Blinde Scherben

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Meine Nackenhaare richteten sich auf.

Fauliger Geruch stieg mir in die Nase. Ein Stöhnen echote durch den Raum. Schwarzer schlieriger Rauch waberte in der Luft. Die Kleider bauschten sich und versuchten zuckend von den Bügeln los zu kommen. Ich wich zurück. Trat dabei auf den Puppenkörper, der ein grässliches quietschen von sich gab und sich zu winden begann. Es konnte nicht wirklich sein. Es konnte einfach nicht. Ich taumelte und stürzte in die sich bauschenden Kleider. Lebendiger Stoff.  Die Zeit schien sich in die Länge zu ziehen und den Raum zu biegen. Ich wollte schreien, doch ich war wie erstarrt. Eine schleimige Schliere streifte mein Gesicht und es war, als tauche sie in meine Seele.
Schwarz.
Ich sah nur noch Schwärze und das Entsetzen überfiel mich aus dem Hinterhalt.

Denn ich sah sie.

Sie.

Langsam, unendlich langsam drehte sie sich um. Verzerrte Umrisse. Und ich wusste plötzlich , dass mich ihr Blick niemals treffen durfte, um gar keinen Preis. Wie gelähmt starrte ich sie an. Nein! Nicht! Greller Schmerz ließ ihr Bild splittern. Tausend Splitter, in denen sich mein Gesicht brach. Nur war es nicht mein Gesicht. Es war ihres.
Mein rechtes Auge pochte heftig und die Umrisse von allem im Raum verdreifachten sich, ehe alles wieder von der Dunkelheit verschluckt wurde und mich allein ließ mit dem Spiegel. Durchzogen von Rissen und langsam immer weiter ausgefüllt vom Weiß meines blinden Blickes.
Blindlings rappelte ich mich auf und entkam dem Stoff. Ich lief einige Schritte und prallte gegen die Wand. Polternd riss ich etwas mit dem Ellenbogen herunter. Wo war die Tür, verdammt? Der Schmerz ließ mich die Handballen auf die Augen pressen und ich rutschte an der Wand hinunter. Die Dunkelheit wurde vor meinem inneren Auge dichter und ich merkte, wie mir die Wirklichkeit entglitt.

"He! Wach auf, Fujin!" Ich blinzelte benommen. Bolivias Gesicht schwebte über mir. Ihre Konturen waren verschwommen. Augen zu, Augen auf. Langsam wurde die Umgebung scharf und ich sah mich um. Der Wagen war verwüstet. Die Kleider waren von den Stangen gerissen, Masken, Requisiten und dazwischen verteilt die blinden Scherben des Spiegels. Blind? Warum sind die Scherben weiß?
Zu allem Überfluss hätte ich im fallen zwei der kostbaren Marionetten heruntergerissen.
Aduke und Kaito knieten auf dem Boden und versuchten sie wieder zu entwirren. Sie sahen auf, als ich mich aufrichtete. "Was ist passiert?" Fragte Kaito und ich zuckte innerlich zusammen, als ich neben seiner Besorgnis auch eine neue Aufmerksamkeit in seinem Blick las. War das Misstrauen? Gleichzeitig begriff ich, was sie vorgefunden haben mussten. Das, was auch immer es gewesen war, war fort und ich war die einzig naheliegende Antwort auf dieses Chaos. "Wir haben dich schreien gehört." Bolivia wippte auf den Fußballen vor und zurück. An den Blicken der Jungen konnte ich erkennen, dass sie das eigentlich nicht hatten erwähnen wollen. Doch etwas anderes beschäftigte mich mehr. Vorsichtig blickte ich in die Ecke, in der es gehockt hatte. Ein Schauer kroch meinen Rücken hinunter. Was war hier passiert?
"Ich gehe raus." Murmelte ich hastig und verließ den Wagen, denn ich hielt es in dem bedrohlichen Halbdunkel keine Sekunde länger aus.

Das Pflaster war nass vom Regen und Pfützen spiegelten das frisch gewaschene Blau des Himmels. Was ist passiert? Was war dieses...Etwas? Ich erschauerte.
Die Anderen waren nicht zu sehen, worüber ich in diesem Moment froh war. Das Pferd stand an die Deichsel gebunden und döste, das Fell dunkel vom Regen.
Der kleine Platz war kaum belebt. Ich ging auf die nächst größere Straße zu, immer dem Lärm folgend, den das Herz der Stadt verkündete, denn ich musste mich ablenken und meine Gedanken von dem Alptraum abbringen, der mir im Nacken saß.

Die Stadtmitte war noch genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte. Laut, voll, unübersichtlich. Der gigantische Marktplatz, der sich in mehreren Abstufungen an den Hang schmiegte war schon von weitem zu orten. Das Geschrei und der riesige Dom wiesen jedem Fremden den Weg. Trotzdem ich diesmal vorbereitet war, erschlug mich der Anblick.
So anstrengend der Marsch durch die Stadt der steilen Straßen auch war, es lohnte sich. Ich kam ganz oben an dem höchstgelegensten Teil des Platzes heraus. Unter mir klebte die Stadt an den Felsen und dahinter öffnete sich die Ebene bis zum Horizont. Der Dom schlug gerade drei Uhr und sein tiefer Ton ging durch Mark und Bein. Die bereits schrägen Sonnenstrahlen ließen alles in Fassetten reichen Abstufungen von Licht und Schatten erscheinen. Es war so wunderschön.
Ein Karrenfahrer brüllte mich von hinten an den Weg frei zu machen und der Moment entglitt mir. Ich musste ein Grinsen unterdrücken. Vielleicht wurde man ja blind für diese Schönheit, wenn man sie jeden Tag zu Gesicht bekam.
Ich streifte zwischen den Ständen umher, bis es dunkel wurde. Fackeln und Öllampen erhellten nun die Stände. Taschenspieler, Wahrsagerinnen, Bettler, Bauern, die ihre Ernte priesen, Fischer, deren Wahre noch der Geruch des Meeres anhaftete, Kaufmänner, Spinner, Stickerinnen, Gewürzhändler, Schmuckverkäufer und Fleischer. Der fremde Geruch von Muskat und Weihrauch mischte sich mit dem Gestank, der aus den Fässern der Färber aufstieg.
Stunde um Stunde lief ich ziellos durch die überfüllten Gassen zwischen den Ständen, durchstreifte den gesamten oberen Teil des Marktes und kam schließlich mit müden Beinen wieder am Fuße des Doms an, dessen Treppe mit hunderten von Lichtern geschmückt worden war. Ich ließ mich auf den Stufen nieder und sah über das Meer aus tanzenden Flammen und Fackeln, das das kalte Brennen der Sterne zu spiegeln schienen. Die Gasthäuser am Rand des Platzes hatten nun geöffnet und ermüdete Reisende und Bürger drängten sich um die schweren Eichenholztische. Langsam leerten sich die Stände und die Händler wichen dem Nachtleben der Stadt.

Ein Feuerspucker hatte eine Gruppe von Schaulustigen um sich gescharrt und spie Flammen über die sich duckenden Hüte.
Eine gebeugte Frau schob einen Leierkasten vor sich her, blieb alle paar Schritte stehen und ließ eine gespenstische schöne Musik erklingen. Eine kleine Laterne erhellte ihr zerfurchtes Gesicht. Als sie näher kam hörte ich, dass sie in den Pausen beim Gehen sang. Ich kannte die Sprache nicht. Sie klang dunkel und zugleich wie das Singen einer Nachtigall, ebenso wundervoll, wie ihre Leier. Sie war nur noch vier Schritt von mir entfernt, als sie stehen blieb. Doch sie spielte keine weitere Melodie, ließ die Töne langsam ausklingen, dann hob sie langsam den Kopf und sah mich an. Das Licht beleuchtete ihre Züge von unten, wie tausend feine Risse durchzogen die Falten ihr Antlitz und eine ungewöhnliche Aura umgab sie. Ihr Blick ruhe auf mir, grau und leer. Sie war blind.
Ich zuckte ein wenig zusammen, als sie den Leierkasten wieder anklingen ließ und zu summen begann. Die Alte wiegte den Kopf kaum merklich im Takt der Musik und ein leises Lächeln verzog ihre Mundwinkel. Die blinden Augen glitten ab von mir und sie humpelte weiter. Ich bildete mir ein, dass etwas an der Art wie sie nun sang anders war, als zuvor. Seltsamer Weise dachte ich in diesem Moment an das adelige junge Mädchen, was ich bei unserer missglückten Aufführung gesehen hatte.
Lange blickte ich der Frau noch nach, bevor ich mich schließlich durch die dunklen Gassen auf den Weg zurück machte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 19, 2017 ⏰

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