe war, "haben nichts mehr mit ihm zu schaffen." Ihre Tränen begannen die blassen Wangen hinab zu rollen. James nahm ihre Hände in seine und sah mit in Falten gelegter Stirn zu Carter zurück. Dieser lächelte unentwegt und meinte: "Ich könnte Ihnen durchaus behilflich sein, Mylady." Amanda nickte nur und lächelte dankbar. Carter zwinkerte ihr zu und erhob sich aus dem Sessel. "Ich habe bereits eine junge Dame als geeignet empfunden und werde sie Ihnen bald vorstellen. Es war wie immer eine Freude, Sie zu sehen, meine Teure." Für einen kurzen Augenblick legte er seine Lippen auf ihren Handrücken,  den Earl verabschiedete er mit einem freundlichen Nicken, das aber nicht erwidert wurde. "ich begleite Sie noch zur Tür." Meinte James und stand ebenfalls auf.

"Danke für Ihre Unterstützung." Dem Earl war es sichtlich zuwider, Mr Carter die Hand zu geben, aber er musste sich für die Aufopferungen Carters bedanken, dass war er ihm schuldig. "Das mache ich nur wegen Lady Darlington." Meinte Carter leise. "Wenn Sie ihr noch einmal so weh tun, dann kann ich für nichts mehr garantieren." Der alte Mann funkelte den Earl nochmals wütend an, dann verließ er die Türschwelle und stieg ein paar Schritte weiter in die kleine Kutsche, die vor dem Haus auf ihn gewartet hatte.

Der Earl stand verwirrt in der Türe und sah der Kutsche nach, die gerade um die Ecke bog. Er wäre über eine solche Drohung sonst nur amüsiert gewesen, aber bei Carter wusste James genau, was für furchtbare Dinge passieren könnten.      

Die Patientin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt