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Bereits seit dreieinhalb Monaten wohnte ich nun schon bei Tante Dora. Und letztendlich fühlte ich mich hier ehrlich wohl in ihrem kleinen Häuschen, zusammen mit den ganzen fremden Welten, die sich in ihren Büchern versteckten.

Und mit dem Geist, der in meinem Wandschrank wohnte.

Yoongi kam immer häufiger auch tagsüber zum Vorschein. Manchmal hatte er schlechte Laune, wenn er seiner Meinung nach nicht genug Schlaf bekommen hatte, da ich abends immer noch nach einer Geschichte mehr bettelte, die er mir erzählen konnte.

An diesen Tagen setzte er sich gerne auf mein Bett und schmollte oder döste, während ich in einem Buch schmökerte.

Die liebsten Tage waren mir aber die, an denen Yoongi mich anlächelte, wenn er schon morgens aus dem Schrank kam und einfach nur sagte: "Guten Morgen, Phoebe."
Das reichte mir schon, um einen tollen Tag zu haben.

Außer an diesem einen Tag, an dem die Frau kam, die mir immer wieder Fragen stellte, die ich nicht beantworten konnte.
Oder wollte.

Mrs. Menning war ihr Name. Sie war die Frau, der ich auch alles über meine Umstände erzählen musste.
Alles über meinen Vater und meine Mutter. Und was er uns alles angetan hatte.
Wie Mom nur zusah und nie traute sich einzuschalten. Oder jemand anderen um Hilfe zu bitten.

An diesem Tag stellte sie mir aber größtenteils angenehme Fragen.
Sie wollte wissen, wie es mir hier gefiel, ob ich gut mit Tante Dora auskam.
Ich musste ihr sogar mein Zimmer zeigen und sie staunte über die betrachtliche Menge an ausgeliehener Bücher, die sich langsam in meinem Zimmer ansammelte.

Danach kamen aber die unangenehmen Fragen.
"Denkst du noch oft an das, was passiert ist?"
Ich nickte immer bloß. Oder schüttelte den Kopf, wenn es eben nicht so war.
"Kannst du beschreiben, wie du dich dann fühlst, Phoebe?"
"A-ausgelaugt. Einsam. Aber nicht immer.", sagte ich.
Mrs. Menning war die Überraschung anzusehen, da es mir diesed mal etwas leichter fiel, mit ihr zu reden.
Generell zu sprechen.

"Phoebe, du machst sehr gute Fortschritte.", sagte sie am Ende ihres Besuches.

Zum Abschied gab sie mir noch ein kleines Samtsäckchen in die Hand.
Sie meinte, wenn ich wieder daran dachte, sollte ich eines der Sorgenpüppchen herausnehmen, die in dem Säckchen enthalten waren, ihm meine Gedanken zuflüstern, so leise, dass es nur das Püppchen hörte und es dann unter mein Kopfkissen legen.

Yoongi war während des ganzen Gesprächs nicht ein einziges Mal aufgetaucht, als wusste er irgendwie, dass ich das nicht wollte.

Ich war ihm dankbar dafür.

An den nächsten Abenden wurde es zunehmend ruhiger zwischen Yoongi und mir.
Wir saßen uns gegenüber auf meinem Bett, schauten uns einfach in die Augen. Manchmal wanderte mein Blick auch über seine schön geschwungenen Lippen, über seine Haare. Ich studierte den Verlauf seines Kinns. Manchmal, wenn er zur Seite blickte, dann fuhr ich mit meinen Augen einfach seinen wunderschön geformten Kieferknochen nach.

Seine Gesichtsform war so einzigartig. Er konnte grimming und niedlich zugleich aussehen.
Yoongi war anders. Er war besonders.
Yoongi war meine Flucht in eine andere Welt.

Manchmal eine Welt, in der nur wir beide Existierten.
Manchmal war es eine Welt, in der wir mit seinen Freunden in seinem Schloss lebten.

Sein Schloss voller Freude, Leichtigkeit und Liebe.

Ich sehnte mich danach, dass er mich mit sich dort hin nahm. Das er mit mir zusammen dorthin flüchtete.
Für immer.

Doch dann dachte ich manchmal an Tante Dora, die sicherlich verwirrt sein würde, wenn ich plötzlich weg wäre.
Einfach so.

"Bist du glücklich hier?", fragte mich Yoongi an einem der Abende, an denen wir still dort saßen, ohne eine Geschichte zu erzählen oder ihr zu lauschen.

Ich wusste nicht, was ich auf seine Frage antworten sollte.
War ich hier glücklich?
Meine Bücher machten mich glücklich. Die Geschichten, die mich immer abholten und auf eine Reise mitnahmen. Ich war glücklich, dass Yoongi ausgerechnet in meinem Wandschrank aufgetaucht war und nicht in dem eines anderen Mädchens. Ich war ihm dankbar dafür, dass er mich träumen ließ, dass er mich genauso, nein besser, ablenkte wie meine Bücher.

Er war wie Wasser für meine vertrocknete Seele.
Er nährte sie, machte sie lebendiger von mal zu mal und ließ sie mit ihm treiben.
Ich war von ihm abhängig und nur von ihm.

Ich zuckte nur mit den Schultern.
Ich war hier glücklich, ja, aber auch bloß wegen Yoongi und all den Geschichten.
Ich war glücklich mit der Zuflucht, die er mir bot.

"Gib mir eine konkrete Antwort. Phoebe, bist du hier glücklich?"
Yoongis Blick schmerzte in meiner Brust. Er sah plötzlich so traurig aus. So als befürchtete er, er verlor mich, wenn ich jetzt die falsche Antwort gab.

"Ich bin glücklich, wenn du da bist. Ich bin glücklich, wenn du mir dabei hilfst zu vergessen. Ich bin glücklich, dass ich dich habe. Du bist mein einziges Hier. Woanders will ich gar nicht mehr sein.", sagte ich.
Und es war das meiste, was ich seit zwei Jahren, an einem Stück, von mir gegeben hatte.

Yoongi schenkte mir ein wunderschönes Lächeln.

Und ich lächelte zurück.

Seit diesem Abend kamen wieder mehr Geschichten.
Und die Sorgenpüppchen brauchte ich kein einziges mal, da Yoongi der jenige war, der mir meine Sorgen nahm.
Yoongi war der jenige, der mich heilte.

Immer häufiger griff Yoongi nach meiner Hand. Ich fühlte seine blasse Haut nicht auf meiner, ich spürte nicht, wie er mit dem Daumen über meinen Handrücken strich.
Das machte mich traurig und ich sehnte mich nach seinen Berührungen, die ich noch nie gespürt hatte.

Er war der erste, der mich seit zwei Jahren berühren durfte. Ich erlaubte es ihm aus freien Stücken.
Und dann durfte ich es selbst nicht einmal spüren?

Konnte er denn meine Hand spüren, wenn er sie berührte? Oder war da auch nichts?

Ich verzweifelte beinahe an diesen Gedanken.
Er war mir nun so nah. Ich ließ ihn so nah an mich heran. Ich wollte ihn nah bei mir haben. So nah wie möglich.
Und körperlich war er mir doch so fern.
Es schmerzte, dass ich ihn nicht fühlen konnte.

Tränen sickerten zum ersten mal wieder aus meinen Augen.
Seit dreieinhalb Jahren hatte ich nicht geweint. Mit fünfzehn hatte ich meine letzten Tränen vergossen.
Tränen des physischen und psychischen Schmerzes.

Was sind es dieses mal für Tränen?
War das emotionaler Schmerz, der mich weinen ließ?

Ich sehnte mich nach Yoongi, obwohl er mir nicht von der Seite gewichen war.
Die ganze Zeit nicht.
Und er sagte kein sterbenswörtchen darüber, was hier mit mir geschah.

Mein Herz zerbrach in eine millionen Teile. Ich hatte das gefunden, wonach ich wohl schon immer auf der Suche war.
Es war mir so nah und doch so bitterlich fern.

Es tat weh.
Es tat verdammt weh.

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Mo 02. Januar 2017
06:34 a.m.

Wardrobe Ghost || min yoongiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt