Unfurl

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Routiniert hatte er geparkt und nahm seine Tasche vom Beifahrersitz. Schnell hatte er seine Wohnungsschlüssel in der Hand und verließ seinen Wagen, schloss ihn ab. Sep verließ ebenfalls seinen Wagen, hatte seine Sporttasche und Sammys Transportbox neben dem Wagen abgelegt. Sein Blick wanderte über den Körper des Ingenieurs und er kam nicht darüber hinweg, dass der junge Mann es trotz der ganzen Aufnahmen und Termine auch noch schaffte, ins Fitnessstudio zu gehen. Leicht kopfschüttelnd schloss er die Eingangstür auf, ließ seinem Gast den Vortritt und lief dann zur Haustür, schloss diese auf. Als er die Tür öffnete, erfasste ihn eine Welle der Kapitulation, sein Körper streikte und wollte seine Emotionen und Erschöpfung nicht verbergen. Kurz erbebte dein gesamter Körper, ehe er schluchzend zusammenbrach. Seine Knie kamen auf dem Laminat auf, mit hängendem Kopf gab er sich auf. Die Schultern waren nach vorne gebeugt, seine Hände zitterten, ebenso sein Körper. Unkontrolliert rannen ihm die Tränen über die Wange, er konnte sie nicht aufhalten. Verschwommen nahm er wahr, wie seine Tür geschlossen wurde und jemand ihm aufhalf. Beinahe fiel er wieder auf den Boden, da er am ganzen Körper zitterte und sein Gewicht nur mühsam halten konnte. Die ganze Erschöpfung durch den straffen Zeitplan der letzten Monate machte sich nun bemerkbar. Mit kleinen, langsamen Schritten brachte Lenßen ihn zum Sofa und setzte ihn hin. Als er spürte, dass der Ältere gehen wollte, hielt er ihn mit beiden Armen umklammert und presste sein Gesicht in dessen Arm. Dadurch setzte Sebastian sich neben ihm und strich ihm tröstend über den Rücken, drückte ihn in eine Umarmung. Die Angst, erneut allein gelassen zu werden, raubte ihm den Atem und sein Körper erbebte, er rang panisch nach Luft. "Hey... hey! Ganz ruhig, Jonathan, ich bin da", begehrte der Maschinenbauer auf und drückte ihn noch etwas fester an sich. Ihn überkam ein neuer Schwall an Tränen und er zog seine Nase hoch. Angestrengt versuchte er mit zitternden Lippen Worte zu finden, doch Sep unterbrach seinen Versuch. "Wehe, du versuchst dich jetzt zu rechtfertigen. Es wird wieder, ich bin für dich da..." Lediglich ein schwaches Nicken brachte er zustande, lehnte sich an die Brust seines langjährigen Schulfreundes. Der regelmäßige Herzschlag beruhigte ihn ein wenig und seine Umklammerung ließ nach. Langsam löste sich Sep von ihm und er war zu schwach, um ihn aufzuhalten, verfolgte ihn lediglich mit seinem Blick. "Ich bin gleich wieder da, ich mache dir einen Tee und bringe dir Taschentücher mit, mein Pullover ist nämlich leider keines", kam es sanft über Seps Lippen. Schamröte stieg ihm in die Wangen und er starrte stur sein Bettzeug an, während der Gamer sich in seiner Wohnung zurechtfand.

Insgeheim war er Sebastian unendlich dankbar, dass er ihm half. Ihm war auch bewusst  geworden, dass er sich nicht aufgrund der Trennung von Anna so miserabel fühlte, sondern durch die Tatsache, dass er alleine war. Schon als Jugendlicher hatte er damit Probleme gehabt, sich in Gruppen einzugliedern, da er eigentlich ein sensibler Mensch war. Durch diverse Auseinandersetzungen hatte er sich schließlich Saltiness als Schutzmechanismus antrainiert und sich als Gamer in der Schule durchgeschlagen, zumindest, bis er die anderen Jungs kennengelernt hatte. Von da an war er integriert und hatte das Gefühl, dass er einer zweiten Familie angehörte. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, als er an die Jungs dachte und seine Gedanken zu Lenßen abdrifteten. Als wäre es gestern, erinnerte er sich an den Älteren, wie er immer mit dem Fahrrad zu ihm kam und sie gemeinsam irgendetwas zockten oder einfach nur auf ihren Fahrrädern durch die Gegend bretterten. Nach der Schule hatten sie sich alle ein wenig zerstreut und trotzdem waren sie nach wie vor seine zweite Familie, auch, als Christian dazustieß. Er war die perfekte Ergänzung zu Ihnen, die sie auch mal laut und nervig sein könnten. In der Regel war er der Ruhepol der Truppe und sorgte so ab und zu auch für Frieden. Seine Gedanken gewannen wieder an Struktur und er seufzte leise, wartete geduldig auf Sebastian.

Langsam hörte er die vorsichtigen Schritte auf dem Laminat und runzelte die Stirn. "Nicht aufregen, ich hab lediglich Frühstück für uns gemacht...", vernahm er Seps Stimme hinter sich. "Danke", kam es ihm überrascht über die Lippen. "Hättest du wirklich nicht machen müssen, mir geht es doch schon besser-", doch weiter kam er nicht. "Jonathan, es geht dir nicht gut. Hör auf, immer alles runterzuspielen, was dich betrifft, das macht mich wahnsinnig! Es ist klar, dass dein Körper und deine Psyche das nach einiger Zeit nicht mehr mitmachen, vor allem mit deinem Zeitplan in den letzten Monaten! Dafür muss man sich nicht rechtfertigen und es ist selbstverständlich, dass Körper und Psyche jetzt auch eine längere Regenerationsphase brauchen. Und hinzu kommt noch die Tatsache, dass Anna dich verlassen hat", brach es aus dem Ingenieur aus. "Also hör bitte auf, dich zu rechtfertigen", fügte er mit ruhigerer, sanfterer stimme hinzu. Leicht erschrocken starrte er den Maschinenbauer an und nickte dann lediglich. "Ich... ich bin aber nicht so fertig, weil Anna weg ist", gab er leise zu und ließ seinen Kopf hängen. Er konnte das Stirnrunzeln seines ehemaligen Schulkameraden vor seinem inneren Auge sehen und schloss die Augen. Das kann doch nicht so schwer sein, einem deiner besten Freunde die Wahrheit zu sagen! "Ich... ich kann einfach nicht lange allein sein", gab er flüsternd zu und vergrub sich weiter unter seiner Decke. Angespannt wartete er Lenßens Reaktion ab und als er nach über zehn Sekunden kein Lachen hörte, sah er zögerlich zu dem Älteren auf. Dieser sah ihm in die Augen und schüttelte leicht den Kopf, ehe ein Seufzen seine Lippen verließ. "Das ist doch nichts schlimmes, Jay..." Der Grünäugige sah ihm in die Augen. „Wirklich. Sonst wäre ich ja jetzt auch nicht hier", fügte Sep mit einem ehrlichen Lächeln hinzu. „Danke", kam es ihm leise über die Lippen und er versuchte sich an einem Lächeln. Wieder einmal verlor er sich in dem Grün-Grau und als er ein lautes Miauen hörte, zuckte er zusammen, der Ältere ebenfalls. „Kann ich ihn...", doch er fiel seinem Schulfreund ins Wort. „Klar, lass ihn nur hier rumstreunern", sagte er und schaffte es diesmal, tatsächlich zu lächeln. „Danke. Ich geh nur kurz das Katzenklo aus dem Auto holen, ich bin gleich wieder da..." Er nickte und sah ihm nach. „Der Schlüssel sollte... noch irgendwo liegen, nimm ihn mit", bot er Lenßen an und sah, wie dieser als Zeichen des Verstehens seine Hand hob. Seine Tür fiel zu und er griff nach den Taschentüchern, putze sich die Nase. Mit einem Mal spürte er etwas neben sich und zuckte zusammen. Neben ihm saß Sebastians Kater und musterte ihn neugierig. Er schüttelte den Kopf und obwohl es ihm vorhin miserabel ergangen war, fühlte er sich jetzt durchaus stärker und stand auf. In der Küche suchte er in einer der Schubladen nach etwas Essbarem für den Kater. Tief unter Tüten vergraben fand er dann doch noch einige Leckerchen. Durch das Tütengeraschel hatte er nicht mitbekommen, dass der Kater auf die Arbeitsplatte gesprungen war und ihn aufmerksam musterte. „Ja, das ist für dich", murmelte er leise und kraulte den Kater, welcher sich in seine Hand schmiegte und schnurrte. Langsam verfütterte er das Leckerchen an den Kater. Dieser schlang es zügig hinunter und lauschte, als die Tür ins Schloss fiel, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen und so streichelte er das Tier wieder. „Sammy macht sich also schon mit deiner Wohnung vertraut", hörte er Sep sagen und sah zu ihm. Der Ingenieur stand im Türrahmen und lächelte. Er erwidert das Lächeln und wandte sich zu dem Gamer, ohne dabei von dessen Kater abzulassen. „Scheint so, macht mir aber nichts aus. Wäre bei meinem Beruf ja auch dezent beschissen..." Der Grauäugige lachte und nickte. Angenehmes Schweigen herrschte und er sah zu Sammy. Der Kater lag mittlerweile und er entfernte seine Hand langsam von dessen Kopf. Der Kater schüttelte diesen kurz, ehe er seine Umgebung betrachtete. Ein Magenknurren riss Jay aus seiner Betrachtung. Sep lief rot an und er grinste. „Stimmt, wir haben ja noch nichts gegessen...", sagte er und ließ den Kater in der Küche zurück und lief an Sep vorbei ins Wohnzimmer, wo das vorhin zubereitete Frühstock noch auf sie wartete.

Als er im Türrahmen stand, kam er nicht umhin, das Aftershave des Älteren einzuatmen und es zu genießen. Der Geruch von Pinien stieg ihm in die Nase, zusammen mit einem Geruch nach Frische und er sog ihn tief ein. Er wünschte, er könnte sich umdrehen und in den Armen des Älteren die Quelle des Geruchs finden. Den Kopf leicht schüttelnd, verdrängte er den Gedanken. Er konnte Seps Blick förmlich spüren, da er für einige Sekunden stehen geblieben war. „Sorry, war am Tagträumen", murmelte er mit einem leichten Grinsen und sah ihm in die Augen. „Alles gut...", murmelte Sep und lächelte sanft. „Ach fuck, ich geh noch eben Kaffee aufsetzen, den haben wir ja noch nicht...", sagte er und drehte sich zu Sep, um an ihm vorbei in die Küche zu laufen. Für einen Moment lang stand die Zeit still, so kam es ihm vor. Sein Blick traf den von Sebastian und sie sahen sich einfach nur in die Augen, keiner wollte den Kontakt abbrechen. Ein Rascheln und ein lautes Miauen ersparte ihnen den peinlichen Moment des Schweigens und er lief zeitgleich mit dem Maschinenbauer in die Küche. Als er Sammy sah, musste er lachen. Der Kater hatte sich in die Schublade gesetzt, aus welcher er das Leckerchen hervorgeholt hatte. Um Sammy herum waren Plastiktüten und er hatte sich in einigen verheddert. Sebastian lachte und sah ihm schelmisch grinsend an. „Ja, er fühlt sich hier anscheinend sehr wohl", deklarierte der Brünette. Er lachte und sah Lenßen kurz in die Augen, ehe er sich daranmachte, den Kater aus seiner Misere zu befreien. Zügig hatte er den Kater aus der Schublade gehoben und setzte ihn auf die Arbeitsplatte, ehe er die Schublade gründlich zudrückte. Sein Blick wanderte wieder zu Sep und schließlich zu Sammy, welchen er streichelte. Der Kater miaute leise, vermutlich war er dankbar, und schmiegte sich an ihn. Er lächelte und kraulte den Kater. Er wünschte sich, dass auch er sich so an jemanden schmiegen konnte und starrte verträumt in die Ferne. „Soll ich den Kaffee aufsetzen?", fragte der Ältere und riss ihn aus seinen Gedanken. „Was? Oh, ja... ich mach schon, Moment...", murmelte er und lief leicht rot an. Er ließ von Sammy ab und machte sich daran, seine Kaffeemaschine zu befüllen. Während der Kaffee durchlief, lehnte er sich mit dem Rücken zur Küche an die Arbeitsplatte und schloss seine Augen. Die Nachtschicht machte sich bemerkbar und er unterdrückte ein Gähnen. Sein Hirn nahm den Gedankengang von vorhin wieder auf und etwas in seiner Brust schmerzte. Er würde sich bewusst, dass er sich nach Nähe und Wärme sehnte. Er spürte, wie die Kälte in seinem Inneren sich ausbreitete und erschauderte.

Mit einem Mal spürte er Wärme um sich und öffnete die Augen. Vor ihm stand Sebastian und sah ihm in die Augen. Unmerklich fiel ihm auf, dass der Kaffee schon längst fertig sein müsste und Schamröte zeichnete sich auf seinen Wangen ab. Als wüsste Sep, dass er zu einer Rechtfertigung ansetzen würde, schüttelte er den Kopf und sagte leise: „Nicht... Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Es ist alles gut..." Jay nickte lediglich und sah seinem Gegenüber in die Augen. Das Grün schimmerte stärker und er bildete sich ein, Aufregung in ihnen zu sehen, konnte diese aber nicht zuordnen. Diesmal war die Stille zwischen ihnen angenehm und er wollte, konnte nicht protestieren, als der Ältere ihn in den Arm nahm. Er lehnte sich an ihn und lächelte leicht. Die Wärme, die von dem Maschinenbauer ausging, vertrieb die Kälte in seinem Inneren. „Danke", murmelte er leise und legte seine Arme um den Brünetten.


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Ja, ich weiß, es ist viel Zeit ins Land gegangen. Im letzten Jahr ist einfach so unfassbar vieles passiert, ich studiere zur Zeit im Ausland, habe viel zu tun und es ist so schön hier ^o^

Jetzt habe ich aber endlich wieder Motivation gefunden, etwas zu schreiben und hoffe, dass es euch gefällt. Und ja, ist vielleicht ein wenig slow burn, zumindest an einigen Stellen. Sorry, not sorry, because I like it.

The Racing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt