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Wut packte mich. Wie konnten sie das nur tun? Die konnten mich doch nicht einfach aus meinem Leben, aus meinem Zuhause, reißen und mich abschotten? Und das Geld... Ich bekam eine Gänsehaut, als mir klar wurde, dass Tobias nie etwas von dem Geld sehen würde. In meiner Verzweiflung und in meinem Selbstmitleid badend rollte ich mich auf dem Bett zusammen und schlug mit der Faust immer wieder auf die Matratze um meiner Wut Luft zu machen.

„Was hat die Matratze dir getan?", hörte ich eine hohe Mädchenstimme, die aus der Richtung der Tür zu mir drang.

„Lassen Sie mich in Ruhe!", brüllte ich in irgendeine Richtung. Mir war egal, wer das war. Sie sollte mich einfach alleine lassen.

„Wieso schreist du so?" Verwundert drehte ich mich auf den Rücken und versuchte die Sprecherin auszumachen. Sie stand an der geschlossenen Tür und blickte mir mit großen, grauen Augen entgegen. Ihre blonden Haare wogten in langen, welligen Strähnen über ihre zierlichen Schultern und ihrer Rücken.

„Hey, was machst du hier?", fragte ich sie mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen.

„Mir war langweilig", gab sie zu.

„Ha, das kenne ich", ich setzte mich auf und betrachtete das junge Mädchen genau, „Wie heißt du denn?"

„Elena."

„Ein sehr schöner Name."

„Danke!" Sie grinste fröhlich und erinnerte mich so an Tobias, der vielleicht ein paar Jahre jünger als sie war. Die Tür öffnete sich erneut und Mikael betrat wieder den Raum. Verdutzt blieb er stehen und hob die Augenbrauen, als er Elena sah.

„Elena, was machst du hier? Geh' bitte zu deiner Mutter. Es ist schon sehr spät", sagte er zu ihr.

Elena kicherte und schlüpfte durch die Öffnung aus dem Zimmer.

„Kain, Sie werden in Ihr neues Zimmer verlegt", wandte er sich an mich.

„Ähm... wieso erst jetzt?"

„Wir benötigen das Zimmer."

„Okay", erwiderte ich nur und kam auf die Beine. Dabei hatte ich die Möglichkeit, an mir herunter zu sehen. Ich trug immer noch meinen Lieblingspulli und eine passende Jeans dazu, sowie meine Leinenturnschuhe.  Mikael reichte mir meinen alten Rucksack und führte mich durch den Gang zurück zum Aufzug, der dort schon bereit stand. Wir fuhren noch weiter in die Tiefe und hielt schließlich im fünften Untergeschoss. Die Türen öffneten sich und wir betraten eine hellerleuchtete Halle, die wirklich einladend aussah. Parkett bedeckte den Boden, doch die Wände waren noch in einem sterilen weiß gestrichen. Metalltischchen mit mehreren Geräten standen auch hier an den Wänden zwischen den Holztüren.

„Folgen Sie mir", forderte mich Mikael auf und führte mich durch eine der Türen in einen langen Gang.

„So, hier sind Sie einquartiert", er zeigte auf eine der Türen, auf deren Schild die blauen Zahlen 12309 und 13211.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht", verabschiedete Mikael sich und wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern lief den Flur zurück.

Ich atmete kurz durch und drückte die Plastikklinke nach unten. Das Zimmer hatte eine bescheidenen Größe mit zwei Einzelbetten und zwei Kleiderschränken. Eine weitere hölzerne Tür führt wahrscheinlich in ein Badezimmer, doch hatte ich nur das Bett an der rechten Wand im Auge, auf dem, sauber gefaltet, ein kleiner Stapel Klamotten lag. Ich schlüpfte aus meinem Oberteil und warf mich schwungvoll auf die weiche Matratze, wobei die Kleider zu Boden fielen. Die Wange in das Kissen gedrückt, schloss ich die Augen und brauchte nicht lange um einzuschlafen. 

Der wohltuende Schlaf hielt jedoch nicht lange an. Völlig schweißgebadet schlug ich die Augen auf, als meine Muskeln anfingen zu schmerzen. Mein gesamter Körper verkrampfte sich und ich fuhr mit einem Schmerzenschrei in die Höhe. Ein unkontrollierbares Zittern durchfuhr mich. Angst stieg in mir hoch und ich versuchte panisch aufzustehen, doch gehorchten meine Muskeln mir nicht mehr. Sie taten nur höllisch weh. Was passierte da? Wo war ich?

„Hallo? Alles okay?", fragte eine Stimme in der Finsternis.

„Bitte...", ich schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen, „Bitte...."

„Hey!" Starke Hände packten mich an meinen Schultern und schüttelten mich leicht.

Ich lachte. Ich wusste nicht warum. Trotz der Krämpfe, konnte ich nicht anders, als los zu lachen. Euphorie beschrieb das Gefühl, das mich erfüllt hatte, ganz gut.

„Was zum ...?", fragte die Stimme verwirrt und einige Sekunden später erhellten Neonleuchten den Raum. Das Gefühl der Hochstimmung war auf einmal verflogen.

„Scheiße, Man!", zischte Dean, der sich über mich beugte und versuchte, die Situation zu verstehen, „Was kann ich tun? Rede mit mir!" Ich wollte mit ihm reden, aber ich brachte keinen Ton heraus, da meine Zähne immer wieder wie wild aufeinander schlugen. Schulterzuckend stand Dean auf und verschwand, während ich völlig hilflos das Geschehen aussaß. Zu meiner großen Erleichterung kehrte Dean zu mir zurück mit einem Glas Wasser in der Hand und hob sachte meinen Kopf an, um mir den Becher an die Lippen zu führen. Erst da bemerkte ich, dass ich unglaublichen Durst hatte und trank, obwohl mir das Schlucken ziemlich schwer fiel, ein bisschen etwas von dem kühlen Nass.

„Gut so", murmelte Dean und stellte das Gefäß ab. Daraufhin befühlte er meine Stirn, die mittlerweile klatschnass war, und beobachtete mich mit einem prüfenden Blick.

„Kain, es wird alles gut. Das wird schon wieder", wiederholte Dean immer und immer wieder die gleichen Phrasen. Die Krämpfe ließen langsam nach und ich brachte endlich einen Satz zu Stande: „Hol einen Arzt. Hol Sørenstrøn!"

„Nein, ich kann dich nicht alleine lassen", erwiderte er, „Wir kriegen das hin. Sag einfach, was du brauchst."

„Wasser, bitte." Meine Kehle war wie ausgetrocknet und das Durstgefühl wurde immer stärker.

„Okay." Er stand auf und holte ein weiteres Glas, das ich gierig leer trank.

„Versuch weiter zu schlafen", riet er mir. Ich verkniff mir einen sarkastischen Kommentar und nickte nur kaum merklich.

„Wie denn?"

„Warte kurz!" Dean eilte zu seinem Schlafplatz und wühlte in der Nachtischschublade bis er eine Plastikdöschen in der Hand hielt.

„Was ist das?", fragte ich, als er mir eine Pille hin hielt.

„Eine Schlaftablette", antwortete er und gab sie mir in die Hand.

Hoffend auf ein bisschen Schlaf, schluckte ich die Pille und starrte an die Decke.

„Ich hoffe es jedenfalls", fügte Dean hinzu und ließ mich in die Höhe schießen.

„Nur ein Scherz." Dean grinste und drückte mich zurück in das Kissen. Auch ich musste ganz leicht lächeln. Die Tabletten linderten zwar nicht die Schmerzen, machten mich aber sehr bald so schläfrig, dass ich kaum die Augen offen halten konnte. Dean hatte sich auf sein Bett zurück gezogen und wartete bis ich eingeschlafen war.

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