Als ich Bastienne am Freitag morgen von meinen Plänen für den Abend berichtete, war sie genauso aufgeregt wie Lexie zwei Tage zuvor. Sie wollte alles über Aiden wissen und mein Outfit nochmal genau mit mir durchgehen. Das alles trug nicht wirklich dazubei meine Nervosität zu lindern und so war ich bei der Arbeit zu nichts zu gebrauchen. Andauernd verwählte ich mich oder erwischte mich dabei, wie ich auf den Computer starrte, ohne etwas darauf zu sehen.
Zwei Stunden vor meinem normalen Feierabend fuhr ich nach Hause und versuchte mir selber einzureden, dass ich die Stunden nach holen würde. Aber natürlich wusste ich, dass ich dafür gar keine Zeit hatte. Ich war immer da, sobald das Büro geöffnet wurde und fuhr wenn es abgeschlossen wurde.
Lexie kümmerte sich um mich und machte mich für meinen Abend fertig. Obwohl ich wusste, dass Bastienne das gerne für sie übernommen hätte, hatte ich sie überredet zu ihrer Familie nach Hause zu fahren, so wie sie es ursprünglich geplant hatte.
Schon immer hatte ich Lexie für ihre Fähigkeit bewundert immer alles schön aussehen zu lassen. Das galt nicht nur für ihre Klamotten oder ihr Make Up, sie hatte auch ein unglaubliches Talent für Inneneinrichtung. Sie hatte mein Zimmer mit den alten Möbeln eingerichtet und es sah trotzdem wunderschön aus. Ich wusste nicht, was ich ohne sie an diesem Abend gemacht hätte. Sie pinselte einige Minuten lang an meinem Gesicht herum, dann verzog sie das Gesicht und reichte mir einen Spiegel:" Ich bin neidisch, Avery. Man muss dich nicht schminken, du bist eine Naturschönheit."
Lachend zeigte ich ihr einen Vogel und griff nach dem Spiegel. Obwohl sie selber sagte kaum etwas gemacht zu haben, hatte Lexie mich in eine andere Person verwandelt. Ich war nicht länger die schüchterne, unscheinbare Avery, stattdessen sah ich selbstbewusst und elegant aus. Jemand, dem man auf der Straße nochmal nach schaut und sich nicht wundern würde ihn auf dem nächsten Werbeplakat zu sehen.
Wie er es versprochen hatte, klingelte es um kurz nach acht an der Tür. Ich saß nervös in meinem Zimmer und überprüfte noch ein letztes Mal das Make up, dass Lexie kunstvoll auf meinem Gesicht verteilt hatte, dann schnappte ich mir meine kleine Handtasche und drückte den auf dem Knopf um den Lautsprecher ein zu schalten:" Ich bin gleich da."
Ich wusste nicht, ob Aiden sich extra schick gemacht hatte oder ob er immer so aussah, aber er trug eine dunkle Jeand mit einem hellblauen Hemd. Ein wenig nervös trippelte er mit den Füßen, als ich die Tür öffnete und nach druaßen kam. Da fing er an zu lächeln:„Hi, Avery. Du siehst toll aus."
Bestimmt grinste ich wie ein Honigkuchenpferd, als er das sagte, aber das war mir egal:" Danke, du auch."
Knapp, aber lächelnd, nickte er und dann entstand eine unbehagliche Stille. Ich wusste nicht, was ich sagen wollte, als schaute ich knapp an ihm vorbei auf die gegenüberliegende Straßenseite und hoffte, dass er diese Stille brechen würde.
Tatsächlich tat er es nach ein paar endlosen Minuten, in dem er sich räusperte.
„Wollen wir dann los?", fragte er und ging langsam zu einem Auto ein paar Meter entfernt. Unsicher schaute er mich an und fuhr fort:" Ich hoffe, dass wir den Rollstuhl in den Kofferraum bekommen, sonst rufe ich uns ein Taxi."
Ich versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, aber genau vor so einem Moment hatte ich mich gefürchtet. Immer machte es nervige Umstände jemandem im Rollstuhl bei sich zu haben und viele machten sich deswegen gar nicht erst die Mühe mit mir Kontakt aufzubauen oder gar zu halten.
Wie durch ein Wunder schaffte Aiden es allerdings den Rollstuhl in den winzig aussehenden Kofferraum zu quetschen. Als er es mir verkündete schaute ich ihn mit riesigen Augen an:„Echt? Wie hast du das denn geschafft?"
„Dieser Kofferraum ist wie Hermines Perlenhandtasche", witzelte er und ließ sich neben mich auf den Fahrersitz fallen. Ich lachte und schnallte mich an.
„Ich hoffe du magst chinesisches Essen. Ich habe einen Tisch in einem echt tollem Restauant reserviert", erklärte er und fuhr los.
Lächelnd nickte ich: „Klar mag ich chinesisches Essen. Wie lange müssen wir fahren?" Obwohl ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen wurde ich ein wenig nervös. Es war zwar schon Jahre her, aber ich hatte immer noch ein wenig Angst Auto zu fahren. Besonders mit Leuten, bei denen ich nicht wusste, wie sie fuhren.
„Nicht lange, zehn Minuten vielleicht", erwiderte er leicht hin und fädelte sich geschickt in den dichten Londoner Verkehr ein. Tatsächlich dauerte die Fahrt dann aber fast zwanzig Minuten, weil sich ein Stau auf einer der Straßen vor dem Raustaurant gebildet hatte und wir einen Umweg nehmen mussten, um nict im Stau stecken zu bleiben. Doch dafür kamen wir in einem wunderschönen Chinesischen Restaurant an. Es war sehr modern und trotzdem sehr gemütlich. Von einem älteren Mann wurden wir zu einem Tisch am Fenster geführt und dann übergab er uns die Speisekarten.
Eine Weile blätterten Aiden und ich schweigend durch die Karten, dann legten wir sie beide zur Seite und gaben unsere Bestellung auf. Geschickt verwickelte er mich in ein wenig Smalltalk über die aktuelle politische Lage oder das Wetter. Mir kam der Gedanke, dass er das nicht zum ersten Mal machte. Mir fiel es immer ungeheuer schwer Menschen ins Gespräch zu verwickeln, aber schaffte es mühelos, ohne wirklich irgendetwas wichtiges zu sagen.
Als wir uns schon halb durch unser Essern gearbeitetet hatten, traute ich mich auch endlich eine Frage zu stellen: „Und was machst du so beruflich?"
„Ich bin Pilot", sagte er und lächelte. Scheinbar ein gutes Thema, mit dem er sich wohlfühlte.
Erstaunt riss ich die Augen auf:" Echt? Das ist ja interessant."
Das ich unter wahnsinniger Flugangst litt und deswegen diese Insel wahrscheinlich nie wieder verlassen werde, erzählte ich ihm lieber nicht.
„Naja, ich bin noch Co – Pilot, aber es ist super interessant und macht wahnsinnigen Spaß", erzählte er verträumt und ich konnte ihn mir plötzlich gut mit einer Pilotenuniform vorstellen.
„Und du?", fragte Aiden weiter.
Wahrscheinlich hätte ich wissen müssen, dass er mich das fragte, nachdem ich ihm diese Fragte gestellt hatte, aber nun wünschte ich mir es nicht getan zu haben. Neben seinem interssanten Beruf kam mir meiner so langweilig vor, wie er auch war.
„Ich arbeite in einem CallCenter", sagte ich dann und grinste verlegen. Aiden sagte nichts, er nickte nur und schaute wieder auf seinen Teller. Eine kurze Pause entstand, aber schon bald überwindete Aiden sie mit einem seiner coolen Sprüchen.
Es war wunderschön. Kaum jemals entstand ein peinliches Schweigen, stattdessen unterhielten wie uns aufgeregt und lachten die ganze Zeit.
Nachdem wir bezahlt hatten, getrennt, darauf hatte ich bestanden, räusperte sich Aiden und sagte:" Danke für den wunderschönen Abend, Avery. Soll ich dich zuhause absetzen?"
Ich nickte, obwohl ich nicht nach Hause wollte. Ich wollte nicht, dass dieser wunderschöne Abend ein so frühes Ende nahm. Genauer gesagt wollt eich nicht, dass dieser Abend überhaupt ein Ende nahm. Ich glaubte zu wissen einen kurzen Blick hinter die Mauer von Aiden werfen zu können und hatte mich dort unfassbar wohl gefühlt. Ich mochte Aiden. Er war einzigartig und ich wollte noch so viel mehr von ihm wissen.
Wahrscheinlich mochte ich ihn etwas zu sehr.
Lexie empfing mich sehnsüchtig wartend an der Einganstür:" Avery! Erzähl mir alles! Wie wars? Was habt ihr gemacht? Worüber habt ihr euch unterhalten?"
Lachend unterbrach ich sie:" Lexie, warte doch mal. Ich erzähle dir das schon noch. Aber morgen, jetzt gehe ich erstmal ins Bett, ich bin totmüde."
Letzteres war eigentlich gelogen, denn obwohl es schon sehr spät war, viel später als ich sonst ins Bett ging, war ich noch nicht im geringsten müde. Ich wollte diesen schönen Abend für mich behalten, bevor Bastienne und Lexie sich morgen wie die Geier auf jedes einzelne Wort von Aiden stürzen würden. Es war mein Abend gewesen, mein kleines Geheimnis, das ich noch eine Nacht behalten würde.
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Learning to fly
Teen FictionAvery ist 21, lebt in London und hätte eigentlich eine aussichtsreiche Zukunft vor sich. Doch das ist lange vorbei, alles wurde ihr genommen und nur ein zurück gezogenes Leben in einer kleinen WG ist ihr geblieben. Als sie Aiden in einem Therapieze...