Die Morgensonne ist bereits zu ihrer Wanderung in den Zenit aufgebrochen. Xenos' Mutter Azarni deckt den Tisch liebevoll mit allerlei kleinen Leckereien ein. Dann begibt sich die braunhaarige Frau ins Obergeschoss. Vor dem Zimmer ihres Jungen bleibt sie stehen. Sie klopft kurz an und tritt ein. Leise geht sie durch das große Kinderzimmer und setzt sich an die Bettkante ihres Sohnes. Behutsam legt sie eine Hand auf seinen von der warmen Bettdecke bedeckten Rücken.
„Xenos, steh auf! Du schaffst es sonst nicht bis nach Neuboren.", weckt ihn Azarni sanft.
„Ja Mama", murmelt Xenos leise und verschlafen in sein Kissen.
Es ist noch früh am Morgen. Heute beginnt für Xenos eine lange Reise. Der große Kaiser Aerton Gredius hat ihn zu sich geladen, um mit ihm zu sprechen. Er ist das Oberhaupt des einflussreichsten Reiches Atra-Regnums. Die gesamte Welt orientiert sich an den Beschlüssen von ihm und seinem Senat aus der zentral gelegenen Hauptstadt.
Noch immer sucht man nach der vor vier Jahren entführten Ayame, um das Verschmelzen des Totenreiches mit Atra-Regnum zu verhindern. Als verbleibende Hälfte der Geschwister, die das Gleichgewicht und Frieden aufrecht erhalten sollen, wird dem jungen Xenos viel zugemutet. So auch der Besuch des Kaisers, für den er das halbe Land durchqueren muss.
Seine Mutter verlässt das Zimmer: „Beeil dich. Ich habe uns ein leckeres Frühstück zum Abschied zubereitet. Es ist immerhin unsere letzte gemeinsame Mahlzeit für eine Weile."
Sie klingt leicht traurig und gleichzeitig doch stolz. Azarni hat den Verlust ihrer Tochter noch nicht überwunden. Wie sollte eine Mutter das auch jemals schaffen. Und nun verlässt auch ihr letztes Kind das Haus, welches sie auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen wird. Gleichzeitig weiß sie aber auch, dass ihr Sohn geht, um das nahende Unheil von der Welt abzuwenden. Jedenfalls, da ist sie sich sicher, wird er sein Bestes geben.
Langsam und schläfrig kommt Xenos die Treppe herunter getrottet. Schnell hat er sich sein schwarzes kurzes Oberteil übergezogen sowie seine kurze Stoffhose. Er wischt sich die Augen und setzt sich an den Tisch.
„Guten Morgen mein Schatz", begrüßt ihn Azarni mit einem Lächeln und setzt sich zu ihm.
Immer noch sichtlich verschlafen erwidert er den Gruß. Xenos' Blick schweift über den üppig gedecktenTisch. Erst jetzt bemerkt er, was für leckere Dinge seine Mutter aufgetischt hat.
„Danke Mama. Das sieht wirklich lecker aus!"
Azarni begegnet ihm darauf erneut mit einem Lächeln: „Gern doch. Ich habe dir auch ein Bento für die Reise zurechtgepackt. Aber lass uns ersteinmal essen. Lass es dir schmecken, mein Schatz."
Die beiden genießen das umfangreiche Frühstück. Der Junge weiß das Essen seiner Mutter zu schätzen, doch er kann sich nicht erinnern je so gut gegessen zu haben. Nach dem leckeren Frühstück macht sich Xenos wieder auf nach oben, um seine Taschen zu packen. Die Zeit des Aufbruchs rückt näher. Am frühen Abend soll er bereits sein Zimmer im Gasthaus von Neuboren beziehen. Der Junge soll nicht erst noch durch die Nacht reisen müssen.
Azarni und ein paar andere Dorfbewohner Menotowns sowie Freunde der Familie warten schon vor der Tür. Dann tritt Xenos aus dem Haus. Er hat seinen dunklen Kapuzenumhang umgelegt und trägt einen vollgepackten Lederbeutel. Azarni kommt zu ihm und überreicht ihrem Sohn das versprochene Bento. Zusätzlich drückt sie ihm ein wenig Geld in die Hand. Einige der Dorfbewohner und Freunde überreichen ihm ebenfalls einen Teil ihrer Ersparnisse für die Reise. Jeder hier ist stolz auf den Jungen.
„Der Fürst von Hohenstein, Eigentümer der umliegenden Ländereien, hat uns eines seiner Pferde geschickt, damit du schneller vorankommst. Er wünscht dir ebenfalls eine gute Reise.", spricht Azarni zu ihrem Sohn.
Xenos wird allein zur Kaiserstadt reisen. Ein gefährlicher Weg. Die Straßen sind keinesfalls sicher. Dennoch sieht es am kaiserlichen Hof niemand für nötig ihn eskortieren zu lassen. Sie setzen auf die Stärke eines Kindes der Prophezeihung, scheinen aber zu vergessen, dass er trotz allem noch ein Kind ist.
Ein Dorfbewohner führt das dunkelbraune, nahezu schwarze Pferd heran. Xenos schnürt dem Pferd die Taschen auf. Dann dreht er sich zu Azarni um und umarmt sie.
Er flüstert ihr zu: „Ich werde bald wiederkommen. Das verpreche ich."
Die Zeit des Abschiedes ist gekommen. Niemand weiß, wann Xenos wiederkommen wird. Vielleicht werden sie ihn in wenigen Wochen bereits wiedersehen. Möglicherweise aber auch erst, wenn er erwachsen ist. Ihn gehen zu lassen fällt schwer. Azarni löst schließlich die Umarmung und Xenos schwingt sich auf das große Pferd.
„Bis bald", spricht Xenos tapfer, doch mit einem gewissen wehmütigen Unterton, „und richtet meinen Dank an den Fürsten aus."
Dann treibt er sein Pferd an und reitet im Galopp davon. Azarnis Augen werden glasig und eine einzelne Träne rinnt über ihre Wangen. Schnell wischt sie sie beiseite und winkt ihrem Kind nach. Dann verschwindet Xenos hinter der nächsten Ecke. Einen Moment lang bleiben die Leute vor dem Anwesen der Nebraa stehen, bevor sich die Versammlung schweigend auflöst.
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Buch 1: Atra-Regnum - Das dunkle Königreich
FantasyTauche zusammen mit dem 11-jährigen Nekromanten Xenos Nebraa in die atemberaubende Fantasy-Welt von Atra-Regnum ein. Lasse dich verzaubern von der unvorstellbaren Magie und mitreißen in spannende Schlachten in denen scharfe Klingen und epische Pfeil...