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Ich spürte die Brise, die mir durch mein grobes Nachthemd fuhr, als ich über den trockenen Waldboden rannte. Der Wind peitschte meine Haare nach hinten, sodass sich ab und zu Zweige in ihnen verfingen, doch das störte mich kaum.

Ein Lachen sprudelte in meiner Brust hinauf, doch ich grinste nur. Das war Freiheit.

Es war viel zu warm dafür, dass es Nacht war, sodass ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, mein Nachthemd gegen normale Kleidung umzutauschen. Morgen würde ich es so oder so waschen, sobald meine Eltern auf die Farm gingen, und keiner würde je etwas bemerken.

Ich sah den alten verkohlten Baum lange bevor ich ihn sah. Natürlich - er hatte sich mit seiner schmächtigen Figur halb dahinter verborgen und stand mucksmäuschenstill dar. Seine Kleidung war dunkel, und hätte ich nicht gewusst, dass er kommen würde, hätte ich ihn nie gesehen.

Wie zu erwarten von einem Jäger.

Mein Lächeln verschwand aus meinem Gesicht, als ich seine verschränkten Arme und die grimmige Miene sah, die er zur Schau trug. Ich kam schlitternd einen halben Meter vor ihm zum Stehen und legte fragend den Kopf schief.

"Du trampelst wie eine Horde Wildschweine über den Boden.", sagte er kühl, ohne mich anzusehen, und stieß sich vom Baum ab. Ich blinzelte verwirrt. Nicht, über die Bemerkung - die schien fast jeden zweiten Tag zu seiner Standardbegrüßung zu gehören - sondern über seinen Tonfall.

"Ich renne wie eine Katze durch den Wald, Klyde. Auf der Lauerrr", das letzte knurrte ich spielerisch und rempelte ihn von hinten an. Dabei ließ ich geschickt sein kleines Messer mitgehen, das er an der Hüfte trug.

Er seufzte, und der Anflug eines Lächelns erschien auf seinen Lippen. "Hör auf zu spielen, Miezekätzchen. Sonst verletzt du dich noch."

Er streckte fordernd die Hand aus, in die ich ihm mit beleidigt gespitzten Lippen das Messer legte.

Tatsächlich hatte ich ihm einen Teil der Anspannung nehmen können. Doch hier lauerten keine Gefahren - vor allem nicht nachts, nachdem der Bezirk in nächtliche Ruhe verfallen war. An diesen Tagen konnte er loslassen.

"Und, was machen wir heute?", fragte ich vielleicht ein wenig zu eifrig, und drehte mich wie eine Tänzerin, mit ausgestreckten Armen. Nur knapp entwich ich einem Baumstamm, und zog meine Hände ruckartig zurück an meinen Körper. Ich tollpatsch.

Klyde holte den Bogen von seinem Rücken. Natürlich - heute war Montag, also Bogenschießen.

Wir gingen ein wenig weiter in den Wald hinein und kamen zu unserem Schießplatz. Eigentlich war es wie jeder andere Platz, aber eines Tages beschloss ich, dass es den Zweck erfüllen sollte, und seitdem war es so. Ohne weiteres.

Ich war natürlich nicht halb so gut wie er. Meine Pfeile trafen ihr Ziel, sogar recht genau, aber sie blieben einfach nur stecken, während seine regelrecht in das Ziel versanken. Er war schmächtig, doch seine Arme trainiert vom lebenslangen Bogenschießen. Er stimmte seinen Atem, seinen Herzschlag, auf den einen Schuss ab. Er behielt die Körperspannung und zielte. Er schoss. Und traf.

Ich beobachtete jedes Mal seine sehnigen Arme. Ich hätte ihn nie für einen Jäger gehalten, würde ich ihn nicht schon ewig kennen.

Seit einiger Zeit versuchten wir es mit beweglichen Zielscheiben. Diese hingen an Bäumen, mit einem Seil befestigt, und es passierte noch viel zu oft, dass einer meiner Pfeile daran vorbeisauste. Noch schwieriger war es, sich zu merken, wo die Pfeile hinflogen, um sie später wieder aufzuheben.

Als wieder ein Pfeil das Ziel knapp verfehlte seufzte ich und senkte den Bogen. Er war zu groß für mich, aber ich kam damit klar. Schließlich gehörte er nicht mir.

Catch Me If You CanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt