5 ~ Angie

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Am nächsten Morgen wartete ich auf Diego, der mich eigentlich abholen wollte um mich nach Hause zu bringen, doch er kam nicht. Auf meine Anrufe reagierte er nicht einmal und ich machte mir Sorgen, dass ihm etwas passiert sein könnte. Nervös lief ich in meinem Zimmer auf und ab, während ich zu gefühlten hunderten Mal seine Nummer wählte. Irgendwann musste er doch mal an sein Handy gehen!

Wieder Mailbox... Ich ging ans Fenster und sah nach draußen. Von dem Teich im Krankenhauspark stieg der Nebel weiß auf und hauchte der Landschaft etwas geheimnisvolles ein. Lächelnd beobachtete ich die Menschen, die da draußen umher liefen. Auf einmal legten sich zwei Arme sanft um meinen Bauch und jemand küsste liebevoll meine Wange. „Guten Morgen, meine Schöne!", begrüßte mich Diego und mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. „Wo warst du denn? Ich habe mir Sorgen gemacht!", beschwerte ich mich und lehnte mich an seine Brust.

„Tut mir leid, Süße. Ich habe gestern noch lange mit Fran geredet und habe dann verschlafen. Aber jetzt bin ich ja da!", meinte er und küsste erneut meine Wange. „Du hättest wenigstens an dein Handy gehen können", brummte ich leise. Er schlang sie Arme fester um mich. „Nein, dass konnte ich nicht, weil Francesca gestern mit meinem Handy rumgespielt hat und es bei unserem Blödsinn in den Pool gefallen ist. Meine Adoptiveltern holen mir aber heute ein neues Handy, keine Sorge", erzählte er belustigt. „Was hatte Fran an deinem Handy zu suchen?", fragte ich grinsend und sah ihn an.

Er legte lächelnd seine Stirn an meine und ich schloss die Augen. „Sie hat nach Bildern von uns gesucht, aber keine gefunden, weil es noch keine gibt. Das wollte sie mir aber nicht glauben... Nie wieder überlasse ich ihr mein Handy, wenn wir draußen am Pool sitzen!" Ich fing an zu lachen. „Aber sie war doch bestimmt enttäuscht, als sie keine Bilder von uns gefunden hatte, oder?", fragte ich ihn brav. Er nickte und strich zärtlich über meine Wange. „Komm, ich habe eine Idee!", murmelte ich und zog ihn mit mir. Er nahm meine Tasche, legte seinen Arm um mich und küsste mich behutsam.

Ich erwiderte sanft und löste mich dann von ihm. „Komm jetzt", hauchte ich und ging mit ihm zur Anmeldung, wo ich meine Entlassungspapiere bekam. Endlich konnte ich wieder nach Hause! Diego führte mich zu einem Wagen und packte meine Tasche in den Kofferraum, danach hielt er meine Tür auf. „Wenn ich bitten darf, Prinzessin!", sagte er gentlemanhaft. Ich grinste ihn an, machte einen leichten Knicks und stieg ein. Vorsichtig schloss er die Tür und stieg auf der Fahrerseite ein. „Du darfst schon Auto fahren?", fragte ich ihn belustigt. „Für wie alt hältst du mich? Ich bin 24 Jahre alt, Angie! Ich habe nie eine Schule beendet. Das mit dem Studio wäre das erste Mal, dass ich es ernsthaft einmal durchziehen würde."

Er strich nachdenklich über das Lenkrad und seufzte. Dann startete er den Wagen und fuhr los. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass ich irgendetwas falsches gesagt hatte und er jetzt sauer auf mich war. Etwas bedrückte ihn. „Du sagtest „wäre das erste Mal"...", meinte ich dann. Er zuckte mit den Schultern. „Na und? Ist doch auch egal! Du kennst mich nicht", antwortete er kalt und konzentrierte sich auf das Fahren. „Du kannst mit mir reden, das weißt du, oder?", fragte ich ihn sanft und sah ihn weiterhin an. Er sah mich kurz an. In seinem Blick lag Unsicherheit, Schmerz und auch Angst. Dann sah er wieder auf die Straße.

„Wo wohnst du?", murmelte er und ich nannte ihm meine Adresse. Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Es schien so als würde er nichts mehr von mir wissen wollen. Er hielt vor der gewohnten Einfahrt und ich stieg einfach aus. Ich wollte meine Tasche holen, doch er war schneller. „Lass, ich mache das schon, Süße!", meinte er, küsste meine Stirn und nahm meine Tasche. Seufzend ließ ich ihn machen und ging zur Haustür. Ich klingelte vorsichtig und kurz darauf wurde ich von einer glücklichen Olga in den Arme genommen. Zum ersten Mal genoss ich eine ihrer überschwänglichen und unglaublich festen Umarmungen. Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter. „Ach Angeles, ich habe mir vielleicht Sorgen um dich gemacht!", meinte sie sanft, dann fiel ihr Blick auf Diego.

„Und wer ist das?", fragte sie mich, während ich mich von ihr freikämpfte. „Diego... Das ist mein Freund Diego!", antwortete ich ihr und nahm zögerlich seine Hand. „Sicher, dass ihr mit eurer Beziehung glücklich seid? Ihr wirkt beide ziemlich traurig", stellte Olgita fest. Ich seufzte leise. „Olga, das geht dich nichts an, ja? Lässt du uns rein?", murmelte ich und versuchte ihr zu verstehen zu geben, dass ich nicht mit ihr darüber diskutieren wollte. Sie nickte nur und ich betrat das Haus mit meinem Freund im Schlepptau. Tausend Erinnerungen fielen über mich herein und ich schluchzte auf.

Ich dachte daran, wie Vilu und ich uns das erste Mal sahen, wie ich die erste Nacht in ihrem Zimmer verbracht hatte, wie sie ihren Unfall hatte, als ich nach Deutschland gegangen bin, die vielen gemeinsame Ausritte, der Tod von Maria, wie ich mich mit Pablo gestritten hatte, wie ich nicht mehr auf Vilu geachtet hatte, wie ich angefangen hatte mich zu ritzen und hinterher im Krankenhaus lag...

So viel hier verband ich mit Violetta und meiner Schwester. Tränen liefen mir über die Wangen. Dann blieb mein Blick an meinem Freund hängen, der mich schweigend ansah. Olga hatte Recht, wir sahen beide traurig aus. „Kommst du mit hoch?", fragte ich ihn leise. Er nickte und überließ Olgita meine Tasche. Als ich die Treppe hinaufging, erinnerte ich mich daran, wie ich sie damals hinuntergestürzt war, als ich mich mit Violetta gestritten hatte und ich erinnerte mich daran, wie Maria und ich auf der Treppe saßen und sie mich tröstete. Immer mehr Tränen liefen mir über die Wangen und nahmen mir immer mehr die Sicht bis ich fast auf die Treppe fiel.

Diego fing mich blitzschnell auf. „Vorsichtig, meine Schöne. Ich möchte nicht, dass du wieder im Krankenhaus landest!", raunte Diego mir ins Ohr und führte mich den Rest der Treppe hinauf. Ich kuschelte mich an ihn und sah mich um. „Es sind so viele Erinnerungen... Ich war lange nicht mehr hier gewesen...", murmelte ich verweint und merkte, wie er mich fest an sich zog. Ich sah auf die Tür, wo wir Marias Sachen untergebracht hatten und fragte mich, ob Germán sie noch immer dort gelassen hatte. Dann fiel mein Blick auf die Tür, die zu Germáns Schlafzimmer führte. Er war auch nur noch selten hier... Mein Blick wanderte weiter zur Badezimmertür. An der Wand daneben befand sich eine kleine Blutspur. Ich entzog mich Diegos Umarmung und ging zu der Wand. Es war mein Blut.

An derselben Wand hing ein Bild von Germán, Maria, Violetta und mir. Es entstand zu einer Zeit, wo wir glücklich waren. Einer Zeit, wo niemand wusste, was alles schreckliches passieren würde. Mein Blick fiel auf die Tür, die zu dem Zimmer von mir und Violetta führte. Ich ging darauf zu und legte meine Hand auf die Klinke. „Ich weiß nicht, ob ich das kann...", murmelte ich kraftlos und lehnte meinen Kopf an das Holz. Diego stellte sich direkt hinter mich, schlang einen Arm um meinen Bauch und legte eine Hand auf meine Hand, die auf der Klinke lag. „Es ist alles gut, mein Engel. Du bist nicht alleine!", sagte er sanft und mit seiner Hilfe drückte ich die Türklinke runter. Der gewohnte Geruch von Violettas Lieblingsparfum wehte uns entgegen. Lächelnd schluchzte ich auf. Behutsam schob mein Freund mich in das Zimmer.

Ich sah mich schniefend um. Es war genauso wie ich es verlassen hatte, nur dass alles nicht mehr voll mit Blut war. Außer einem Gegenstand. Ich ging zielstrebig zu meinem Schreibtisch und nahm mein Tagebuch in die Hand. Ich betrachtete den Einband und die ersten Seiten, die von meinem Blut bedeckt waren. Ich atmete schwer auf, dann wandte ich mich an Diego, der sich interessiert die Bilder im Zimmer ansah. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen und beobachtete ihn dabei, bis ich irgendwann einschlief.

Musik ist das was mich ausmacht *abgebrochen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt