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Zu sagen, dass ich enttäuscht von Damian war, war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Wütend kickte ich einen Stein vor mir her. Ich war auf dem Weg zu den Quartieren. Der Stein hüpfte etwas nach links. Meine Gedanken rasten ziellos durch meinen Kopf. Ich dachte daran, wie wenig mir von meinem Leben geblieben war. Selbst Damian ließ mich im Stich. Mit einem Tritt beförderte ich den Stein vom Hof und von mir weg. An der Tür zu meinem Quartier lief ich vorbei.

Ich musste diese Gedanken los werden. So wurde ich nur verrückt.

Ich folgte der Straße ein Stück. Mir war egal, dass ich auf dem Weg zur Arbeit sein sollte. Ein paar der anderen, die ich traf, sahen mir verwundert nach. Ich war alleine unterwegs, ohne Einheit. Irgendwann wurden mir die Blicke zu blöd. Sie schienen mich zu beurteilen. Unmerklich hatte ich den Kopf eingezogen. Mein Gott, Caro. Bist du ein Baby oder was?

Kopf hoch, zwang ich mich selbst. Ein kleiner Weg zweigte von der Straße ab und führte zwischen zwei Häusern hindurch. Ich ließ mich von meinen Instinkten leiten. Seit wann ließ ich mich so fertig machen von dem Verhalten von jemand anderem?

Hinter den Gebäuden kreuzte der Weg eine weiter Straße. Ein Stück weiter führte eine Brücke über einen Bewässerungsgraben. Ich kletterte umständlich runter zum Wasser. Einmal wäre ich fast an der Betonwand abgerutscht und sah mich schon im Wasser liegen. Aber die zweieinhalb Meter Höhenunterschied, die ich zu bewältigen hatte, waren durch die grobe Verarbeitung der Wand und dadurch entstehende Vorsprünge gut zu meistern. Unten setzte ich mich auf das Gitter, das den gröbsten Dreck aus dem Wasser filterte, und ließ die Beine baumeln.

Die Ruhe tat gut. Mein Kopf klärte sich.
Gegen Mittag fühlte ich mich bereit, zurück zu gehen.

Als ich den Hof wieder betrat, fing gerade das Mittagessen an. Ich wollte mich setzen, als mich jemand am Arm zurück hielt. Damian. „Wir müssen reden.“ Er zog mich um die Ecke. Zuerst wollte ich mich wehren, aber dann ließ ich es zu. Ich wollte hören, was er zu sagen hatte. Mit erwartendem Blick sah ich zu ihm auf. In diesem Moment nervte mich die Tatsache, dass er ein Stück größer war.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht... wo warst du heute?“ fragte er. Die Frage ließ meine Wut vom Morgen wieder aufkochen. „Ich wüsste nicht, was dich das interessiert“ fuhr ich ihn an. Am Morgen hatte ich ihn schließlich auch nicht interessiert. Schon im nächsten Moment fühlte ich mich ein bisschen komisch. Er schien wirklich besorgt gewesen zu sein. Meine Wut verpuffte auf einen Schlag. „Es ist nur...“ ich versuchte, meine Gefühle in Worte zu fassen. Aber es gelang mir nicht.

Damian nickte bloß. Er legte den Kopf kurz in den Nacken, eine Angewohnheit, die ich nun schon öfters bei ihm beobachtet hatte, wenn er darüber nachdachte, wie er sich ausdrücken sollte. „Weißt du... Caro... es ist nicht so einfach...“ Ich wartete, ließ ihn ausreden. Unsicher, ob ich überhaupt hören wollte, was ich schon wusste. Er wandte mir seinen Blick wieder zu. In seinen Augen lag eine so tiefe Verzweiflung, die mich erschreckte. „Wenn mich die anderen Wachen zu oft in direktem Kontakt mit Sträflingen sehen... kann ich ziemlich Ärger bekommen. Versuch das bitte auch aus meiner Perspektive zu sehen.“

Ich hielt einen Moment inne. Mir war das bewusst gewesen. Aber nicht in diesem Ausmaß, dass es ihn so beschäftigte. Jetzt fühlte ich mich so richtig schuldig. Er hatte es immerhin versucht. Und beim Kontakt mit mir jede Menge Ärger riskiert. Und ich? Rannte wie ein kleines Kind davon, sobald sich nicht alles um mich drehte. „Oh.“

Ich wollte ihm sagen, wie leid es mir tat, wie dumm ich gewesen war, zu denken, es ginge hier nur um seine eigene Einstellung. Dabei ging es hier auch um seinen Job. Dass ich egoistisch war, das wollte ich ihm auch sagen. „Ich weiß nicht, was...  Danke.“ Mehr brachte ich nicht heraus. Aber ich legte alles, was ich nicht sagen konnte, in meinen Blick.
Ich hoffte, er könne mich auch so verstehen.

Eine andere Wache kam die Straße auf uns zu. Er hatte uns wohl noch nicht gesehen. „Sehen wir uns heute Abend? Nach dem Essen hier?“ bot Damian mir an. Ich nickte, war froh darüber, dass wir uns verstehen konnten.

Am Abend war Damian vor mir da. Ich war nervös gewesen, sogar fast sicher, dass er nicht hier sein würde. Aber das war er. Ebenso wie ich. Wir lehnten uns nebeneinander an die Wand und redeten. Er erzählte mir von seinen Brüdern - er hatte zwei, beide älter und auch in der Sicherheit tätig - und ich erzählte von meiner Mutter im Senat und von Daniel.

Einmal kam das Thema auf meine Verhaftung. Doch ich weigerte mich, ihm mehr zu sagen, als er ohnehin aus meiner Ante wusste. Damian bohrte nicht, er ließ mir die Freiheit, es ihm nicht zu sagen und nahm es mir auch nicht übel. Das rechnete ich ihm hoch an.

Kurz vor der Sperrstunde verabschiedeten wir uns. Er umarmte mich zum Abschied - etwas das er noch nie getan hatte. Er schien auch nicht der Typ dafür. Aber ich freute mich darüber.

Es wurde unser abendliches Ritual, vor der Sperrstunde draußen zu stehen und zu reden. Damian achtete immer darauf, dass ich vor der Sperrstunde drinnen war. Ich konnte darüber nur lachen, aber er bestand darauf.

Tagsüber konnten wir kaum noch reden, da die Wachen irgendwie mehr werden zu schienen. Ich fing deswegen an, mich richtig auf unsere abendlichen  Treffen zu freuen.

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