Die Menge vor uns läuft schreiend durcheinander. Die riesigen Erd- und Gesteinsbrocken fliegen durch die Luft und begraben hilflose Menschen unter sich. Kinder weinen und alles ist voller Staub und Schmutz. Ich muss husten, weil der aufgewirbelte Dreck in meine Lungen dringt.
Ich will zu den Leuten, doch noch bevor ich jemandem helfen kann, packen die Kontrolleure mich fest an den Armen und zerren mich von der Bühne herunter über den Marktplatz vorbei an der schreienden Menschenmenge hin zu einem ihrer Flugschiffe.
Überall liegen Verletzte auf dem Boden. Sie wurden von der Bombe schwer erwischt. Einigen fehlt ein Arm anderen sogar ein Bein. Und wieder andere sind vielleicht sogar schon tot. Schnell wende ich den Blick ab.
Ein kleines Mädchen mit blutverschmiertem Gesicht läuft weinend an uns vorbei und schreit: "Mama! Mama wo bist du?!"
Ich will ihm helfen, versuche zu ihm zu gelangen doch die Kontrolleure halten mich fest.Ich muss zu meinen Eltern!, schießt es mir durch den Kopf,
Ich muss zu Eve! Ich muss wissen ob es ihnen gut geht!
Ich versuche erneut, mich zu befreien, trete die Kontrolleure und winde mich in ihrem Griff , doch das lässt sie kalt.
Stur ziehen sie mich weiter auf das riesige, blecherne Flugobjekt zu.
"Lasst mich los! Ich muss zu meiner Familie! LASST MICH LOS!!!", schreie ich.
Meine Stimme überschlägt sich und heiße Tränen brennen in meinen Augen.
Doch die Kontrolleure ignorieren mich einfach und starren weiter geradeaus.
Die Rampe des Flugschiffes ist jetzt heruntergefahren und sie zerren mich grob hinauf.
Ich drehe mich so weit, wie es in dem starken Griff der Männer eben geht um und suche in der Menge mit den Augen nach meinen Eltern, doch ich kann sie nirgends entdecken. Ich sehe nur schreiende Menschen, die durcheinanderlaufen, Kinder, die in den Massen ihre Eltern verloren haben und weinend nach ihnen rufen, brennende Häuser und dutzende Kontrolleure, die versuchen alles in den Griff zu bekommen, was ihnen jedoch nicht gelingt. Es ist das pure Chaos.
Die blonde Frau ist von der Bühne verschwunden. Ich wünschte, sie wäre kein Hologramm gewesen und ein Steinbrocken hätte sie unter sich begraben. Doch sofort schäme ich mich für diesen brutalen Wunsch. Kein Mensch hat das verdient, nicht einmal sie.Dicht hinter uns befindet sich Michael im selben Griff wie ich. Sein Lächeln ist verschwunden, doch im Gegensatz zu mir, versucht er nicht sich gegen seine Aufpasser zu wehren.
Die Kontrolleure schleifen uns weiter, die Rampe hinauf, wo der Innenraum des Schiffes zum Vorschein kommt. Ich gebe es auf, um mich zu treten. Sie werden nicht locker lassen. Kein bisschen.
Kaum oben angekommen drücken mich die zwei Männer auf einen der weichen schwarzen Ledersitze und der zu meiner Rechten befiehlt schroff: "Anschnallen!"
Seine Stimme wird durch den Helm gedämpft, aber er klingt immer noch bedrohlich, also tue ich was er sagt und ziehe den schwarzen Gurt über meine Beine. Es hat keinen Sinn weiter zu protestieren oder mich zu wehren.
Michael und seine beiden Kontrolleure nehmen gegenüber von uns Platz. Mit einem lauten Zischen schließt sich hinter uns die Tür, die Rampe fährt wieder hoch und der zerstörte Marktplatz mit den vielen verwundeten Menschen ist verschwunden.
Das Flugschiff hat keine Fenster, sondern wird nur von ein paar kleinen Deckenleuchten erhellt.
Langsam setzt sich das Gefährt in Bewegung und als es abhebt dreht sich mir fast der Magen um. Ich bin noch nie geflogen und Michael offensichtlich auch nicht. Er ist blass, hält sich den Bauch und seine blauen Augen sind weit aufgerissen.
Die vier Kontrolleure interessieren sich nicht dafür, sondern sitzen nur stocksteif da und starren geradeaus, wie immer.Die Tränen laufen mir nun unkontrolliert über das Gesicht. Ich werde meine Eltern, Grandma und Eve und alle, die ich gekannt habe nie, nie wieder sehen.
Sind sie überhaupt noch am Leben?
Oder wurden sie von einem der fliegenden Trümmer erwischt?
Nein, nein, das darf nicht passiert sein!Es geht ihnen gut. Sie sind alle wohlauf und stehen nur unter Schock, genau wie du, versuche ich mir einzureden.
Doch es hilft nichts.
Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht in den schmutzigen Händen.
Plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem Knie.
Ich lasse langsam die Hände sinken und öffne die Augen. Durch den Tränenschleier hindurch sehe ich, wie Michael mir zulächelt. Wie kann er in so einer Situation überhaupt lächeln?
"Mach dir keine Sorgen", versucht er mich zu beruhigen, "alles wird gut."
Ich versuche sein Lächeln zu erwidern, bekomme aber nur eine schiefe Grimasse zustande.
"Danke.", flüstere ich trotzdem.
Michael ist jünger als ich und doch so stark.
Ich hätte nur zu gerne aus dem Fenster gestarrt um mich von meinen rasenden Gedanken abzulenken.
Doch da es keine gibt, betrachte ich etwas oder vielmehr jemand anderen. Michael. Er ist wunderschön, so wie viele hier. Er hat blonde Haare und blaue Augen, was in der Gemeinschaft nicht selten ist. Am liebsten wählen sie arische Menschen aus den Gebieten aus, es ist also kein Wunder, dass er genommen wurde.
Aber ich? Ich habe braune Haare, die an den spitzen ausgeblichen sind und graue Augen, zähle also überhaupt nicht zu ihrem Schönheitsideal. Wieso also bin ich erwählt worden?
Wahrscheinlich bin ich nicht mal hübsch, aber sicher weiß ich es nicht. Ich habe mich noch nie selbst gesehen. Keiner hat das. Jedoch gibt es das Gerücht, dass man sich einmal selbst in einem Gerät, das 'Spiegel' genannt wird, betrachten darf, wenn man in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Ein weiterer Grund warum alle dort hin wollen.Und langsam drängt sich noch eine andere Frage durch meine Gedanken.
Wie konnte das passieren?
Wie konnte es jemand schaffen, eine Bombe über einem Gebiet abzuwerfen?
Wer konnte das schaffen?
Die Gemeinschaft brüstet sich immer mit ihrer hohen Sicherheit, aber anscheinend gibt es doch Schwachstellen. Die so glorreiche Gemeinschaft ist offenbar nicht so perfekt, wie sie immer behauptet...
Ich kann diesen Gedanken nicht weiterführen, denn in diesem Moment setzt das Flugschiff zur Landung an und wieder verspüre ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Unerwartet sanft setzen wir auf dem Boden auf.
Wie die Kontrolleure und Michael auch schnalle ich mich ab und sofort greifen die beiden Bewacher, die sich schon erhoben haben wieder nach meinen Armen. Bei diesem festen Griff würde es mich nicht wundern, wenn ich nachher ein paar blaue Flecken davontrage.
Mit einem leisen Zischen öffnet sich die Tür und ich bekomme etwas zu Gesicht, was ich bisher nur auf Bildschirmen erblickt habe.
Die Gemeinschaft.
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Oblivion [PAUSIERT]
Science FictionSie haben mir alles genommen. Meine Heimat. Meine Familie. Meine Freunde. Meine Erinnerungen. Sie haben mich zu der Gemacht, die ich für sie sein sollte.