1 - Caro

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Wenn ich mir die äußeren Bezirke vorgestellt hatte, hatte ich vieles vor Augen gehabt. Überwucherte Gebäude und Straßen mit aufgeplatztem Asphalt. Kühe und Schafe, die überall frei herumliefen.

Natürlich war das alles Blödsinn.

Auch ich hatte mir in der Schule oft genug 360°-Dokus über unsere Landwirtschaft ansehen müssen. Nicht, dass diese mich groß interessiert hätten. Aber seien wir mal ehrlich: Wenn mir damals jemand gesagt hätte, hör mal, du wirst da mal für ne Weile leben, hätte ich dieser Person einen Vogel gezeigt. Was sollte ich denn bitte am Rand?

Um ehrlich zu sein, wusste ich das immer noch nicht. Was sollte ich dort?

Wenn eines nicht zu meinen Stärken gehörte, dann war das körperliche Arbeit. Und das es hier um die Drecksarbeit der Drecksarbeit ging, das war selbst mir klar. Durch die verstärkten Zugfenster (wer würde denn bitte hier versuchen, durch die Fenster auszubrechen?) beobachtete ich die vorbeiziehenden Gebäude. Daniel neben mir tat dasselbe. Ich hatte bereits versucht, ein Gespräch mit ihm anzufangen, aber da war jemand nicht in der Stimmung auf mein Gejammer.

Mit einem Ruck blieb der Zug stehen. Ich drückte mein Gesicht gegen die Scheibe und versuchte, die sich öffnende Mauer zu sehen. Aber von meiner Position aus sah ich gerade mal ein paar weiter entfernte Abschnitte zwischen den Hochhäusern hervor blitzen.

Die Wache bei uns im Abteil, ein noch junger Typ mit braunen, kurzen Haaren, war wesentlich nervöser, als wir es waren. Er rutschte ständig auf seinem Sitz hin und her, als rechnete er jeden Moment mit einem Fluchtversuch unsererseits. Dabei war er derjenige, der wohl am liebsten abgehauen wäre. Irgendwie fand ich das witzig. Wie dieser Typ, der eine Ausbildung zum einschüchternden Wachmann abgeschlossen hatte (den Teil mit dem einschüchternd hatte er wohl nicht so richtig verstanden) durch uns nervös wurde. Dabei übertrumpfte er Daniels Muskeln eindeutig, das konnte ich sogar durch seine Uniform erkennen.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Als sich die Mauer auf Höhe unseres Fensters befand, war ich fast ein bisschen enttäuscht. Sie war vielleicht einen Meter dick. Das sollte wohl ein Scherz sein. Auch das, was nach der Mauer kam, war eher ernüchternd.

Die mehrstöckigen Gewächshäuser sahen fast genauso aus wie in den Dokumentarfilmen. Zwischen den Häusern befanden sich Felder mit schnurgeraden Reihen aus Bäumen. Ich sah auch zwei größere Gebäude vorbeiziehen.

Als der Zug langsamer wurde, stand die Wache auf. Wie jeder Wachmann trug auch er ein schwarzes Armband, das eine kleine Metallplatte beinhaltete. Diese war so programmiert, dass sie unsere Handschellen mit einer kurzen Berührung lösen konnte. Leider war es noch zu früh, um sie komplett abgenommen zu bekommen. Stattdessen lockerte die Wache sie lediglich ein bisschen und löste sie von den Sitzlehnen. Am Bahnhof, einem zweistöckigen Gebäude, das ich durch das Fenster sehen konnte, öffnete sich die Abteiltür und Frau Simmons, die Frau, die uns auch schon in den Zug begleitet hatte, trat herein.

„Carolina und Daniel Schwarz?" Wer sollte denn sonst hier drinnen sein? Mit ernster Mine baute sie sich vor uns auf. Sie war ziemlich hochgewachsen und überragte unsere Wache um ein paar Zentimeter, an Daniel kam sie jedoch nicht heran.

Sie strahlte eine solche Autorität aus, dass wir alle drei den Atem anzuhalten schienen. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie erst Daniel und dann mich an, während sie sprach.

„Das oberste Gericht hat in einer nachträglichen Tagung die Details Ihres Aufenthalts" – sie betonte das Wort, als wäre sie davon angewidert – „festgelegt. Dabei wurden einige Änderungen beschlossen, um Ihnen beiden die bestmögliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen."

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