Wahrlich, was gestern nur ein Regen zur falschen Jahreszeit hier in Distrikt 4 gewesen war, war heute dem Distrikt 4 ein bevorstehender Sturm. Blechern klingende Meldungen wurden aus den Lautsprechern verkündet, die in jedem Viertel an einer Säule gekettet war. Die Säule waren meist mit Muscheln, Wellen und Fischen verziert. Die Säule in unserem Viertel war schlichtweg weiß... Obwohl, inzwischen war die Tapete vergilbt und zu viele schwarze Ölflecken beschmierte die Säule und der Lautsprecher oben war nicht rot angestrichen, sondern rot verrostet. Wenn das nicht den Zustand meines armen Viertels repräsentierte, dann wusste ich auch nicht was sonst es tun würde. Jedenfalls galt heute, das Übliche an Tagen eines Sturmes: Für die Fischer fiel die Arbeit aus. Kinder durften nicht an den Strand, denn heute würden gewaltige Wellen schlagen. Die Schule blieb geschlossen und man musste Zuhause Schutz suchen. Das Übliche also, nur zur falschen Jahreszeit.
Für mich bedeutet es, dass ich weniger Geld bekommen würde und heute einen großen Verlust machen würde.
Ich arbeitete. Ich arbeitete ständig und ging viel öfter zur Arbeit als zur Schule, um meine Mutter zu ernähren und für ihren benötigten Eingriff Geld zu sparen. Und das tat ich schon seit gerundeten drei Jahren inzwischen. Und dennoch schien es mir, dass ich noch zehn Jahre brauchen würde, um das Geld für die Heilung meiner Mutter zusammenkratzen zu können. Und soviel Zeit hatte ich nicht mehr, das sah ich selbst, da ihr Zustand sich zunehmend verschlechterte. Was vor ein paar Monaten schwitzen und zittern war, war nun ein unkontrollierbares Schlottern und Fieber, das Husten vor ein paar Wochen war nun ein Röcheln und Keuchen begleitet von Blut. Mein Herz fiel bei ihrem Anblick. Mein Herz blutete, wenn ich sah - wie die einst wunderschöne starke Frau, die ihre Kinder vor Allem schützte, für sie einstand, als man sie nicht zur Schule annehmen wollte und floh, als man versucht hatte uns an einer reichen Familie zu verkaufen - immer schwächer wurde und ihre Stimme kaum zu vernehmen war.
Wäre der Sturm nicht da, dann würde ich im Moment die Netze, die ich in der vorherigen Nacht geknüpft hätte anstatt meine Schulafgaben zu machen, vorbeibringen und versuchen es an ein paar Fischer zu verpfänden. Wenn ich Glück hatte würde ich am frühen Morgen alle Netze verkaufen, ehe ich zur Schulen eilen musste, um nicht zu spät zu kommen, aber ich hatte selten Glück. Nach der Schule ging ich zu den Empfangshallen um die Böden zu schrubben und die Leinen zu wechseln. Die Empfangshallen befanden sich in der Küstenstadt, einer der reichsten Vierteln in Distrikt 4. Mein Weg allein bis zur Stadt dauerte eine knappe Stunde. Die Küstenstadt war nur für die Besuchern außerhalb bestimmt, hieß also für die Menschen aus dem Kapitol. Nirgendwo in ganz Panem fand man Meere und Küsten, wie hier in Distrikt 4 und das sorgte dafür, dass viele aus dem Kapitol hin und wieder ein paar Tage in der Küstenstadt verbrachten ehe sie wieder abreisten. Schauten sich die Meere an, genossen festliche Mahlzeiten und verschwanden wieder. Unser Bürgermeister sorgte für eine klare Trennung zwischen der Küstenstadt und dem Rest von Distrikt 4. Die Säulen waren nicht vergilbt sondern vergoldet. Ihre Strände besaßen keinen einzigen Stein, der ihre fragile Haute schneiden konnte, sondern bestanden nur aus feinem Sand. In der Küstenstadt lief niemand- man wurde gefahren. Niemand betrat die Küstenstadt und niemand verließ die Küstenstadt. Die Kapitolmenschen wollten sich nicht den Appetit verderben und die Küstenstadt umliegende ärmeren Viertel besichtigen auch wollten sie nicht, dass irgendjemand ihren Frieden in solch einer Stadt störte, was dazu führte, dass für Arbeiter der Küstenstadt- wie mir- strenge Putzzeiten gab und dass die Stadt von vielen Friendenswächtern unbemerkt bewacht wurde.
In Distrikt 7 gab es Ähnliches hab ich einst gehört, die Berge und Wälder waren für die Kapitolmenschen auch eine Attraktion.
Wenn ein Distrikt jene Attraktionen besaß stand es gut um sie, glaubt ich jedenfalls, denn Kapitolmenschen verbrauchten und verschwendeten Geld. Das Geld, das die Menschen dringlichst brauchten. Ein Karriero-Distrikt wie 1 und 2 zu sein bedeutete für uns bessere Versorgung, mehr Schulen und bessere medizinische Ausstattung als jeder anderer Distrikt. Zumindest waren die Ärmsten von uns halb so arm wie die Ärmsten aus Distrikt 12, die an Hunger starben, da sie keine Möglichkeiten hatten zu arbeiten oder sich mit natürlich Begebenheiten zu versorgen, wie wir in Distrikt 4 mit unseren Meeren. Nachdem ich die Empfanghallen für die Kapitolmenschen in der Küstenstadt geschrubbt hatte, ging es weiter auf dem Fischmarkt, wo ich für Medite an ihrem Stand Fisch verkaufen musste. Danach ging ich heim und kochte meistens den Fisch den ich jedes Mal von ihr "borgte". Ich kochte immer zu viel, damit meine Mutter essen konnte, während ich in der Schule und in der Arbeit war. Jedesmal wenn ich ihr bleiches Gesicht sah und ich wusste, dass sie von meinem Essen nichts gegessen hatte, da sie zu krank war um aufzustehen und sich zu selbst zu füttern, kamen mir Tränen auf und ein heißer Kloß bildete sich in meinem Hals. Unkontrollierbarer Wut breitete sich in mir aus und mein Beschützerinstinkt regte sich tief in mir. Was half mir das alles? Nichts? Ich konnte meine Mutter nur noch fest umarmen und beruhigend auf sie einreden, wenn sie mich mit ihren großen, schmerzerfüllten Augen ansah, wie ein verzweifeltes Kind im Markt, der versuchte seine Familie mit ein bisschen Essen zu retten. Manchmal wollte ich aufgeben einfach auf das Meer hinaus und Atlas und Anthony wiedertreffen. Aber zu welchem Preis? Meine Mutter sterbend allein, wie ein verlorenes Kind zurücklassen? Sie dem Schicksal überlassen den sie sich nicht ausgesucht hatte, sondern aufgezwungen bekam? Das kam nicht infrage.
Also schufftete und arbeitete ich hart... gegen den Willen meiner Mutter. Sie wollte, dass ich zur Schule ging und eine guter Lehrling wurde, um meine Zukunft absichern zu können. Diese Zukunft hatte ich schon lange aufgegeben. Ich war allein und hatte nur noch die Sorge und Pflicht an meiner Seite. Ich musste meiner Mutter helfen ich musste sie retten. Ich kämpfte gegen die Zeit und sie war am gewinnen, ich wusste aber nicht was ich nach dem Tod meiner Mutter machen würde. Wahrscheinlich auf das weite Meer hinausfahren und nie wieder umkehren. Ich erinnerte mich, als ich meinen Geldbeute verlor: Der Moment in dem ich es bemerkt hatte, würde ich niemals vergessen. Es fühlte sich an als hätte man mir in den Magen geschlagen und das kalte nackte Gefühl der Angst und des Schockes breitet sich in mir aus. Ich hatte geweint und gezittert immer noch von dem Moment der Erkenntnis geweint. Ich hatte große Angst vor meiner Mutter gehabt und ich hatte verzweifelt versucht es wiederzufinden... Vergeblich.
Eines Tages wenn ich gegen die tickende Uhr in meinem Kopf verlor, würde mich die Wucht der Erkenntnis umhauen und vollkommen zerstören. Ich würde keine Angst vor meiner Mutter haben, wie einst, sonder vor mir. Und wenn ich vergeblich versuchen würde einen Ausweg zu finden, wie einst ich versuchte meinen Geldbeutel zu finden, wurde ich auf die Meere hinausfahren und meine kleine Familie wiedersehen.
Das Tick, Tack in meinem Kopf war nur noch ein Mom, Atlas und Anthony. Sobald ich gegen die Zeit verlor, hieß es Mom, Atlas und Anthony.
Tick, Tack. Tick, Tack.Ich kramte in der Speisekammer den Fisch und die Knollen raus, die ich immer zur Verwahrung beiseitestellte.
Für Notfälle, für Tage, wo ich nicht arbeiten und Medites Fische mitnehmen konnte. Getrockneter Fisch und Knollen... Mit den richtigen Kräutern würde es eine gute Suppe ergeben. Ich biss mir auf die Lippen - die Jahre als einziger Versorger dieses Hauses hatte dazu beigetragen, dass ich zu einem passablen Koch wurde. Ich kochte und summte um meine Hilflosigkeit, die ich an solchen Tagen verspürte zu übertönen. Nach etlichen Monaten arbeiten, putzen und kochen sah ich nicht mehr das Geld das ich verdiente oder eine warme Mahlzeit für meine Mutte und mich... ich sah nur noch die große Spalt zwischen der verdienten Geldsumme und dem benötigten Krankenhausgeld. Ich sah nur noch eine leerende Speisekammer anstatt einem gedeckten Tisch. Meine Knie berührten den Boden als erstes. Instinktiv schlang ich meine Arme um meinen Körper, um mich vor der Kälte, die drohte auf mich zu stürzen, zu schützen. Ich merkte nicht, dass das im dunklen Raum laute Ticken nicht die Küchenuhr war, sondern ich selbst war, ich ganz allein mit meinem Mund rezitierte das Ticken der Uhr und nahm nicht wahr, dass es irgendwann ein Geschrei in der Küche war, obwohl meine Kehle protestierte, obwohl meine Ohren drohten zu bersten. Ich nahm gar nichts mehr wahr.
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Whisper of the Sea- Annie Cresta und Finnick Odair
Fanfiction"Ja. Annie ist durchgedreht, als ihr Distriktpartner enthauptet wurde. Rannte allein los und versteckte sich. Doch bei dem Erdbeben brach ein Damm und der größte Teil der Arena wurde überflutet. Sie gewann, weil sie am besten schwimmen konnte." - Pe...