Die Hymne der Gemeinschaft schallt durch das ganze Haus und reißt mich wie jeden Morgen aus dem Schlaf. Ich hasse ihre Machtdemonstrationen die schon morgens beginnen und, die uns daran erinnern sollen, dass wir innerhalb ihrer Mauer gefangen sind, dass wir ihnen gehören.
Trotzdem muss ich jetzt aufstehen und mein warmes Bett verlassen, denn ich will nicht herausfinden was sie mit mir machen werden, wenn ich es nicht tue. Sie haben uns in der Hand. Sie kontrollieren uns, was wir tun, sagen und sogar, was wir denken.
Schon der kleinste Regelverstoß kann und wird schwere Folgen nach sich ziehen.
Also schwinge ich die Beine über die Bettkante und stehe schwerfällig auf. Gähnend reibe ich mir die Augen und gehe hinüber ins Badezimmer. Nun, da ich aufgestanden bin, ist auch die Hymne endlich verstummt. Meine Eltern sind schon hier gewesen, denn das Waschbecken ist noch nass.
Nur meine Großmutter kann noch länger schlafen und ich beneide sie darum.Nachdem ich mich gewaschen habe tappse ich immer noch im Halbschlaf zu unserem gemeinsamen Schrank im Umkleidezimmer. Ich ziehe mein graues Kleid an, meine grauen Schuhe und binde mir die Haare mit einem grauen Haarband zurück. Jetzt sehe ich aus wie jeder andere. Denn wir sind alle gleich. Das behaupten sie jedenfalls.
Ich steige die Treppe hinunter wo meine Eltern schon auf mich warten.
"Hallo Allie, Schatz!", begrüßt mich meine Mom. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie schafft sie es immer fröhlich zu sein. Sogar morgens.
"Guten Morgen.", erwidere ich noch immer etwas schlaftrunken.
"Los, mach dich fertig, Alyson, wir sind schon spät dran.", erklärt mein Vater ohne mich zu begrüßen.
Wir müssen los zur Essensausgabe, sonst bekommen wir kein Frühstück mehr. Eine Küche haben wir nicht, dieser Luxus ist nur den Mitgliedern der Gemeinschaft und des Mittelstands vergönnt. Wir Bewohner in den Gebieten bekommen nur das Durchschnittsessen, wie jeder andere und nicht die genau auf unsere Bedürfnisse abgestimmten Mahlzeiten.Also ziehe ich mir meine graue Jacke an und trete gemeinsam mit Mom und Dad aus der Tür. Draußen ist es zwar noch kalt, aber trotzdem ist schon eine Menge los. Hunderte in Grau gekleidete Menschen strömen durch die verdreckten Straßen in der Siedlung und wollen sich rechtzeitig ihr Frühstück abholen.
Als wir an der Essensausgabe ankommen erwartet uns eine lange Warteschlange, also stellen wir uns hinten an. Ich bezweifele, dass wir noch genügend Essen bekommen werden.
Heute ist Sonntag. Das heißt es gibt Müsli. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob es auch wirklich das enthält, was normalerweise in Cornflakes und Milch drin ist. Wahrscheinlich testet die Gemeinschaft an uns nur ihre neuesten Errungenschaften im Bereich Genmanipulation. Was bedeutet es schon wenn ein kleiner unbekannter Fabrikarbeiter daran zugrunde geht? Richtig. Nichts.Als wir endlich an der Reihe sind nehme ich mir eine Schüssel und einem Löffel und die Bedienung, die mürrisch durch das kleine Fenster guckt klatscht mir mit einer Kelle ein Standardportion Cornflakes in die Schale.
"Milch is alle!", schnauzt sie mich an, als ich nicht weitergehe.
Also trete ich weg und höre hinter meinem Rücken noch ihre laute, raue Stimme rufen:
"Der Nächste!"
Ich steuere auf den großen Wasserspender zu, denn ich habe keine Lust auf trockene Cornflakes. Nicht selten kommt es vor, dass ich nur die Hälfte meines Essens bekomme. Wenn nicht sogar gar nichts mehr.Als ich meine Schüssel mit Wasser aufgefüllt habe, mache ich mich auf den Weg zu einem der langen Stehtische, denn die Sitzplätze sind alle schon besetzt.
Kurze Zeit später kommen auch Mom und Dad zu mir.
Schweigend Löffeln wir unsere durchweichten Haferflocken und sind froh über das bisschen Essen das wir haben. Andere bekommen gar nichts, weil sie zu spät aufgestanden sind, oder weil sie am Morgen länger brauchen. Vielleicht, da sie oder ein Familienmitglied verletzt oder krank sind.
Diese Probleme gibt es in der Gemeinschaft nicht. Auch im Mittelstand sind die Bedingungen viel besser als hier. Alle haben dort sichere Jobs und sind gegen alle möglichen Krankheiten geimpft. Das ist nur einer der vielen Gründe, warum alle in meinem Alter ihr Leben geben würden, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Aber ich nicht. Ich möchte nicht von meiner Familie und meinen Freunden getrennt werden, auch nicht um gesund zu sein oder mich nicht mehr um mein Essen sorgen zu müssen. Nein. Niemals würde ich sie verlassen und eine von ihnen werden. Niemals.
Nach dem Essen geben wir unsere Schüsseln und Löffel zurück und machen uns auf den Weg zum Marktplatz.
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Oblivion [PAUSIERT]
Ciencia FicciónSie haben mir alles genommen. Meine Heimat. Meine Familie. Meine Freunde. Meine Erinnerungen. Sie haben mich zu der Gemacht, die ich für sie sein sollte.