Adelsmasken

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Hinter der Bühne war es Dunkel, durch einige Ritzen bohrten sich Lichtstreifen in die stickige Finsternis und erhaschten hier und da ein Gesicht oder Kleidungsstück. Ich hörte wie sich die Sitzreihen langsam füllten, alles in gesitteter Stille. Mein Herz klopfte gegen meine Rippen. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich vor einem Auftritt das letzte Mal so Atemlos gewesen war.
Aduke stand neben mir, die Arme um den Körper geschlungen. Ein wenig Licht erhellte das harte Blau seiner Augen unter der Maske. Seine Lippen zuckten nervös und ich wandte mich um, um ebenfalls das Treiben hinter dem Vorhang beobachten zu können.

Sobald sich auf der Bühne die erste Gelegenheit bot, spähte ich hinüber zu den EhrenPlätzen. Den Hausherren erkannte ich sofort an seinen reichen Kleidern. Neben ihm verbarg eine zierliche Frau ihr Gesicht hinter einem Fächer und neben dieser saß ein vielleicht vier jähriges Mädchen. Steif und starr wie eine Puppe, verschwand sie beinahe im Prunk ihrer Stoffe. Mein Herz zog sich für einen Moment zusammen. Das Stück war keinesfalls für Kinder diesen Alters ausgelegt. Zu viele Duelle und hinterhältige Morde. Sollte dieses Kind über unser Schicksal entscheiden?

Die Vorstellung war schon weit voran geschritten, ich dankte gerade mit meiner Schwester dem würdevollen Krieger, alias Shinju, der uns vor dem puren Bösen, Nova, gerettet hatte und Bruno, der Geschichtenerzähler kommentierte uns fleißig. Wir waren in unseren Rollen verloren gegangen und die verschwommenen Gesichter der Zuschauer waren weit fort. Nova, das Böse betrat, zum Entsetzen der Prinzessinnen erneut die Bühne, wuchtete sich schwerfällig am Türrahmen hoch und zog sein Schwert. Ich stutzte einen Moment. Nova's Gesicht war Schweiß überströmt und sein Blick wirkte fiebrig. Steigerte er sich derart in seine Rolle hinein? Es fühlte sich nicht richtig an.
Der tapfere Krieger stellte sich ihm mutig entgegen, doch der Bösewicht erreichte ihn nicht mehr.

Er viel nach vorn und begann sich hustend auf dem Boden zu krümmen.
Das gehörte nicht zum Plan.
Was war los?
Die Angst kroch mir den Nacken hinauf, wie eine bösartige Schlange. Shinju stand immer noch mit erhobenem Schwert auf der Bühne und forderte seinen Gegner mit Wut in der Stimme auf sich zu erheben. Auch er hielt sich notgedrungen nicht mehr an den Text. Ich stürmte vor und stellte mich zwischen den Krieger und den Feind, spielte die barmherzige Prinzessin weiter, so gut ich konnte. "Nicht! Er liegt doch bereits am Boden!" Shinju fixierte mich entschlossen. Aus seinen Augen sprach Dankbarkeit. "Tretet bei Seite, Prinzessin! Er verdient den Tod." Eine Hand schloss sich um meinen Fußknöchel und als ich herum fuhr blickte Nova zu mir auf. "Beiseite Frau!" Seine Stimme drohte zu brechen und mein Herz stolperte. Sein Kinn war Blut verschmiert und seine Haut grau unter der Schminke. Was hat er?Ich trat zur Seite und versteckte mich wieder hinter meiner Schwester. Wir mussten das Stück über die Bühne kriegen. Irgendwie.

Der Kampf war kürzer als sonst und bald stand der Krieger als Sieger da und das Licht erlosch. Aduke und ich huschten so leise wie möglich zu Nova und zerrten ihn von der Bühne, während die Abschlusszene aufgebaut wurde. Wir lehnten ihn gegen eine Wand, wo er keuchend zusammensackte. "Was ist los mit dir?!" Zischte Vitago. Er war hinter uns aus der Dunkelheit aufgetaucht, die Schminke blich seine Züge aus, als wäre er ein Geist. "Verdammter! Du sollst hier nicht den Helden spielen!" Er schlug Nova in's Gesicht und wir zuckten alle drei zusammen. "Wisch das weg, du musst dich noch verbeugen. Wir reden später!" Zischte er, warf ihm ein Tuch vor die Füße und verschwand. Wir schwiegen beklommen, Nova's rasselnder Atem war das einzige in der Stille, die uns wie eine Wolke von dem Knarren der Bühnenbretter, Bruno's entfernter Stimme und dem leisen Scharren der Requisiten die von der Bühne geräumt wurden, abschnitt.
Alles wirkte unecht, wie in einem Alptraum. Einem den ich schon zu oft durchlebt hatte. Mein Herz fühlte sich taub an, die alte Angst hatte es gefressen. "Schaffst du es nochmal auf die Bühne?" Fragte Audke vorsichtig. Nova schüttelte den Kopf und ich konnte deutlich das Rasseln in seiner Brust hören, als es ihn erneut schüttelte. "Hast du das schon länger?" Ich löste mich aus meiner Starre, hob das Tuch auf und wischte ihm das im Dunkeln schwarze Blut vom Kinn, doch er schlug meine Hand weg. "Verbeugen." Wies er uns an und schupste uns kraftlos Richtung Vorhang. Widerwillig gesellten wir uns zu den anderen, die schon auf Bruno's letzte Worte warteten. "Wie geht's ihm?" Fragte Tesu flüsternd. Seine Augen suchten besorgt unsere Minen ab. Ich schüttelte den Kopf und schob ihn hinter seinem jüngeren Bruder her, der in diesem Moment den Vorhang beiseite schob und in das Licht der Scheinwerfer hinaus trat.
Es herrschte Stille. Das klägliche Knarzen der Dielen war das einzige Geräusch. Irgendwo gedämpftes Husten.
In meinen Ohren rauschte es. Als wir uns vorne am Bühnenrand in einer Reihe aufstellten und uns verbeugten, begann das Publikum endlich zu applaudieren. Nicht besonders laut, Pfiffe oder Rufe blieben aus und Shinju schienen sie zu schmähen. Weil er den Bösewicht im Sterben zum Kampf heraus gefordert hatte? Mein Blick glitt über die Gesichter der Anwesenden. Ihrem Erscheinungsbild konnte man keinerlei Begeisterung ablesen, aber da ich auch keine gelangweilten Minen entdeckte, redete ich mir zu, dass es sich um die Zurückhaltung des Adels handelte. Merkwürdig, als wären sie die Schauspieler und nicht wir. Die wenigen Kinder die ich entdecken konnte, saßen ebenfalls ruhig und klatschten artig. Die Masken des Adels. Machte es Spaß, sich immer benehmen zu müssen?
Mein Blick suchte nach dem Mädchen, doch sie schien fort zu sein.
Ich runzelte irritiert die Stirn, war sie aus Missfallen gegangen ?

Nun stand es nicht mehr in unserer Macht, wie auch immer der Adel entscheiden würde, wir würden es nicht mehr beeinflussen können. Meine Sorge galt jetzt vor allem Nova. Sein schlechter Zustand machte mir Angst, denn Krankheit war etwas, was ich mehr als alles andere hasste und fürchtete. Das Gefühl, nichts tun zu können, um den Menschen die man
liebte zu Hilfe zu kommen... Nichts, was ich ein weiteres Mal erleben wollte. Ich spürte, wie die kalte Angst sich im hintersten Winkel meiner Erinnerung zu regen begann. Es durfte sich nicht wiederholen, auf gar keinen Fall.

Das Maskenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt