Hugo

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Die Hitze meiner Tasse heißer Schokolade bildet einen angenehmen Kontrast zu der schneidend kalten Luft um mich herum. Gedankenverloren starre ich in das zuckrige Getränk, hebe meinen Blick, beobachte die vorbeilaufenden Passanten. Der Stuhl gegenüber von mir ist deprimierend leer. Louis hat seit 10 Tagen nichts als Prüfungen, Terminen und Vorlesungen. Und so blöd es auch klingen mag, ohne ihn ist mein Leben unheimlich öde. Ich vermisse ihn, seine Art, sein Lachen, seine klapprige Vespa, die nächtlichen Trips durch Paris. Seufzend nehme ich einen Schluck von meinem Getränk und werfe der laut lachenden Gruppe von Mädchen an dem Tisch neben mir einen kurzen Blick zu. Sie sind ungefähr in meinem Alter und ich frage mich warum ich nicht einfach eine von ihnen sein kann. Sie sehen unbeschwert und glücklich aus und selbstbewusst, jede einzelne von ihnen. Und sie haben sich. Auch wenn ich es ungerne zugeben mag, Louis ist mein einziger Freund. Plötzlich verstummen die Mädchen und ich sehe, wie sich ihre Köpfe beinahe synchron umdrehen. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber irgendwie bin ich enttäuscht, als ich sehe, dass ihre Aufmerksamkeit nur einem dunkelblonden Jungen gilt, der sich seinen Weg zwischen den Tischen und Stühlen entlang bahnt. Nach einem Platz suchend schaut er sich um, bis sein Blick an mir hängen bleibt. Und an dem einzigen freien Stuhl gegenüber von mir. Ohne zu fragen schiebt er den Stuhl mit einem unangenehmen Kratzgeräusch zurück und lässt sich darauf nieder, dann widmet er seine Aufmerksamkeit der Speisekarte. Als eine Bedienung vorbeikommt bestellt er einen extrastarken Espresso. Innerlich seufzend frage ich mich, weshalb er sich nicht einfach im Inneren des Cafes umschaut, doch dann begreife ich, dass das meine Chance ist einen neuen Freund zu gewinnen. "Hi", sage ich mit meinem freundlichsten Lächeln und er schaut überrascht auf. "Hi", wiederhole ich mich," ich bin Anaëlle, und du?" Aus dem Augenwinkel registriere ich, wie die Mädchen, die uns bis eben angestarrt haben nun eine nach der anderen weggucken. Wahrscheinlich denken sie, wir sind verabredet. Ich entspanne mich etwas. Der Junge lächelt vorsichtig zurück. "Hugo", stellt er sich vor, "Anaëlle", antworte ich, dann schweigen wir. "Ich... erwartest du jemanden? Ich hab gar nicht gefragt ob hier frei ist, es... Sorry." Hugo legt den Kopf etwas schief. Er ist wirklich hübsch anzusehen, seine Haare sind weich, seine Augen schokoladenbraun, seine Nase gerade und seine Lippen voll. "Nein. Ist in Ordnung." Hugo atmet erleichtert auf und ich lache leise. "Alles gut, entspann dich, ich beiße nicht." Ich weiß nicht, woher ich auf einmal den Mut nehme, das zu sagen oder überhaupt mit einem hübschen Jungen (Louis ausgenommen) zu reden. Normalerweise verstumme ich dann immer und werde rot. Doch Hugo scheinen meine Worte etwas lockerer zu machen, denn auf einmal tritt ein Funkeln in seine Augen. "Hübsche Mädchen machen einen nervös, das ist nun einmal so", gibt er selbstbewusst zu und ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und ich meinen Blick etwas senke. "Nicht Rotwerden, du kannst ruhig dazu stehen." Er grinst und ich blicke wieder auf. "Tu ich", erwidere ich wenig überzeugend. "Also, was machst du so ganz alleine in einem Cafe an einem Freitagabend?", fragt Hugo interessiert nach. "Ich... Keine Ahnung. Die Zeit totschlagen. Oder so ähnlich. Und du?" Mein Gegenüber lacht lieblos auf. "Ich habe gerade mit meiner Freundin schlussgemacht und hatte etwas Koffein dringend nötig." Ich gebe ein reichlich unintelligentes 'oh' von mir, dann mustere ich Hugo mit schiefgelegtem Kopf. "Das tut mir Leid", bekunde ich mein Mitleid, doch er zuckt nur unbeteiligt mit den Schultern. "Es ist komisch, aber es tut nicht einmal weh. Ich habe sie wohl nicht mehr geliebt." Er wendet kurz den Blick ab und lässt ihn unruhig über die Straße gleiten, bevor er ihn wieder mit meinem verhakt. "Und Anaëlle, was machst du so in deiner Freizeit?" Sein Themawechsel überrascht mich, sodass ich nicht sofort antworte. Ich überlege ein paar Sekunden lang, bevor ich zu einer Antwort ansetze. "Keine Ahnung. Das was man eben so macht." Hugo sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, wird dann jedoch abgelenkt, weil seine Bestellung gebracht wird. Mit einem Zug trinkt er die kleine Tasse leer, bevor er mich erwartungsvoll anschaut. Ich nehme noch ein paar Schlucke von meiner Schokolade, um Zeit zu schinden. Ich kann ihm schlecht sagen, dass ich so gut wie nichts mehr tue, seit meine beste Freundin vor knapp zwei Monaten gestorben ist. Ich kann ihm nicht von Eloise erzählen. Er ist nicht wie Louis, dem ich vom ersten Moment an meine ganze Lebensgeschichte hätte anvertrauen können. Also beschließe ich, ihm stattdessen von Louis zu erzählen. "Okay, normalerweise mache ich eine ganze Menge mit Louis. Eigentlich verbringe ich fast meine ganze Zeit mit ihm, wenn er nicht gerade zur Uni muss. Er ist... so etwas wie mein bester Freund. Obwohl ich ihn noch gar nicht so lange kenne. Aber ich habe das Gefühl, es wären Jahre. Er ist das Gegenteil von mir. Er redet eine ganze Menge und ist kitschig und denkt noch immer, Paris sei die Stadt der Liebe und des Lichtes. Aber er ist wunderbar. Witzig, süß, freundlich, zuvorkommend und er versteht mich. Immer. Mit ihm ist es niemals langweilig. Er kann von einem Moment auf den anderen von locker und hunorvoll zu ernst und tiefgründig wechseln und verrückterweise habe ich beinahe das Gefühl, er vervollständige mich irgendwie. Obwohl ich normalerweise immer schrecklich realistisch bin und nicht an so etwas glaube." Ich hole Luft und merke, dass ich während meiner Erzählung angefangen habe, zu lächeln. Mit ein paar Schlucken leere ich mein Getränk, Hugo hebt die Hand, um zu bedeuten, dass wir zahlen wollen. "Während der allerersten Begegnung von einem anderen Jungen zu schwärmen steht in keiner Anleitung zum Flirten", sagt er, doch er schmunzelt, sodass ich weiß, dass er es nicht allzu ernst meint. "Ich schwärme nicht", protestiere ich aufgebracht, doch Hugo schmunzelt nur noch mehr und nimmt dem Kellner das kleine Tablett zum Zahlen aus der Hand. Ich krame in meiner Jackentasche nach Geld, doch Hugo winkt ab und klemmt einen 10 Euroschein auf die Rechnung. Wir erheben uns synchron. "Okay Anaëlle. Ich kenne diesen Louis nicht, aber es klingt wirklich so als wäre er ein verdammt netter Kerl. Und du sprichst von ihm nicht nur wie man von einem besten Freund sprechen würde. Also unternimm etwas, bevor es zu spät ist." Reuevoll senke ich den Blick etwas, es war wirklich nicht besonders höflich, Hugo so hemmungslos von Louis vorzuschwärmen. "Hey, jetzt schäm dich nicht. Es ist alles okay. Louis scheint wirklich jemamd zu sein, der ein Mädchen wie dich verdient. Wahrscheinlich mehr als ich, ein Typ der direkt nach dem Trennungsstreit seiner Freundin so schnell
wie möglich das Weite sucht, ohne sie zuende sprechen zu lassen und die Sdchen durchs Fenster hinterhergeworfen bekommt." Ich lache laut auf, obwohl mir die Freundin Leid tut. "Sie hat dir die Sachen hinterhergeschmissen?", hake ich glucksend nach und Hugo nickt bedröppelt. "Ja und ein paar sehr unschöne Worte. Ich werde wohl noch einmal mit ihr sprechen. So sollte keine Beziehung enden." Langsam schieben wir uns zwischen den Tischen hindurch, bis wir wieder auf der Straße stehen. "War schön dich kennenzulernen, Hugo", sage ich und grinse ihn an. Er grinst noch breiter zurück und antwortet:" Klar. Meine Bekanntschaft zu machen ist immer schön." Als Kurzschlussreaktion auf seine dreiste Bemerkung schnappe ich empört nach Luft und boxe ihn in die Seite, was ihn jedoch reichlich wenig stört, stattdessen redet er einfach weiter, als wäre ich Luft. "Wie gesagt, ich weiß, dass ich nicht bei dir landen kann. Also frage ich dich: Willst du dich ein weiteres Mal mit mir treffen, natürlich in rein freundschaftlichem Sinne?" Letzteres spricht er so hochgestochen und förmlich, dass ein mädchenhaftes Kichern aus mir herausbricht. "Ja ich will. Du bist echt und in jeglicher Hinsicht ein entzückender Umgang", erwidere ich in demselben Tonfall, bevor ich einen Kugelschreiber aus meiner Jackentasche ziehe und ihm meine Handynummer auf den Arm kritzel. "Schreib mir", sage ich, wir lächeln uns ein letztes Mal an, bevor wir uns umdrehen und jeder in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen.

EloiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt