Krankheit, Stolz und Wut

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In dieser Nacht schlief ich schlecht, träumte wirres Zeug aus der Gegenwart, versponnen mit den Fäden der Vergangenheit und mit Dingen verknotet, die wohl nicht der Wirklichkeit entsprachen. Immer wieder war ich kurz davor, in die Wirklichkeit zu gleiten, schlief jedoch wieder ein. Ich erwachte erst tatsächlich, als die Tür sich knarrend öffnete.
Jemand betrat die Schlafkammer und ließ sich schwerfällig auf die Matten plumpsen. Kurze Unruhe, einiges an ungelenkem Rascheln und in der darauf folgende Stille, unregelmäßiger Atem. Ich drehte mich herum und erblickte sein Profil, welches sich schwach vor der Dunkelheit abhob. Ein winziger Lichtschimmer spiegelte sich in seinen Augen, die blind gegen die niedrige Decke starrten. "Geht es dir besser?" Fragte ich vorsichtig flüsternd. Nova schloss die Lieder und sein Atem wurde langsam ruhiger. Dennoch war ich mir sicher, dass er nicht schlief. Ich unterdrückte ein Seufzen. Wem half er mit seiner abweisenden Art? Konnte er denn garnicht verstehen, dass wir uns um ihn sorgten? Wohl nicht, sonst würde er uns erzählen was es mit seinem Bluthusten auf sich hatte. Es sei denn... nein. Nein, darüber durfte ich nicht nachdenken.

Ich wälzte mich eine Weile hin und her, bis meine dunklen Gedanken nach und nach träge wurden, zu kreisen begannen und sich von der realen Welt entfernten.
Farben sogen mich auf, Masken und Lichter. Lachen, schreien und ein Publikum, das aus Marionetten bestand, deren Fäden das Licht der Bühne verschlangen. Gestalten die um einander wirbelten, ob Kampf oder Tanz vermochte ich nicht zu sagen. Ich sah, wie sich Nova's langes dunkles Haar in der Bewegung zu Blut wurde und uns allen in rote Gewänder hüllte. Er wirbelte immer schneller und wir drohten in der roten Flut zu ertrinken. Da tauchten plötzlich die Marionetten auf und strecken uns helfende Hände entgegen, die jedoch alles was sie berührten mit Dunkelheit umspannen. 

Ich erwachte davon, das Bolivia über meine Beine stolperte. Stöhnend zog ich diese an den Körper und zerrte mir die Decke über den Kopf, während die Ursache meines unsanften Erwachens Entschuldigen murmelnd den Raum verließ.
Bolivia. Sie ist zwölf Jahre alt, würde ich meinen und somit die jüngste in der Truppe. Sie hat wilde dunkelblonde Locken, die noch kein mir bekanntes Mittel zu bändigen wissen. Viele halten sie für meine jüngere Schwester, eine schöne Vorstellung, denn alle meine jüngeren Geschwister sind tot geboren, oder nach der Geburt gestorben.
Sie ist sehr talentiert was das Nähen, flicken und stopfen der Kostüme angeht. Ein aufgewecktes, aber auch ängstliches Mädchen.
Nova wälzt sich fluchend aus den Decken und verschwindet ebenfalls. Es ist ungewöhnlich, dass er zu dieser Zeit noch nicht aus den Federn ist. Aduke, der von alldem nichts mitbekommen hat, schläft wie ein Kleinkind, während Tetsu und Kaito sich einigermaßen übermüdet aus ihren Betten schälen und in ihre Schuhe schlüpfen. Sie sehen sich sehr ähnlich mit ihrem etwas krausen braunem Haar und den graugrünen Augen, Tetsu ist jedoch deutlich kräftiger und auch größer gebaut als sein Bruder, der fast schmächtig zu nennen ist. Kaito ist sehr anfällig für Krankheiten und so oft an sein Bett gebunden. Die beiden hängen sehr aneinander.

Ich mag es nicht die Letzte zu sein, die aufsteht und vielleicht haben wir ja schon Nachricht, ob das Stück gefallen gefunden hat. Also rapple ich mich mit müden Augen hoch. Vor der Tür schlüpfe ich in meine abgetragen Lederstiefel, mehr muss ich nicht anziehen, da ich immer mit meinen Kleidern schlafe. Ein Hemd mit weiten Ärmeln, die an den Handgelenken mit Bündchen zusammen gezogen sind, eine fast knielange Tunika, von einem Gürtel zusammen gehalten. Darunter eine weite Hose aus grobem Stoff. Nicht schön, aber tauglich.

Die anderen haben die Schminktische in der Halle zusammen geschoben und das Frühstück, das die Bediensteten des Hauses gebracht haben, ist über die so entstandene Tafel verteilt. Offensichtlich hat der Hausherr jedoch noch keine Nachricht geschickt, denn über dem reichlichen Mahl hängt missgestimmte Stille. Ich geselle mich zu ihnen und während ich mir Brot, Ei, Speck und Fisch auf den Porzellanteller lade, werfe ich Vitago einen verstohlenen Blick zu. Es scheint, als braue sich ein Gewitter in seinem Gesicht zusammen. Kein gutes Zeichen, doch sein Ärger scheint vor allem Nova zu gelten, den er über seine Hühnerkeule hinweg anstiert. Der übergeht das Starren geflissentlich, doch ich sehe auch in seinem Blick die Wut flackern. Hoffentlich reißt er sich am Riemen.

Als sich die Tür am anderen Ende des Raumes öffnet, drehen sich alle beinahe gleichzeitig um und Vitago gibt sein Starren auf, um dem untersetzten Mann mit dem Aufzug eines Sekretärs und einem Umschlag in den Händen, entgegen zu eilen. Er würdigt den Boten kaum eines Blickes und bricht das Siegel noch bevor er den Tisch wieder erreicht hat. Er fährt uns an sitzen zu bleiben, als wir uns um ihn scharren wollen, seine Augen zucken über die Zeilen, während wir ihn gespannt beobachten.
Langsam wurde er fahl unter seiner faltigen Haut. Die Linien um seine Mundwinkel gruben sich tiefer in sein Gesicht.
Verdammt.
"Was war der Preis? Der Preis dafür, dass wir es versuchen durften?" Platze ich heraus. Vitago's Blick irrte zu mir. Wenn ich in Reichweite gewesen wäre, hätte er mich sicher geschlagen, doch ich war es nicht und so schlug er den Tisch, so fest das die Teller sprangen. Ich versuchte nicht zusammen zu zucken und reckte das Kinn ein wenig. Er hatte es genau gesehen und ich bereute diese kleine Geste sofort. Seine Augen wurden schmal. "Woher auf einmal dieser Ungehorsam, Prinzessin?" Fragte er gefährlich ruhig. Ich biss mir auf die Unterlippe und schaute auf meinen Teller. "Ich denke es interessiert uns alle." Überrascht blickte ich zu Nova, der Vitago mit kühlem Blick anstarrte. Seine dunklen Augen hatten Feuer gefangen. Auch die anderen nickten zustimmend und hoben die Blicke vom Tisch. Vitago schien den ganzen Raum verschlingen zu wollen, als er einatmete. Eine Ader pochte an seiner Schläfe. "Was Nova? Du solltest dich am besten raushalten, ich dachte, du hättest mir gestern Abend zugehört. Ich wiederhole mich ungern, wie du weißt." Nova's Kiefer zuckte und sein Blick wurde noch eine Spur kälter. "Bist du dir sicher? Ich denke deine Fäuste wiederholen sich gerne. Nur zu, ich kann ohnehin kaum noch aufrecht gehen." Bolivia sprang vom Tisch auf und flüchtete in den Wagen. Ich hörte ihr Schluchzen, bevor sie die Tür zuknallte. Zu gern wäre ich ihr gefolgt. Nova erhob sich ebenfalls und humpelte zum Wagen. Vitago explodierte und während Bruno versuchte ihn zu beruhigen flüchteten wir nacheinander in unsere Schlafkammer. Als auch der letzte hineingeschlüpft war, schloss Kaito die Tür und schob den provisorischen Riegel vor, der kaum mehr als eine Geste gegen Vitago's Zorn war. Bolivia hatte sich in Tetsu's Armen versteckt. Die anderen saßen still beisammen und lauschten auf den Sturm, der draußen aufgezogen war, in Gestalt unseres Meisters.
"Hat er dich gestern wirklich noch verprügelt?" Richtete Shinju sein Wort schließlich an Nova. Der Angesprochene lachte bitter. "Was glaubst du denn wer daran schuld sein wird, dass wir keinen Gefallen gefunden haben?" "Aber das kann er nicht machen! Du kannst doch nichts dafür, das du krank warst." Aduke schien absichtlich "warst" zu sagen und sein fragender Blick versuchte Nova's einzufangen, der ihm jedoch keine Beachtung schenkte. Tetsu richtete sich ein wenig auf. "Nova ich verlange, dass du uns sagst, was gestern passiert ist." "Du solltest aufhören alles allein tragen zu wollen." Meldete sich Kaito zu Wort. "Wir müssen zusammenhalten." Aduke spielte mit seinen Karten, den Blick auf die Tür gerichtet, doch ich glaubte nicht, dass er sie wirklich sah. Nova schnaubte. "Was wenn ich sagen würde, dass ich in einigen Tagen an meinem Blut ersticke? Ihr könnt ja doch nichts ausrichten." Bolivia schluchzte wieder und vergrub das Gesicht an Tetsu's Schulter. "Ist es wahr?" Fragte Shinju tonlos. Nova schüttelte verärgert den Kopf. "Glaub ja nicht, dass ich vorhabe so glanzlos abzukratzen. Schon garnicht mit einem Haufen wie euch als Gesellschaft. Schön, ich hoffe ich habe mich klar ausgedrückt." Er funkelte uns der Reihe nach an, bevor er ein abgenutztes Buch unter seiner Jacke hervor zog und sich darin vertiefte, die Stirn wütend gerunzelt. Shinju seufzte, schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand.
Bedrückte Stille kehrte ein, nur unterbrochen von Bolivia's leiser werdendem Weinen, dem Rascheln der Buchseiten und den Karten, die Aduke mit den Fingern hin und her schnippte. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf die rötlichen Lichter, die hinter meinen Liedern flackerten. Das reichliche Frühstück lag mir plötzlich schwer im Magen.

Das Maskenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt