Aufbruch

36 7 7
                                    

Früh am Morgen haben wir die Stadt verlassen und sind nach Westen aufgebrochen. Wie Diebe, verstohlen, ohne unsere Gastgeber etwas wissen zu lassen. Am Horizont in unserem Rücken erhebt sich die junge Sonne, kraftvoll steigt sie hinauf und drängt den Nebel über das Meer zurück, das weit im Westen liegt. Das Wetter meint es gut und das noch zaghafte Zwitschern der Vögel begleitet uns. Ich schaue dem Tag beim erwachen zu, während ich in einigem Abstand hinter dem Wagen herlaufe.
Der Himmel färbt sich erst rosa, darauf gelb und die Wolkenränder beginnen zu brennen. Ein wahnsinnig schöner Tag kündigt sich an. Bolivia läuft neben dem Pferd, die kleine Hand auf die Flanke des riesigen Braunen gelegt und hüpfend, als hätte sie alles Übel der Welt hinter sich gelassen. Auch ich bin froh, wieder unterwegs zu sein und meine Stimmung hebt sich, während ich mich rückwärts laufend und von der Stadt entferne, die uns Unglück brachte. Die dunkle Stimmung im Wagen ist schuld, an meinem Morgenspaziergang, denn ich kann die enttäuschten, wütenden und ängstlichen Blicke der Anderen nicht länger ertragen. Ich atme tief ein und vertreibe damit die Enge in meinem Herzen für einen Augenblick. Vitago hüllt sich seit unserem Aufbruch in Schweigen, die Schatten unter seinen Augen sprechen ihre eigene Sprache.
Bolivia's helle Stimme durchbricht die klare Luft. Sie singt sehr schön, in einer Sprache, die mir nicht bekannt ist und ich bin mir fast sicher, dass sie die Bedeutung der Worte eben so wenig kennt. Das Mädchen fühlt sich nur auf den Reisen von einer Stadt in die Nächste richtig lebendig und frei. Oder ist es mein eigenes Gefühl?

Ein älterer Mann kommt uns mit seinem schwer beladenen Esel entgegen. Er geht gebückt und stützt sich auf einen Stock. Ich frage mich, wann er aufgebrochen sein muss, wenn er schon so früh am Tag so weit von der Stadt entfernt ist. Wir grüßen uns höflich und ziehen weiter, jeder seinem eigenen Ziel entgegen.

Gegen Mittag legen wir eine Pause ein um dem Braunen etwas Ruhe zu gönnen.
Erst am frühen Abend erreichen wir eine Herberge. Über Tag sind uns viele Händler und Reisende begegnet, doch ich erinnere mich immer noch an den Greisen mit seinem Esel. Er muss entweder die ganze Nacht gelaufen sein, oder aber am Straßenrand genächtigt haben. Nicht ungefährlich für einen Händler. Noch dazu in diesem gebrechlichen Alter.
Nach dem wir unsere Vorräte an Korn, Brot und Wasser gegen einige Silbermünzen eingetauscht haben, versammeln wir uns wieder im Wagen. Nach dem der Wirt erfuhr, dass wir nicht in seinem Haus nächtigen würden, hatte das Heu für den Braunen gleich doppelt so viel gekostet und die Freundlichkeit war aus seinem teigigen Gesicht gewichen. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte er uns hinterher geflucht.
Fahrendes Volk. Vertrieben und anderswo sehnsüchtig erwartet. Der Widerspruch unserer Künstlerarbeit. Wir saßen um das Feuer, auf dem Boden und schlürften aus Schüsseln unsere Suppe. Die erschöpfte Ruhe eines langen Tages, begleitet vom knistern und knacken der Glut. Niemand sprach, alle schienen in Gedanken versunken. In den verschleierten Blicken tanzte das Feuer und selbst dann noch blieben wir still, als auch der Letzte seine Schüssel auf den Boden gestellt hatte.
Als am Himmel die ersten Sterne, wie verlorene silberne Splitter aufleuchteten und Bolivia zusammen gerollt auf meinem Schoß  schlief erwachte Tetsu aus seiner Starre, steckte sich und kramte seine Maultrommel aus einem Beutel an seinem Gürtel. Während Nova demonstrativ aufstand und im Wagen verschwand, begann er leise zu spielen. Die Melodie sprang auf uns andere über und während ich zu dem Flimmern des Abendsterns hinauf sah, stimmten wir summend, bald singend mit ein.
Es war eine laue Nacht und der Himmel war klar, sodass die meisten von uns draußen blieben.
Und als Tetsu das Spielen aufgab, war ich schon längst eingeschlafen.

In dieser Nacht kamen die Träume. Schattenhafte Wesen, mit Masken die mich mit grausigen Fratzen auszulachenden schienen. Und eine Gestalt, am Ende eines schwarz, weiß gefliesten Ganges. Dunkelheit waberte um sie, sodass ich nicht erkennen konnte, wo die Finsternis begann und das wallende Gewand der Gestalt endete. Schwarzes Haar waberte um gespenstisch weiße Schultern und ein hohles Lachen echote zwischen den engen Wänden auf mich zu. Da war noch etwas, in der Schwärze, doch die Szene war unscharf und verschwamm immer mehr, bis sie in Nebel verschwand und sich in die finsterste Ecke meines Bewusstseins zurück zog. Nur das Lachen blieb, durchwanderte meinen ruhigen Schlaf und hallte in den Korridoren meiner Träume wieder.

~~~~~~~
Hey! Danke an alle, die bis hier her gelesen haben. Ich hoffe euch gefällt die Geschichte und schreibt mir gern wie ihr sie bis jetzt findet, was ihr nicht versteht, was ihr gut findet, oder so.
Dankeee
Eure Nebelfuchs ;)

Das Maskenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt