Drei Monate

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Zwei Monate war es jetzt schon her; zwei Monate in denen ich mich so alleine wie noch nie gefühlt hatte. Zwei Monate war es jetzt schon her, dass ER tot war.

Anfangs hatte ich gar nicht gewusst, wie ich die Zeit ohne ihn überstehen sollte, doch ich kam wieder auf die Beine; konnte ihn vergessen; so gut es eben ging, seine große Liebe zu vergessen.

Zwei Monate war Max nun schon tot. Und jetzt kam plötzlich alles zurück. 

Max und ich trafen uns vor ungefähr einem halben Jahr auf einer Veranstaltung für Jugendliche mit Darmkrebs. Wir verstanden uns auf Anhieb super miteinander. Je mehr Zeit wir zusammen verbrachten, desto enger wurde unsere Freundschaft, desto mehr merkten wir, dass wir Seelenverwandte waren. Und wie sollte es anders kommen, verliebten wir uns ineinander. Aber es war keine gewöhnliche Liebe. Der Krebs verband uns, schweißte uns enger zusammen, als je eine gesunde Beziehung sein konnte. Wir erlebten wunderschöne Stunden zusammen.

Eines Abends lud Max mich zum Essen ein. Es sollte ein schöner Abend werden; wir hatten gleich zwei Dinge zu feiern. Zum Einen war heute unser 3. Monatstag, und zum Anderen war heute seine letzte Chemo Sitzung gewesen. Wir fuhren in das schönste Restaurant in seiner Heimatstadt. Über zwei Stunden hatte ich gebraucht, um mich fertig zu machen. Ich wollte schön aussehen. Zu diesem Anlass kaufte ich mir extra ein neues Paar Schuhe, die ich ihm voller Freude zeigen wollte. Sie waren weiß, sehr hoch und vorne spitz zulaufend. Klassische Pumps eben. Dazu trug ich ein schwarzes, kurzes Kleid und eine ebenfalls schwarze Handtasche. Alles war perfekt; sollte es zumindest werden. 

Der Abend begann sehr romantisch. Zwischen dem Hauptgang und dem Nachtisch klagte Max über Bauchschmerzen. Ich schob es auf das viele Essen das er schon in sich reingefuttert hatte. Ich wollte an diesem Abend nicht an Krankheiten denken. Ich wollte einen perfekten Abend haben, und lies mich von dem Gedanken auch nicht abbringen. Als er nach einer Weile nicht aufhörte, sich zu beklagen, bekam ich schlechte Laune und verschwand für eine Weile auf die Damentoilette, um mich abzureagieren. Ich verstand nicht, warum er grade heute mit seinen Wehwehchen anfangen musste. Das hatte doch auch noch Zeit bis morgen. Morgen. So weit sollte es nicht mehr kommen.

 An diesem Abend hörte mein Leben auf, mein Leben zu sein. An diesem Abend fiel ich in ein Loch, aus dem ich bis zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr heraus gekommen war. Nicht bis ich Leo getroffen hatte.

Nach geschlagenen zehn Minuten kam ich wieder aus der Toilette an unseren Tisch. Max war sehr bleich geworden und hielt sich den Bauch. "Alles klar bei Dir, Max? Du siehst nicht gut aus", ich fing an, mir doch Sorgen zu machen. Ging es ihm schon die ganze Zeit so? "Merkst Du aber früh, ich", er brach ab und hustete. Blut. Blut überall. Mir wurde schwindelig. Was passierte hier? 

Wie in Trance kam ich Max zur Seite, nahm ihn in den Arm. Ich kannte die Anzeichen. Ich wusste was nun passieren würde. Noch mehr Blut schoss aus seinem Mund, als er ein zweites Mal zu husten begann. Als nächstes sollte er ohnmächtig werden; und das wurde er dann. Als wäre ich in einem Tunnel gefangen, hörte ich Stimmen, die mir zuriefen: "Aus dem Weg, ich bin Arzt!", "Hey Kleine, komm mal mit hier rüber, hier ist es sicherer", "Wo sind denn Eure Eltern?", "Wie heißt der Junge?", "Es muss jemand den Krankenwagen rufen!".  Trotz der vielen Stimmen, die an mich drangen, hörte ich nur seine Stimme, die von seinem Husten fast erstickt wurde: "Anna, bleib bei mir. Halte meine Hand". Egal wie sehr die Leute um mich herum an mir zerrten, ich ließ seine Hand nicht los. Ich hielt sie so fest ich konnte und betrachtete sie. Plötzlich tropfte es von oben auf unsere Hände. Warmes Wasser. Ich weinte. 

Dann ging alles sehr schnell. Der Krankenwagen rollte heran; die Sanitäter schossen in den Raum, in dem vor einer halben Stunde noch alles vollkommen okay war. Hier hatte eine mexikanische Band leise vor sich hin gespielt. Kerzen waren angezündet. Verliebte Pärchen hatten sich verliebt in die Augen geschaut. Und jetzt, waren all diese Leute um uns herum versammelt und redeten auf uns ein. Redeten auf mich ein. Redeten auf Max ein. Sie versuchten, die Situation gut zu reden; als könnte alles wieder in Ordnung kommen. Aber wir beide wussten, was passieren würde. Wir hatten schon so oft darüber geredet, aber immer gehofft, dass es uns nicht treffen würde. Und jetzt war es zu spät. Max würde sterben - und ich musste dabei zusehen.

Club der roten Bänder FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt