Ensnarement // Capsize

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Auf der Autobahn zögerte er die Heimfahrt noch etwas hinaus, indem er an einigen Raststätten hielt und den Wagen tankte. Als er schließlich in Gießen ankam, fuhr er noch langsamer und kam dann doch noch an. Ausatmend zog er den Schlüssel aus dem Schloss und lehnte sich zurück. Seine Augen hatte er geschlossen und er versuchte, sich für das bevorstehende Dilemma zu wappnen. Vor seinem inneren Auge flackerte das Bild des Ingenieurs auf und er seufzte. Was war nur los mit ihm? Es konnte doch nicht sein, dass er sich vor einer Auseinandersetzung mit Anna scheute und stattdessen an einen seiner Freunde dachte. Kopfschüttelnd versuchte er, den Älteren aus seinem Kopf zu verbannen und zum Teil gelang es ihm auch. Kälte durchzog seinen Magen und kroch in jeden Winkel seines Körpers, als er ausstieg und seinem Ziel näherkam. Schlussendlich stand er, seinen Schlüssel in der Hand haltend, vor der Eingangstür. Bevor er diesen allerdings nutzte, fiel ihm ein, dass er Sep schreiben sollte. Kurzerhand nahm er sein Handy zur Hand und tippte zügig eine Nachricht.

Ich bin jetzt da... Danke, dass du mich aufn Damm gebracht hast.

Nachdem er die Nachricht verschickte, steckte er sein Handy zurück in die Hosentasche und öffnete die Eingangstür mit dem Schlüssel. Die zweite Tür öffnete er ebenfalls und der vertraute Geruch seines Zuhauses erwartete ihn. Kurz ließ er sich treiben, atmete tief ein, ehe er seinen Schlüsselbund auf die Kommode legte, sich seiner Schuhe und Jacke entledigte. Er hörte ihre leisen Schritte und sah auf. "Jonathan", begrüßte sie ihn ohne jegliche Regung, während sie ihm gegenüberstand. "Anna, ich... es tut mir wirklich leid", kam es ihm über die Lippen. Zögerlich suchte er ihren Blick. In den braunen Augen fand er Kälte und Sicherheit vor. Blitzartig war der Gedanke, welchen er vorhin in Sebastians Wohnung beiseitegeschoben hatte, wieder da. Anstelle einer Antwort bekam er ein Schweigen. Schwer füllten sich seine Lungen mit Luft. "Ich weiß, dass ich im Moment kaum Zeit für uns habe. Ich finde es doch selbst nicht gut, aber ich muss das Praktikum nun mal machen. Es geht ja nur noch bis zum Jahresende so... Und... du weißt auch, dass mir die Jungs sehr wichtig sind. Ich... kann es leider nicht ändern, ich komme ja so schon an meine Grenzen..." Während er sprach, vermied er es, Anna in die Augen zu sehen. Stattdessen musterte er seine Hände. "Ist dir eigentlich bewusst, dass wir gar keine Zeit mehr miteinander verbringen außer am Wochenende? Und du immer nur zwischen der verdammten Praxis und deinem Computer pendelst? Wo soll ich da noch Platz haben, du verdammter Egoist!", erwiderte seine Freundin kühl. Ihre Worte erreichten ihn und schließlich sah er auf. Tränen standen in seinen Augen. "So... so war das nie gemeint. Ich... ich dachte, du wüsstest, worauf du dich einlässt. Ich... wir haben es doch so lange besprochen und durchgespielt... das kannst du doch nicht machen", entfuhr es ihm heiser, da sein Hals sich zuschnürte. Man sah ihr an, dass es ihr zwar schwerfiel, sie ihre Entscheidung aber schon gefällt hatte. "Wärst du gestern da gewesen, hätte es gar nicht so weit kommen müssen...", hörte er sie murmeln. Aus ihren Augen las er Bedauern, aber auch Kälte. "Das... das.." Er schluckte, versuchte, sich zu fassen. "Das... heißt, du.. du gehst?", flüsterte er beinahe. "Ja", antwortete sie sofort. "Es tut mir leid, aber ich möchte das nicht mehr. Es muss mehr geben in meinem Leben, als darauf zu warten, dass mein Partner Zeit mit mir verbringt..." Seine Augenlider trafen aufeinander und er presste sie so lange zusammen, bis schillernde Punkte vor seinem inneren Auge tanzten. Als er sie wieder öffnete, stand Anna noch immer da und sah ihn ernst an. In ihrem Gesicht konnte er Schmerz und Entschlossenheit ausmachen. Die Entschlossenheit schmerzte ihn am meisten. Sie hatte dieses Gespräch, diese Situation geplant, ohne ihm eine sichtliche Chance zu geben. Erneut schloss er seine Augen, um die sich sammelnden Tränen aufzuhalten. "Hast du- hast du schon gepackt?", fragte er mit zittriger Stimme. Seine langjährige Freundin nickte. "Die Sachen sind auch schon bei meinen Eltern. Ich bin wegen dir hergekommen", antwortete sie und trat an ihn heran. Aus ihrer Manteltasche an der Garderobe fischte sie ihren Schlüssel und legte ihn vorsichtig auf die Kommode. Dunkelheit umgab ihn. Er wollte es nicht sehen, nicht wahrhaben. Etwas Warmes berührte seine Wange und er öffnete die Augen, sah hinab. Annas Hand strich ihm sanft über die Wange. "Es tut mir leid, Jonathan..." Sie nahm ihre Hand von seiner Wange und ging an ihm vorbei. Hinter sich hörte er die Tür ins Schloss fallen.


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