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Wir gaben uns keine Mühe, auf Montag zu warten. Ohne uns abzusprechen fanden wir uns am Freitag bei unserem verkohlten Baum wieder. Schon den ganzen Tag im Bildungszentrum hatte ich mich gefragt, ob er auch kommen würde - doch meine Zweifel schwanden, sobald ich ihn dort stehen sah.

Heute hatte ich nicht mein Nachthemd an, sondern die einfache Arbeitskleidung eines Bauern, die ich meiner Mutter geklaut hatte. Sie war mir ein wenig zu weit, aber damit konnte ich leben.

"Hast du heute nicht Schicht?", fragte ich den Jäger. Er sah müde aus, als hätte er gestern kaum geschlafen.

Ich kannte den Grund, wieso wir uns nur Montags und Donnerstags sehen konnten. An allen anderen Tagen hatte er seine Schicht als Wächter abzulegen. Das hatte erst dazu geführt, dass wir uns kennenlernten - an dem Tag, an dem ich den Baum abfackelte.

Ich ließ meine Hand über die verkohlte Rinde fahren, während ich auf seine Antwort wartete.

"Hab mich in den Bereich zuteilen lassen", seufzte er und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Lautlos kam er auf mich zu und nahm mich in seine Arme.

Bei ihm war ich geborgen. Er hatte mich nie aufgrund meines Feuers gefürchtet, wie es wohl meine Eltern tun würden, wüssten sie davon. Er hatte mich nie abgewiesen, mir illegal das Kriegerdasein nahegebracht. Eine Frau im Außenring sollte nicht kämpfen, aber ich kämpfte viel zu gern mit Klyde.

Er war der große Bruder, den ich nie hatte. Der beste Freund, mit dem ich herumalbern konnte. Er war unersetzlich für mich, und nun mussten wir beide gehen.

"Dir bleibt mehr Zeit als mir", seufzte ich.

"Ich frage mich, wie sie mit so vielen von euch klarkommen werden. Sie müssen drei Jahrgänge einsammeln.", spinnte er eines unserer berühmten 'wir-sprechen-alles-aus-was-uns-in-den-Sinn-kommt'-Gespräche weiter.

"Ich will nicht dass du in den Krieg ziehst."

"Ich hoffe inständig du bekommst einen Partner, der auf dich aufpasst."

"Dein Bruder wird dich vermissen..."

"Ich werde dich vermissen."

"Ich dich auch", flüsterte ich und legte meinen Kopf auf seine Brust. Meinen Augen entrann eine Träne, die in seiner Wächteruniform versickerte.

In dem Moment öffnete der Himmel seine Schleusen. Seit Donnerstag lagen die düsteren Wolken über dem Bezirk und hielten die Sommerhitze auf dem Boden. Der Regen war lauwarm, und es wurde innerhalb von wenigen Sekunden zu einem heftigen Sturm, wie er auch in meinem Herzen tobte.

Es wäre das letzte Mal für lange Zeit, dass ich ihn sah... wenn nicht für immer. Und auch wenn wir beide jemals zueinander finden würden, so wären wir nicht mehr dieselben.

Die Welt dreht sich weiter, müssten wir beide feststellen, und wüssten nicht, ob uns ein Fremder gegenüberstand.

Ich krallte mich fester an Klyde und ließ meinen Tränen freien Lauf, sodass sie sich mit dem Regen vermischten.

Als wir uns zögerlich voneinander lösten waren wir klatschnass. Klyde zögerte, und ich wusste, was nun kommen würde.

"Kannst du... kannst du es wieder tun? Ein letztes Mal?", sagte er zögerlich, und seine Stimme ging fast im Geräusch des Regens über uns in den Bäumen unter, obwohl es schwächer zu werden schien.

Ich atmete tief ein und wieder aus, dann ließ ich die Flamme auf meiner Handfläche erscheinen. Der Regen, der in die Nähe kam, verdampfte, und die Flamme züngelte, um so viele Tropfen wie möglich zu erwischen.

Man hätte fast meinen können, sie besäße ein Eigenleben.

~○~

Während die beiden im Wald ihre Zeit verbrachten, um sich voneinander zu verabschieden, herrschten unter den Wassermagiern heftige Diskussionen. Sie betrachteten den Regen, bündelten ihre Kräfte, um ihn aufzuhalten, doch nichts geschah. Es schien, als würde er ihnen nicht mehr gehorchen wollen - doch das war unmöglich, schließlich beherrschten sie das Wasser.

"Irgendetwas läuft aus dem Ruder", murmelte ein etwas älterer Mann unter ihnen, der an einem großen Fenster stand.

Ein etwas jüngerer Mann hatte sich zu ihm gesellt und nickte. "Ich bezweifle, dass es eines der anderen Städte ist. Auch wenn sich Lamia gerüstet hat ist es längst nicht bereit. Es müsste eine geheime Waffe sein, die hier am Werk ist, ein Magier, der tatsächlich..."

Er sprach nicht weiter, doch das brauchte er nicht, denn der ältere führte den Gedanken fort. "... der tatsächlich nicht nur die Elemente beherrscht, sondern sie besitzt. Die Ausmaße dessen könnten..."

Ziemlich katastrophal sein...

~○~

Ein kurzes Kapitel für meine Verhältnisse, aber da ich mich heute wirklich drangesetzt habe habt ihr einiges zu lesen :)

Bells

Catch Me If You CanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt