63. Kapitel

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„Eines sollte dir mal klar werden, mein Freund.“, hauche ich leise. Dann gehe ich langsam bis zum Kopfteil des Bettes. Ich beuge mich zitternd über ihn. „Chris, es gibt im Leben nur zwei Möglichkeiten. Aufgeben oder Weitermachen. Und du solltest sorgfältig und jetzt auch langsam mal für alle sichtbar eine Entscheidung fällen.“ Meine Stimme ist noch nie so sicher gewesen. „Die erste Möglichkeit ist weitermachen. Du wachst auf. Du raffst deinen bescheuerten kleinen Hintern auf und wirst mal ganz schnell wieder gesund. Du nimmst dir Zeit, aber wirst wieder. Du kämpfst und zeigst uns allen Mal, was du kannst. Dann musst du jetzt reinhauen! Dann musst du jetzt zeigen was du kannst! JETZT!“, fauche ich. So viel Gerede. Ob er mich überhaupt gehört hat? „Die andere Option ist, du gibst auf. Dann hörst du jetzt auf zu atmen und stirbst. Es gibt diese nur diese zwei Optionen. Du musst dich entscheiden. Und wenn du sterben willst, dann mach das! Ende, aus! Aber dann mach es jetzt! Stirb jetzt. Dann hör auf und stirb endlich!“, brülle ich. Das hat man bestimmt bis nach draußen gehört. Ich weine. Ich heule Rotz und Wasser. Mein kleiner Bruder. Du fehlst mir doch so sehr…

„Andreas?“, höre ich Mama. Ich richte mich auf. Ich liege neben Chris im Bett und reibe mir die Augen. „Was ist denn?“, grummle ich verschlafen. „Bist du eingeschlafen?“, fragt Mama mich überflüssigerweise. Ich sehe sie irgendwie schief an. „Keine Ahnung. Wie viel Uhr ist es denn?“ Ich reibe mir die Augen. Bin ich tatsächlich eingeschlafen? Keine Ahnung, weiß ich nicht. „Nicht spät. Nur Lene hat angerufen. Sie war total besorgt, weil du nicht an dein Handy gehst. Sie hat dich wohl sehr oft angerufen. Schließlich gab sie es auf und rief mich an. Ich ging irgendwie ran und sie fragte mich, wo du seist. Ich war total perplex, weil…“, erzählt Mama. Ich nicke. Oder so ähnlich. Irgendwie bin ich total neben der Spur. Chris!

Ich drehe mich zu ihm. „Es geht ihm gut. Es werden Untersuchungen gemacht. Es werden Tests gemacht, er wird rund um die Uhr beobachtet. Es geht ihm gut.“, sagt Mama und gegen Ende wird ihre Stimme immer leiser. Ich erhebe mich und gehe auf sie zu. „Oh, Mama. Ich liebe dich.“, hauche ich und nehme sie in den Arm. Sie erwidert meine Umarmung und drückt mich kurz. „Ich dich auch, mein Sohn. Ich liebe dich sehr und ich bin froh, dass es dich gibt.“, sagt Mama leise. Ich nicke und drücke sie fest an mich. So etwas gibt einem doch unglaublichen Halt. Wenn man sich gegenseitig stützt.

,,Glaubst du, wir sollten mal langsam nachhause fahren? Schließlich warten Lene und die Kinder.“, meint Mama und ich nicke. Ja, klar. Das wäre mal eine gute Idee. Aber ich will Chris ja auch nicht hier allein lassen. Spontan greife ich zu meiner Kette an meinen Hals. Ich spiele mit ihr und lächle. Chris trägt die gleiche Kette. Etwas was uns verbindet. Ich drehe mich zu Mama. „Ja, komm. Ich glaube es wird langsam auch sonst zu spät. Wollen wir noch etwas zu essen mitbringen? Joe hat noch auf.“, sage ich. Mama nickt und sie geht zu Chris. „Ich will noch kurz…“, flüstert sie. Ich verstehe. „Ich rufe Lene an und frage, ob wir uns bei Joe treffen wollen.“, erwidere ich. Mama neigt den Kopf. Dann verlasse ich das Zimmer.
Ich kann sie verstehen. Ich war auch allein mit Chris und es tat mir gut. Ich hole mein Handy hervor und wähle Lenes Nummer.

„Andreas?“, empfängt mich eine besorgte Stimme. Ich räuspere mich. „Ja, ich bin es.“, sage ich dann.  Komischer Anfang, wie in diesen schlechten Filmen. „Oh, Gott. Es geht dir gut. Ich habe tausend Mal versucht dich anzurufen, aber immer am deine scheiß Mailbox. Ich bin krank vor Sorge. Die Kinder machen sich auch Sorgen. Eigentlich nicht ganz, ich habe sie vor dem Fernseher geparkt. Aber trotzdem…“ Reden die alle heute so komisch? So schnell und so undeutlich? „Lene. Es geht mir gut. Wir kommen jetzt nach Hause. Möchtet ihr noch was von Joe?“, stelle ich eine wichtige Frage. Ein Durchatmen auf der anderen Seite. „Keine Ahnung. Also, wir hatten jetzt schon was zu Abend. Aber wenn ihr einfache Pizzabrötchen zum Naschen mitbringen wollt. Ich frag die Kinder kurz.“ Und weg ist sie. Ich verlagere mein Gewicht. Hunger habe ich eigentlich keinen. „Also, was zu naschen wäre gut. Aber die Kinder sind da eher auf Chips und so fixiert.“, meint Lene und ich höre an ihrer Stimme, dass sie das gar nicht mag.

Eigentlich bin ich ja für gesunde Ernährung und so. Ich würde ja auch viel Salat essen, aber…     Ich habe auch keine Ahnung. Irgendwie Lachen Süßigkeiten ein bisschen besser, als so Salat. Aber ich meine, ich ernähre mich ja nicht nur von Süßigkeiten. Nein, ich esse auch liebend gerne Fleisch. So im Sommer, Lecker Steak. Und so. Lecker. Ich kann nicht verstehen, wie Lene da Zucchini auf den Grill legen will. Wer tut so etwas? Das verletzt den Grill zu tiefst!

„Gut, dann kommen wir jetzt einfach nachhause. Mama kann auch bei uns bleiben, oder?“, frage ich. „Seit wann fragst du mich solche Dinge?“ Oh, es ist ihr aufgefallen. Ups, vielleicht mal was sagen. „Nein, tu ich nicht.“ Dumm. Einfach dumm. „Ich bin müde. Wir kommen jetzt nachhause und Mama schläft bei uns.“, sage ich und will schon auflegen, da antwortet Lene: „Soll ich ein paar Bier rauslegen? Zum Reden? Wir haben auch noch Wein da…“ Ich lache. Meine Frau. „Ich sage Mama Bescheid.“

A Long Way - Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt