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Genau drei Dinge änderten sich am nächsten Tag.

Zum einen wurde meine Einheit verlegt. Ab sofort waren wir draußen. Wir halfen bei der Obsternte. Und ich erkannte auch endlich, warum meine Eltern uns in die Ernteabteilung gebracht hatten. An der frischen Luft zu arbeiten war gleich viel schöner. Auch wenn meine Rippen brannten wie Feuer, sobald ich mich bewegte.

Und, auch wenn ich das nicht gerne zugab, selbst geerntete Äpfel schmeckten viel besser. Nach der Mittagspause wurde ich auch zum ersten Mal Zeuge einer Bewässerung. Das Gestell mit den Drüsen fuhr über die Bäume und ließ es regnen.

Ich wusste, dass es früher, vor der Kuppel, nicht nötig gewesen war, weil es von Natur aus geregnet hatte.
Aber die Kuppel war nun mal wasserdicht.

Der gesamte Wasserhaushalt der Stadt wurde künstlich gesteuert und reguliert. Regen fühlte sich... ungewohnt an. Fast wie Duschen, nur in Kleidern. Die anderen, die das alle schon einmal erlebt hatten, waren belustigt durch meine Ausgelassenheit.

Niemand verlor ein Wort über meine geschwollene Wange.

Am Abend änderten sich zwei weitere Dinge. Ich ging wieder mit den anderen zu den Duschen. Dabei passte ich allerdings genau den Moment ab, in dem Angi aus den Duschen kam.

Sie war mehr als überrascht, mich zu sehen. Wütend kam sie auf mich zu. Als sie mich gerade anfahren wollte, sah die Wache an der Tür in eine andere Richtung.

Mit einem gezielten Schlag in ihr Gesicht brachte ich sie aus dem Konzept. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Deine Nachricht gestern ist angekommen“ lächelte ich. „Nachts ist es wirklich zu riskant. Du hast recht, ich sollte wieder tagsüber hier her kommen.“ Diese Worte hatte ich mir im Voraus zurecht gelegt. Ich bekam sie sicherer heraus, als ich gedacht hatte.

Drohend baute sie sich vor mir auf, aber ich blieb aufrecht. Mir war klar, dass sie zurückschlagen wurde - ich blockte den Schlag ab.

„Ach, und Angelina...“ Ihr Gesicht bestätigte meinen Verdacht. Sie hasste ihren vollen Namen. „Ich glaube nicht, dass du dich vor der Wache prügeln willst.“ Ein Hoch auf diese Wache!

Sie kniff ihre Augen zusammen. „Damit kommst du nicht davon!“ Ich war überrascht, dass das so einfach gewesen war. „Das werden wir ja sehen.“ Diese Runde ging tatsächlich an mich.

Als sie aufgebracht davon stürmte, grinste ich triumphierend. Ihre Rache würde nicht zimperlich sein, immerhin hatte ich sie bloßgestellt. Aber damit würde ich mich später beschäftigen. Jetzt wartete eine Dusche auf mich.

Die dritte Sache, die sich also an meinem vierten Tag hier geändert hatte, war, dass ich ab jetzt eine Rivalin von Angelina war und kein Opfer mehr.

Und ab sofort würde ich mich nicht mehr unterkriegen lassen.

Ich wunderte mich, wo Damian steckte. Ich würde mich gerne erneut bei ihm bedanken. Aber er war den ganzen Tag nicht zu sehen.
Hoffentlich war er nicht in Schwierigkeiten. Nicht auszuschließen, dass uns jemand gesehen hatte.

Er durfte ja draußen sein. Aber er hätte mich melden müssen. Was er nicht getan hatte. Ich war mich mittlerweile sicher, dass auch er früher mal in einer ähnlichen Lage gewesen war und mir deswegen geholfen hatte.

Darüber würde ich gerne mehr erfahren.

Auf dem Rückweg von den Duschen sah ich ihn dann doch noch. Er lehnte neben einer mir noch unbekannten Wache an der Verwaltung. Dort befanden sich auch ihre Quartiere, wie ich mittlerweile wusste.

Kurz zögerte ich, wollte zu ihm hingehen. Aber die Anwesenheit der anderen Wache hielt mich davon ab. Ich wollte weder mir noch ihm Ärger einhandeln, indem ich mich verdächtig benahm. Mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen ging ich schlafen. Und zum ersten mal, seit ich hier angekommen war, fühlte sich meine Matratze bequem an.

Meine Gelegenheit, mit Damian zu sprechen, ergab sich am nächsten Morgen. Als ich mich gerade an einen der Tische gesetzt hatte, um in Ruhe mein Müsli zu essen, setzte sich jemand mir gegenüber.

Zuerst wollte ich einen abweisenden Kommentar machen, aber dann sah ich, wer mir da gegenüber saß. „Damian“ sagte ich etwas zu erfreut und erschrak über meine plötzliche gute Laune.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du meinen Namen kennst“ gestand er überrascht. „Wieso sollte ich den nicht kennen?“ Er zuckte nur die Schultern. Dann sah er zur Kontrolle einmal über eben jene nach hinten.

Die Luft schien rein zu sein, denn er beugte sich etwas zu mir vor und sagte: „Ich wollte dir noch gratulieren.“
„Wozu?“ fragte ich verwirrt.

„Ich hab das blaue Auge gesehen“ grinste er. Leicht deutete er mit dem Kopf nach rechts. Und tatsächlich, dort saß Angi, mit dem jämmerlichen Versuch bemüht, ihr blaues Auge unter ein paar Haarsträhnen zu verstecken.

„Oh. Danke!“ Ich wurde rot.

„Das hast du nur mir zu verdanken.“ Ich verstand, dass er nur Spaß machte, und lachte. „Bild dir bloß nicht zu viel darauf ein!“ Wir lachten beide. Ein paar Leute drehten ihre Köpfe in unsere Richtung.

Wir beruhigten uns wieder. Ich sah eine Wache, die in unsere Richtung sah. „Der Typ da hinten starrt uns an.“ Als Damian ihn sah, veränderte sich etwas in seiner Haltung.

„Eigentlich“ fing Damian vorsichtig an, „darf ich gar nicht zu euch an die Tische sitzen.“ Er sah mich entschuldigend an. „Du weißt ja, die Regeln.“

Auf einen Schlag war ich wieder daran erinnert, dass mein Leben hier so viel weniger wert war als seines. Sie war absurd, diese Tatsache. Wegen nur einem Fehltritt war ich nicht mehr wert als alle anderen Gefangenen, egal, was diese getan hatten, um hier her zu kommen.

„Ist ja nicht deine Schuld“ murmelte ich. Was ich eigentlich sagen wollte: Bleib bitte hier, du bist der erste, der mich wie eine Person behandelt.

Aber Damian ging.

BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt