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Es war so weit. Ich hatte mich gestern von all meinen Freunden verabschiedet, wie sie sich von mir, falls wir jemanden verlieren würden.

Meine Eltern waren gestern früh von der Arbeit heimgekommen und wir hatten den Abend gemeinsam verbracht. Und auch heute wichen sie mir nicht von der Seite.

Mein Vater war zu still, stiller als sonst, und verbarg sich hinter einem Buch, von dem er noch keine einzige Seite bisher umgeblättert hatte. Ab und zu warf er mir einen Blick zu wenn er dachte, ich sähe es nicht.

Meine Mutter hingegen lachte viel. Schrill. Sie beschloss, mir bei meinen Armbändern zu helfen, und so zeigte ich ihr einige Sachen - vielleicht könnte sie ja die nächsten Wochenenden damit verbringen, diese kleine Tätigkeit von mir weiterzuführen.

Also saßen wir da, im winzigen Wohnzimmer unserer drei-zimmer-Wohnung und hofften und bangten, dass keiner vorbeikommen würde, um mich abzuholen.

Ich wusste es besser als sie. Ich hoffte nur auf die nächste Minute. Nur noch eine einzige Minute...

Wie nicht anders zu erwarten kamen sie. Es klingelte, und das Armband, das meine Mutter in der Hand hielt, fiel zu Boden.

Vater klappte das Buch zu und legte es ab. Sein Blick durchdrang mich, doch ich wandte den Kopf ab und lief zur Tür. Mein Schritt war selbstsicher, und ich zögerte nur eine winzige Sekunde, bevor ich die Tür entriegelte und den Kopf hob.

Ich wusste, noch bevor ich seine Augen sah, dass es der Mann von der Bezirksversammlung war. Er war groß und breit, dass er den gesamten Türrahmen ausfüllte. Sein Blick war grimmig, und seine Stimme glich eher einem Knurren.

"Du hast zwei Minuten, um dich von deinen Eltern zu verabschieden und aus dem Haus zu kommen. Fluchtversuche sind unmöglich, versuch es gar nicht erst, Ruby Hallsteyn."

Mit diesen Worten drehte er sich um und lief hinaus. Ich schloss ohne weiteres die Tür und hörte in meinem Kopf die Sekunden verstreichen.

Völlig geschockt stand meine Mutter hinter mir. Ich nahm sie in die Arme und ließ sie weinen. Mein Vater umschloss uns beide mit seinen breiten Bauerspranken, und schloss voller Schmerz die Augen.

Es dauerte nicht lang, bevor die Zeit verstrichen war. "Ruby!", erinnerte uns der Schrank von vorhin - netterweise - daran.

Ich lächelte meinen Eltern zu. Ich war stark. Ich hatte zwar keine Ahnung, was mich erwartete, aber ich trat dem Unbekannten mit dem Stolz einer Kämpferin entgegen.

Draußen erwartete mich ein Bus. Die Leute aus meinem Bezirk gafften schon aus jedem Fenster und jeder Gasse. Hey, die meisten hier konnten sich glücklich schätzen, wenn sie einen Esel besaßen, und das hier war ein waschechtes Fahrzeug. Cool.

Ich stieg durch die Tür, die mir der Typ aufhielt, und sah in mindestens fünfzehn verschreckte Gesichter.

Unser grauer Bus sammelte immer mehr Leute ein. Alle stiegen mit verquollenen Augen oder grimmigen Mienen ein, und keiner sagte ein Wort. Keiner schien sich zu kennen.

Wir blieben immer in meinem oder in den beiden angrenzenden Bezirken, sodass ich ungefähr immer wusste, wo wir uns befanden. Ich machte mir schon Sorgen um meine Eltern. Wie kamen sie mit dem nun leeren Haus klar? Kein Kind mehr bei sich zu haben? Gewiss hofften sie, dass ich nur eine niedere Gabe besaß udn zurückkehren würde...

Auf einmal stieg eine bekannte Person in den Bus. Ich riss die Augen auf, als Maxon mit zusammengekniffenen Lippen hineinstampfte. Nach dem, was jedoch auf dem Bezirksplatz geschehen war, war es jedoch keine allzu große Überraschung. Seine Züge wurden sofort weicher, als er mich erblickte, und er setzte sich ohne weiteres auf den Platz neben mir.

Catch Me If You CanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt