Adelaines Hände zitterten während sie die Spritze aufzog und langsam an Claires in sich gezogene Gestalt herantrat. Die Vorhänge des Raumes waren zugezogen und nur ein schmaler Lichtstreifen fiel durch den Spalt hindurch. Eine große Kerze auf dem Schreibtisch erhellte größtenteils den Raum und Adelaine hatte Schwierigkeiten etwas zu sehen. Claires Arme und Beine waren notdürftig mit einem kurzen Strick an den Stuhl gefesselt und schnitten ihr tief ins Fleisch, doch Claire hatte längst aufgehört sich zu wehren. Es fehlte ihr mehr und mehr an Mut, Widerstand und an Glauben, irgendwann einmal wieder die Sonne auf ihrer weißen, geschundenen Haut zu spüren. Seit ihrem Traum hatte Gabriel sie nicht mehr besucht. Um genau zu sein: Niemand hatte sie besucht, nicht einmal Elizabeth, die eigentlich immer da war, irgendwie.
Ihre Augen wurden feucht, aber Claire merkte es nicht. Sie merkte gar nichts mehr. Sie saß einfach nur da, ihr Oberkörper schwankte kaum merklich vor und zurück und ab und zu stöhnte sie leise vor Schmerzen, wenn sie sich bewegte und sich die Fesseln enger zogen. Es war einfach nur noch Routine, sie zwang sich dazu, zu zeigen, dass sie Schmerzen hatte. Eigentlich war jede einzelne Zelle ihres Körpers schon so gut wie tot.
Adelaine berührte Claires Unterarm, um ihr die abgenutzte, etwas stumpfe Nadel der Spritze in die Vene zu stechen. Die junge Schwester hatte Widerstand erwartet, doch Claire ließ sich das bläuliche Serum injizieren. Gabriel beobachtete die ganze Szene mit ein wenig Abstand von seinen Schreibtisch aus. Bei dem Anblick der jungen Frauen keimte etwas in ihm auf. Etwas... böses, sündhaftes. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte und einige Schweißperlen auf seine Stirn traten. Nervös strich er sich durchs dunkle Haar und dehnte seinen Nacken. Ein leises Knacksen ertönte. Doch es kam nicht von Gabriels Halswirbeln sondern von der Spritze, die in Claires Arm steckte. Im darauffolgenden Moment schrie sie so laut auf, dass sich Gabriels Nackenhaare aufstellten und seine inneren Alarmglocken zu schrillen begannen. Er stürzte zu ihr und sah, dass die Nadel der Spritze abgebrochen war. "Pinzette! Schnell!" Rief er Adelaine zu. Sie hastete daraufhin schwer atmend zum Schreibtisch und zog die mittlere Schublade raus. Alles war durcheinander: Papiere, Akten, einige Zellenschlüssel und unter anderem auch eine Pinzette. als Adelaine einen der Papierstapel zur Seite legen wollte, fielen ihr aus dem Stapel plötzlich zwei Fotografien in den Schoß. Es zeigte jeweils einen nackten Mann mit verdecktem Gesicht und seltsamen Gegenständen in der Hand. Adelaines Augen weiteten sich entsetzt, als sie bemerkte, was die Männer in den Händen hielten: Es waren Peitschen. Kurze, lederne Reitpeitschen. Eilig legte sie die Bilder wieder zwischen die Papiere, nahm die Pinzette und gab sie Gabriel Gray. "Warum dauert das denn so lange?!" Fragte er die junge Frau verärgert. "Es tut mir leid, ich..." Doch Gray machte eine abfällige Handbewegung und meinte: "Holen Sie Steven."
Der Wachmann mit den blonden, strubbeligen Haaren saß auf einem unbequemen Stuhl ohne Armlehnen und stöberte gerade in der Zeitung, auf der Suche nach einem interessanten Artikel. Adelaine blieb ein wenig außer Atem vor ihm stehen und keuchte: "Dr Gray schickt mich." Hastig legte Steven James die Zeitung beiseite und gemeinsam liefen sie zurück, durch die engen Flure und die breiten Treppen hoch zu Grays Büro. "Was ist denn?" Brummte der Wachmann. "Es geht um Claire." Bekam er als Auskunft. Ein Seufzer kam über seine Lippen und Adelaine sah zu ihrer Linken. "Gibt es häufiger Probleme mit ihr?" "Häufig ist gar kein Ausdruck. Ständig macht die Kleine irgendwas." Adelaine blieb ein wenig schockiert stehen, doch Steven lief einfach unbeirrt weiter. Im Gehen meinte er zu ihr: "Das ist hier Alltag. Solange bist du noch nicht hier oder Schätzchen?" Mit empörter Mine holte Adelaine ihn wieder ein und wollte gerade etwas schnippisches erwidern, doch sie hielt sich zurück. Ihr war klar, dass sie nichts gegen ihn sagen konnte.
Steven klopfte erst gar nicht, sondern stürmte regelrecht in den Raum hinein, packte Claire grob an beiden Schultern und sah sie eindringlich an. Er kniff die Augen ein wenig zusammen und sah dann zu Gray. "So geht das nicht mehr, Doc." Meinte er und Gray verstand. Eine Lösung musste her, dass wusste auch der junge Arzt, aber er konnte Claire nicht gehen lassen, dafür war er viel zu sehr von ihr eingenommen. Gabriel sah aus dem Fenster, hin zum Moor, während Steven Claire festhielt und ihr die beklemmende Zwangsjacke anlegte. Claire war nur noch körperlich anwesend, sie hatte aufgegeben, wirkte apathisch, ausgelaugt und vor allem hoffnungslos. Steven hob die junge Frau auf seine Schulter und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Er wusste, was zu tun war.
Adelaine stand in der Mitte des Raumes und schien den Tränen nah. Sie wusste zwar, dass das Leben in einer solchen Anstalt nicht einfach war, aber das es so ein Albtraum sein würde, wurde ihr jetzt erst bewusst und ihre naive Haltung traf sie und erschütterte sie tief in ihrem Innern. "Miss Monroe?" Sie spürte eine große, warme Hand an ihrer Schulter und das brachte ihre Tränen zum Fließen. Gabriel hatte damit gerechnet, es war voraus zu sehen. "Das ist für jeden anfänglich schwer zu ertragen, aber das ist vollkommen normal und in Ordnung. Lassen Sie sich nicht einschüchtern." Er strich ihr beruhigend über den Rücken und wieder kam dieses eigenartige Gefühl von Lust in ihm hoch, jedoch in einem fast unerträglichen Ausmaß, dass er sich ein wenig in Adelaines Schulter krallte und diese Aufgrund dieser heftigen Berührung zusammen zuckte. Gabriel musste schlucken und tief Luft holen und ließ fast augenblicklich ihre Schulter los. "Ich habe noch einiges zu erledigen. Bitte gehen Sie." Verwirrt nickte Adelaine mit dem Kopf und verließ langsam den Rau mit wackeligen Beinen.
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Sooo ihr Lieben, hier ist das versprochene Kapitel. Tut mir echt leid, es sollte ja eigentlich viel früher kommen, aber mir hat leider die Zeit und um ehrlich zu sein, auch die Kreativität gefehlt :/ Ich hoffe, dass ich wieder ein wenig mehr Zeit finde und euch das Kapitel gefällt <3
LG, eure BooksTwentyone
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Die Patientin
Mystery / Thriller"Monsters are real and ghosts are real too. They live inside us and sometimes, they win." -Stephen King